Asylbewerber ohne Verfahren direkt an der deutschen Grenze zurückzuweisen, ist nicht nur juristisch umstritten, sondern wird auch von jenen kritisch gesehen, die davon unmittelbar betroffen wären: die Nachbarländer. Wie reagieren die am stärksten betroffenen Anrainerstaaten?
Österreich
Obwohl Österreich ein kleines Land mitten in Europa ist, bearbeitet es überproportional viele Asylanträge. Das liegt an den Fluchtrouten, die lange über Südosteuropa verliefen, und daran, dass Österreich die Verfahren rechtsstaatlich abwickelt. Im Gegensatz zum Nachbarland Ungarn, das bekannt dafür ist, das europäische Asylrecht zu missachten. Insofern sieht sich Bundeskanzler Christian Stocker von der konservativen ÖVP, wie er am Dienstag im Gespräch mit ausländischen Journalisten sagte, als „Partner“ Deutschlands, dem man „nachbarschaftlich verbunden sei“. Man habe dasselbe Problem mit irregulärer Migration und müsse „gemeinsam Vorkehrungen treffen“. Dies müsse allerdings „in Abstimmung und auf dem Boden der rechtlichen Regeln“ geschehen. Subtext von Stockers mit österreichischer Höflichkeit vorgebrachten Worten: Man werde Deutschland nicht einfach dabei unterstützen, EU-Recht zu umgehen.
Allerdings fügt Stocker auch an, dass die Zahlen derzeit ja „nicht allzu hoch“ seien. Den Subtext wiederum dahinter deutet der Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz vom Verein Asylkoordination Österreich: Die „Relevanz des Themas“ sei derzeit „schlichtweg nicht da“, sagt er. Zwar sei Österreich ein Transitland, und der größte Teil der Asylsuchenden wolle weiter nach Deutschland. Oft sei ihnen die Weiterreise von den österreichischen Behörden nicht allzu schwer gemacht worden.
Doch die Zahl der Anträge sei so niedrig wie noch nie. Im ersten Quartal 2025 wurden in Österreich gerade mal 1500 originäre Asylanträge gestellt. Zum Vergleich: Allein im Oktober 2022, als es eine große Fluchtbewegung aus Nordafrika über Serbien gab, habe man 17 000 Anträge verzeichnet. Abgesehen davon, dass er den Vorstoß des neuen deutschen Innenministers Alexander Dobrindt für rechtswidrig hält („Man kann nicht Leute einfach über die Grenze zurückschubsen“), sieht Gahleitner-Gertz darin vor allem „Kraftmeierei“, um vermeintliche Stärke zu zeigen. „Das ist ein Grenzspektakel.“
Schweiz
Die sonst eher zurückhaltende Schweizer Regierung reagierte sofort sehr deutlich auf die Ankündigung aus Berlin. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Polizei- und Justizdepartement in Bern noch am Mittwochabend auf X. Die Schengen-Staaten sollten das Migrationsproblem gemeinsam lösen. Anders als von Alexander Dobrindt dargestellt, habe es keinerlei Gespräche oder Absprachen dazu gegeben. Man erwarte, „dass der grenzüberschreitende Personen- und Warenverkehr unbeeinträchtigt bleibt“, und prüfe „gegebenenfalls Maßnahmen“. Der zuständige Bundesrat Beat Jans schlug ein Treffen auf Ministerebene vor, bisher habe es aus Berlin aber noch keine Reaktion gegeben.
Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union, aber Teil des Schengenraums. Außerdem gibt es ein bilaterales Abkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit, also zur freien Wahl des Arbeitsplatzes und Aufenthaltsorts. In dieser Hinsicht wird die Schweiz ähnlich wie ein EU-Mitglied behandelt. Bei Einreise in die Schweiz aus einem benachbarten EU-Land finden derzeit in den allermeisten Fällen keine Kontrollen statt. Bereits 2014 hatte der Schweizer Bundesrat aber vorübergehende Personenkontrollen an den Grenzen wieder möglich gemacht. Auch Warenkontrollen finden an der Schweizer Grenze regelmäßig statt.
Laut der deutschen Bundespolizei sind seit der Einführung der verstärkten Binnengrenzkontrollen im September 2024 bis Ende März 2025 an der Grenze zur Schweiz 4552 unerlaubte Einreisen festgestellt worden, 4374 davon habe man verhindert, 4330 Personen seien zurückgewiesen worden. Das sind deutlich mehr als zum Beispiel an der Grenze zu Frankreich im selben Zeitraum, dort waren es nur 1997 Personen. Der Schweizer Rundfunk nennt die Zahl von mehr als 10 000 Zurückweisungen an der Grenze zu Deutschland im vergangenen Jahr. 2024 stellten 27 740 Menschen ein Asylgesuch in der Schweiz, acht Prozent weniger als 2023.
In der Schweiz werden nach Dobrindts Ankündigung nun nicht nur mögliche Wartezeiten an der Grenze befürchtet. Das Land führt wie auch Deutschland eine hitzige Debatte über Migration. Die rechtskonservative SVP möchte gar die Schweizer Bevölkerung bei zehn Millionen deckeln. Derzeit leben neun Millionen Menschen in dem Land. Manchen wäre es deshalb ganz recht, wenn Migranten und Asylsuchende einfach grenzenlos nach Deutschland weiterziehen könnten.
<strong>Polen</strong>
An der Grenze staut es sich, besonders an Sonntagabenden, montags morgens und nach Feiertagen. Dann eben, wenn Zehntausende Polinnen und Polen zu ihren Arbeitsplätzen in der deutschen Grenzregion wollen. Umgekehrt ließ sich vor den Osterfeiertagen beobachten, wie sich auf der sächsischen A 4 Richtung Polen der Verkehr staute – weil so viele Menschen nach Hause wollten. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich die Warterei noch viel länger hinzieht, wenn diese Massen zurück nach Deutschland wollen und eine Grenzkontrolle passieren müssen, die wie an der Autobahn nahe Görlitz auf nur einem Fahrstreifen eingerichtet ist – für Pkws und Lkws gleichermaßen.
Die deutschen Grenzkontrollen haben längst den polnischen Präsidentschaftswahlkampf erreicht, am 18. Mai wird gewählt. Die rechtsnationalistische PiS-Partei tourt durch die polnischen Grenzstädte und wirft auf Kundgebungen Deutschland vor, Kriminelle vorsätzlich nach Polen abzuschieben.
Doch auch die von dem Konservativen Donald Tusk geführte Regierung in Warschau hat wenig Verständnis für die Grenzkontrollen. Tusk hatte sich schon gegenüber der Regierung Scholz ungehalten gezeigt: Die Kontrollen seien mit ihm nicht abgesprochen. Auch den neuen Bundeskanzler Friedrich Merz ließ er bei dessen Besuch in Warschau am Mittwoch wissen, dass die Erhaltung des Schengen-Raums das gemeinsame Ziel sein solle.
Tusk wirbt schon länger um Unterstützung innerhalb der EU für die Grenz- und Abwehranlagen zu Belarus und der russischen Oblast Kaliningrad. Polen solle mit der Sicherung dieser EU- und Nato-Außengrenze nicht alleingelassen werden. Hier, so Tusk, solle sich Deutschland engagieren. Nicht aber an der Binnengrenze.