Der Transfer von Florian Wirtz zum FC Liverpool bricht alle Rekorde in der Bundesliga. Bayer 04 kassiert nochmal deutlich mehr Geld als 2020 für Kai Havertz. Trotzdem sind Risiko und Herausforderung für die Bosse diesmal größer. Ein Kommentar von kicker-Reporter Stephan von Nocks.

Der Transfer von Florian Wirtz schreibt Geschichte. IMAGO/Sven Simon
Die Macher bei Bayer 04 haben ihren Job glänzend erledigt. Sie haben ihren Ausnahmekönner Florian Wirtz an den FC Liverpool und nicht an den direkten Liga-Konkurrenten aus München verkauft. Und das für eine in Deutschland noch nie dagewesene Ablöse von - inklusive Boni - etwa 150 Millionen Euro.
Eine Summe, die dem deutschen Vizemeister eine große Chance offeriert. Schließlich deklarierte Manager Simon Rolfes die inklusive Boni rund 100 Millionen Euro, die Bayer 2020 vom FC Chelsea für Kai Havertz kassierte, im Nachgang als die Grundlage, um das Double-Team von 2024 aufzubauen.
Bayer hat mehr Geld, aber auch eine schlechtere Verhandlungsposition als 2020
Trotzdem ist die Herausforderung jetzt für die Verantwortlichen deutlich größer als noch 2020. Damals hatten sich die Havertz-Millionen weit im Voraus angekündigt - und Bayer hatte diese zum Teil im Vorgriff in spätere Stützen der Double-Mannschaft wie Exequiel Palacios und Edmond Tapsoba bereits im Januar zuvor investiert. Mit Havertz' Verkauf kam nur noch Torjäger Patrik Schick in jenem Sommer als großer Zugang.
Jetzt muss Bayer zum einen gleich mehrere Top-Akteure wie Jonathan Tah, Jeremie Frimpong und eben Wirtz ersetzen. Mit dem Wissen der anderen Klubs um Bayers neue Millionen. Was die Verhandlungsposition für die Geschäftsführer Fernando Carro und Simon Rolfes sowie Direktor Fußball Kim Falkenberg verschlechtert.
Bayer hat eine deutlich größere Fallhöhe als 2020 geschaffen
Zum anderen haben sich die Bayer-Bosse seit 2020 mit den jüngsten Erfolgen und dem Aufstieg zum nationalen Titelanwärter auch durch Wirtz' Extraklasse eine deutlich größere Fallhöhe geschaffen. Geht es doch jetzt, zumindest von außen betrachtet, nicht nur darum, eine Mannschaft zu formen, die die Champions League erreicht. Diese Erwartungshaltung werden die Klub-Bosse moderieren müssen.
Für den Werksklub gilt es, seinen Status als absolutes Spitzenteam zu bestätigen. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass Bayer ohne Erfolgstrainer Xabi Alonso und mit dessen Nachfolger Erik ten Hag nur einer von vielen Anwärtern auf die Champions-League-Plätze ist. Dafür muss der Klub dem Niederländer, der nach dem enttäuschenden Aus bei Manchester United wieder reüssieren möchte, einen erfolgversprechenden Kader zur Verfügung stellen. Die finanziellen Mittel dafür sind ja vorhanden.
Dieser Transfersommer wird für die Bosse zum Balanceakt
Die Chance durch die Wirtz-Millionen ist also groß, doch die Gefahr, im ersten Jahr nach dem Abschied des Ausnahmekönners eine gefühlte sportliche Enttäuschung zu erleben, ist nicht weniger bedeutend. Die Qualifikation für die Champions League ist einerseits eine Pflichtaufgabe, andererseits würde sie nach diesem massiven Umbruch inklusive Trainerwechsel schon einen Erfolg darstellen.
Dieser Transfersommer wird für die Bosse somit zum Balanceakt. Sie müssen genug Klasse verpflichten, um gerade angesichts der aktuell ungewissen Zukunft verbliebener Top-Stars wie Granit Xhaka nicht nur Signale zu setzen, sondern auch Eckpfeiler für das nächste Spitzenteam aufzustellen.
Bayer darf den Weg mit Toptalenten nicht verlassen
Andererseits gilt es für Bayer, sich bei allem Erfolgshunger und allen Ambitionen nicht zu sehr treiben zu lassen oder sich selbst zu treiben. Der Klub darf, auch wenn der Griff in ein höheres und damit teureres Regal auf dem Transfermarkt unerlässlich ist, den für Bayer 04 unverzichtbaren Weg nicht verlassen, auch auf hochbegabte Talente und deren Potenziale zu setzen.
Diese müssen zwar erst - möglichst schnell - gehoben werden, aber nur sie können Bayer 04 auch in der Zukunft die Chance eröffnen, mit einem Mega-Transfer der Marke Havertz oder Wirtz das wirtschaftliche Fundament für ein weiteres titelreifes Team zu gießen.