"Den Männern Jahrzehnte voraus": Wie die Generation Gold den deutschen Frauenfußball an die Weltspitze brachte

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Vom Bolzplatz zum WM-Gold: Renate Lingor und Linda Bresonik erzählen im neuen kicker Podcast "Verboten gut" von ihrer Reise an die Weltspitze - von Kindheitstagen im Schatten des Männerfußballs über das legendäre Golden Goal 2003 in den USA bis zur Enttäuschung bei der Heim-WM 2011.

Die deutschen Frauen feiern den WM-Titel.

Die deutschen Frauen feiern den WM-Titel. imago images/PKP/John Todd

98. Minute, WM-Finale 2003 in Carson: Als Renate Lingor zum Freistoß antritt, ahnt noch niemand, dass dieser Moment den deutschen Frauenfußball für immer verändern wird. Lingor flankt, Künzer steigt hoch - und trifft. Das Golden Goal. Ihr Kopfball macht Deutschland zum ersten Mal zu Weltmeisterinnen. 49 Jahre nach dem Triumph der Männer 1954 in Bern hat Deutschland jetzt endlich ein weibliches Pendant zu Helmut Rahn, das heißt: Nia Künzer.

Ihre Gedanken kurz vor dem entscheidenden Moment im Finale kann Renate Lingor noch genau rekapitulieren. "Ich habe ja lange mit Nia auch im Verein gespielt. Also ich weiß schon, wenn die auf dem Platz ist, wenn jemand Kopfball kann, dann ist das Nia", erinnert sie sich.

Von der Straßenkickerin zur Weltmeisterin

Lingor wurde 1975 in Karlsruhe geboren - als "typische Straßenkickerin", wie sie sich selbst beschreibt. In einer Zeit, in der Mädchen noch nicht selbstverständlich Fußball spielten, kickte sie mit den Jungs auf der Straße. "Die Jungs haben gespielt, ich habe mitgespielt. Ich bin wirklich auf der Straße mit dem Ball groß geworden."

Dass sie oft das einzige Mädchen weit und breit war, störte sie nicht. "Das Einzige war natürlich beim Duschen, weil ich immer die Schiedsrichterkabine hatte. Das war der einzige Unterschied, den ich gemerkt habe zu meinen Jungs."

"Verboten gut - Wie Frauen den Fußball erobern" - Jetzt hier hören

1991 startete Lingor beim SC Klinge Seckach ihre Bundesliga-Karriere. Doch mit Profifußball hatte das wenig zu tun: "Bei meiner ersten Bundesliga-Station habe ich noch nicht mal Fahrtgeld bekommen." Während die Männer-Bundesliga in den 90ern durch Anbieter wie ran und Premiere einen enormen Boom erlebte, spielten die Frauen vor wenigen hundert Zuschauern - oft ohne Medienbeachtung.

Sportjournalistin Claudia Neumann, die damals für das ZDF über Frauenfußball berichtete, beschreibt die Situation: "Der Frauenfußball war ein Anhängsel des Männerfußballs. Das hatte noch keinen eigenen Wert. Wer die Männer-Nationalmannschaft einkaufte, musste quasi den Frauenfußball mit übertragen."

Schützenfest auf dem Weg zum Titel

Bei der WM 2003 in den USA sollte sich das ändern. Nach vier Europameistertiteln für die deutschen Fußballerinnen gab es nur ein Ziel: den ersten Weltmeistertitel. Die Mannschaft marschierte durch das Turnier - 4:1 gegen Kanada, 6:1 gegen Argentinien, 7:1 gegen Russland im Viertelfinale.

Das Halbfinale gegen die USA wurde zur Sternstunde: 3:0 gegen den Weltmeister und Gastgeber. "Wenn du dann gegen den Weltranglisten-Ersten, den amtierenden Weltmeister im eigenen Land gewinnst und das Stadion plötzlich ruhig wird, dann ist das schon auch cool", beschreibt Lingor das Gefühl.

Dann kam das Finale gegen Schweden. Nach dem 1:1 in der regulären Spielzeit ging es in die Verlängerung. In der 98. Minute der Freistoß - Lingors Spezialität: "Wir haben die wirklich viel trainiert. Ich möchte nicht wissen, was für einen Oberschenkel ich da hatte nach der Vorbereitung, weil ich wirklich viele Ecken und viele Freistöße geschossen habe."

Der Ball flog perfekt auf Künzer. 33 Jahre nach der Aufhebung des Frauenfußball-Verbots waren die deutschen Frauen erstmals Weltmeisterinnen. "Das ist schon eine coole Geschichte gewesen, dieses Golden Goal. Weil du da so Emotionen herauslässt. (...) Ich wusste nur nicht, wohin mit mir", erinnert sich Lingor an den Moment des Triumphs.

Podcast

Trailer: Verboten gut - Wie Frauen den Fußball erobern

Frauen und Fußball. Was heute so selbstverständlich ist, war lange Zeit ein Skandal. Vor hundert Jahren warfen Männer mit Steinen auf fußballspielende Frauen - heute sind die Fußballerinnen Superstars und Vorbilder. Wie haben sie es geschafft, diesen Weg zu gehen? Dieser Podcast erzählt ihre Geschichte. Klar, es geht um Erfolge und Niederlagen. Aber auch um Durchhaltevermögen, Mut und Kampfgeist. Es sind Geschichten, die den Wandel der Gesellschaft widerspiegeln - vom Kampf gegen Sexismus bis hin zur Forderung nach echter Gleichberechtigung. Im Podcast kommen die Frauen zu Wort, die trotz aller Widerstände Großes erreicht haben und den Fußball, wie er heute ist, geprägt haben. Pionierinnen, Kämpferinnen, Fußballerinnen - und ihre gemeinsame Leidenschaft: Einfach nur Fußball spielen. "Verboten gut - Wie Frauen den Fußball erobern" ist ein kicker Podcast präsentiert von VW. Ab dem 20. Juni in der kicker App, auf kicker.de und überall, wo es Podcasts gibt.

16.06.25 - 06:00 Uhr 02:36 Minuten

Die Titelsammlung wächst

Die "Generation Gold" war geboren. 2007 in China folgte die erfolgreiche Titelverteidigung - diesmal sogar ohne ein einziges Gegentor. "Wir waren einfach in einer bombastischen Form. Wir waren da eine Einheit", sagt Verteidigerin Linda Bresonik über das Team.

Doch 2011 bei der Heim-WM kam das jähe Ende. Im Viertelfinale gegen Japan - vor knapp 50.000 Zuschauern in der Arena Frankfurt - war Schluss. "Wir haben alle da gestanden, die Münder standen alle offen", beschreibt Bresonik den Schock nach dem 0:1.

Trotz der Enttäuschung von 2011 bleibt die Bilanz der "Generation Gold" beeindruckend: Zwischen 1989 und 2013 werden zwei Weltmeisterschaften und acht Europameisterschaften errungen. "Wenn man das wirklich nach den Jahren vergleicht, dann sind wir den Männern Jahrzehnte voraus", sagt Lingor selbstbewusst.

Die komplette Geschichte der "Generation Gold" gibt es in Folge 4 von "Verboten gut. Wie Frauen den Fußball erobern" - einem kicker-Podcast präsentiert von VW.  In der kicker App, auf kicker.de und überall da, wo es Podcasts gibt, unter anderem auf Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer.

isf

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