„Die Ehre meines Lebens“: Wie sich Kanzler Scholz mit dem Zapfenstreich verabschiedet hat

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Der Große Zapfenstreich am Abend ist der Höhepunkt einer Abschiedstour, die nicht erst am Montag begonnen hat. Schon vergangene Woche standen Umzugskisten im Kanzlerbüro von Olaf Scholz. Einen Tag vor der mutmaßlichen Wahl seines Nachfolgers geht es Schlag auf Schlag.

1 Von wem er sich noch vor dem Zapfenstreich verabschiedete

Auf den Abschied von seinen Instagram-Followern mit einem kurzen „Tschüß und schönen Dank“ sowie dem Eingeständnis, dass es „nicht immer leicht“ war, folgt ein letztes Telefonat mit Wolodymyr Selenskyj, dem Präsidenten der Ukraine, die Scholz’ nur dreieinhalbjähriger Amtszeit so maßgeblich ihren Stempel aufdrückte.

Um 18.42 Uhr verlässt Scholz schließlich die Fraktionssitzung seiner SPD mit einem großen Strauß weißer und roter Rosen. Teilgenommen hatte auch Merz, der sich den sozialdemokratischen Abgeordneten als ihr neuer Regierungschef in spe vorstellte. Merz verlässt den Saal vor Scholz, sichtbar bester Laune, während Scholz später nicht so recht zu wissen scheint, wohin mit dem üppigen Strauß.

2 Welche Musik er sich gewünscht hat

Der Große Zapfenstreich ist die größte Ehrung, die die Bundeswehr Zivilisten erweist. Zur Tradition gehört auch, dass der oder die Geehrte die Musikstücke auswählt, die das Stabsmusikkorps der Truppe spielt.

Scholz hat sich passend zu seinem 2021er Wahlkampfmotto „Respekt“ eben jenen „Respect“ in der Version von Aretha Franklin gewünscht. Zwar adressierte der designierte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) zu Oppositionszeiten die Ampel gern als „Respektlos-Koalition“, Scholz darf aber hoffen, dass von ihm mindestens die Erhöhung des Mindestlohns in Erinnerung bleibt.

Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) steht mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (r, SPD) und General Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, beim großen Zapfenstreich der Bundeswehr anlässlich seiner Verabschiedung.

© dpa/Michael Kappeler

Neben dem „2. Brandenburgischen Konzert“ von Johann Sebastian Bach, das als Reminiszenz an seine neue Wahlheimat gelten darf, spielen die Soldatinnen und Soldaten „In My Life“ von den Beatles. Im Liedtext geht es um die Verbundenheit mit den Menschen, die einem begegnet sind, trotz derer er aber zum Schluss kommt: „I love you more.“ Ob das eine Liebeserklärung an seine Frau Britta Ernst ist, bleibt offen. Scholz erwähnt sie nicht – denken aber kann man sich das.

3 Wer ihn verabschiedet hat

Neben seiner Frau Britta und langjährigen Weggefährten wie die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles ist fast die gesamte politische Führung des Landes in den Bendlerblock gekommen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner vorneweg. Zu den rund 750 Gästen zählen das fast vollständig angetretene alte Bundeskabinett und Ministerpräsidenten. Scholz spricht seine „tiefe Dankbarkeit“ gegenüber jenen Begleitern und Freuden aus, „die mich in den zurückliegenden Jahren begleitet und unterstützt haben“. Auch Scholz‘ designierter Nachfolger Merz ist da, zusammen mit Frau Charlotte.

4 Welche Botschaft er hinterlässt

Der Erhalt der Demokratie ist das Thema seiner etwa zehnminütigen Rede. Die zivilisierte Weise, in der sich der Machtwechsel gerade im Gegensatz zu anderen Staaten vollziehe, nennt Scholz „kostbar“. Der scheidende Kanzler appelliert direkt an die Bürgerinnen und Bürger: „Nur wenn Sie Vertrauen haben in die Demokratie und ihre Vertreterinnen und Vertreter, kann diese Demokratie gelingen.“ Scholz will aber trotz aller Spaltungstendenzen auch Einheit und Stärke erlebt haben: „Ein solches Land kann seine Zukunft mit begründeter Zuversicht selbst gestalten.“

5 Wie er seine Arbeit bewertet

Sein Maßstab sei es gewesen, „stets vernünftig und verantwortungsvoll zu handeln“. Olaf Scholz glaubt, das geschafft zu haben. Erst am Vormittag hat sein Sprecher Steffen Hebestreit von einem „sehr aufgeräumten und mit sich im Reinen befindlichen Bundeskanzler“ berichtet.

Soldatinnen und Soldaten des Wachbataillons kommen mit Fackeln zum großen Zapfenstreich der Bundeswehr.

© dpa/Michael Kappeler

Selbstkritik klingt bei Scholz nur sehr subtil an. „Ja“, räumt er nach seinen Regierungsjahren ein, „Deutschland muss in Vielem anders werden: moderner, schneller und zupackender.“ Scholz wäre aber wohl nicht Scholz, wenn er nicht hinzufügen würde, dass er und seine Administration in einer Zeit des Umbruchs „dafür in den zurückliegenden Jahren ein Fundament gelegt“ hätten.

6 Was über ihn gesagt wird

Es ist Verteidigungsminister und Parteifreund Boris Pistorius, der berichtet, wie Russlands Staatschef Wladimir Putin den meisten Reformplänen der Scholzschen „Fortschrittskoalition“ nach nur zweieinhalb Monaten im Amt mit dem Überfall auf die Ukraine „einen Strich durch die Rechnung“ machte. Der seine „Zeitenwende“-Rede drei Tage nach Kriegsbeginn lobt: „Du hattest den Mut, Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben“.

Sein scheidender Chef habe „besonnen und geduldig“ und „ohne die große Pose“ viele „richtige und wichtige Entscheidungen“ getroffen: „Danke Olaf, dass Du Deutschland durch diese stürmische Zeit geführt hast.“ Der Zapfenstreich sei somit auch – natürlich „Ausdruck des Respekts für deinen Dienst“.

7 Worauf Scholz stolz ist

Der 66-Jährige blickt am vermutlich letzten Tag seiner Amtszeit vor 300 Soldatinnen und Soldaten des Wachbataillons und des Stabsmusikkorps der Bundeswehr auf gut drei Jahrzehnte in politischen Spitzenämtern zurück. Scholz spricht von „Freude und Demut“, die ihn erfüllten, so lange das Vertrauen seiner Wählerinnen und Wähler genossen zu haben.

Elegant tarnt Scholz ein wenig Eigenlob als Lob der Bürgerinnen und Bürger, die in der Coronapandemie aufeinander acht gaben oder nach dem Ende der russischen Gaslieferungen Energie sparten. Auch der „Bundeskanzler der Zeitenwende“, als den ihn Pistorius tituliert, erwähnt die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik - indem er den Soldatinnen und Soldaten dankt, die gerade jetzt Land und Freiheit zu verteidigen bereit sind.

8 Was er seinem Nachfolger wünscht

Distanz und Nähe zugleich demonstriert Scholz gegenüber seinem designierten Nachfolger. Nähe, weil Friedrich Merz der Einzige ist, den er neben Vorredner Pistorius überhaupt namentlich nennt; Distanz, weil er ihn mit „sehr geehrter Herr Merz“ anspricht – ein „Friedrich“, wie es Lars Klingbeil als neuer starker Mann in der SPD über die Lippen bringt, kommt bei Scholz nicht vor. Die Enttäuschung, dass Merz als Oppositionsführer nicht weiter auf ihn zukam, lebt offenbar noch fort.

Wählen will der einfache Abgeordnete Scholz ihn an diesem Dienstag dennoch. Er wünscht Merz „Erfolg, Fortüne und eine glückliche Hand! In schweren Stunden, die es sicherlich ebenfalls geben wird, wünsche ich Ihnen Begegnungen, aus denen Sie Kraft und Zuversicht schöpfen können.“.

9 Wann es emotional wurde

Viel ließ sich nicht ablesen aus der Mimik des Geehrten. Bewegt haben aber dürfte ihn dieser Satz schon: „Diesem Deutschland als sein Bundeskanzler zu dienen, das war und das bleibt die Ehre meines Lebens.“ Und weil er wisse, dass „man das einem Norddeutschen wie mir vielleicht nicht immer gleich im Gesicht ablesen kann“, betont er noch dazu, wie gern er die Verantwortung getragen habe.

Gerührt steht Scholz am Ende dann doch da, als er sich nach Ende des Großen Zapfenstreichs dem Publikum zuwendet, es aufsteht und mit langem warmherzigem Applaus dankt. Dann steigt der Kanzler mit Frau Britta in ein wartendes Fahrzeug und fährt ab.

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