Im Gegensatz zum in der vergangenen Woche an dieser Stelle vorgestellten französischen Comicmagazin „Charlotte mensuel“ war es keine besondere Leistung, das Comicalbum „Krimi“ zu entdecken – es lag in jeder comicführenden Buchhandlung Frankreichs (also allen), die ich in den letzten zwei Monaten besucht habe, aus. Und das war gewiss ein rundes Dutzend. Diese Ubiquität liegt nicht an den Autoren: Weder Thibault Vermot als Autor noch Alex W. Inker als Szenarist und Zeichner sind bekannte Größen des Metiers, und die Éditions Sarbacane sind zwar ein feiner, aber auch ein kleiner Comicverlag. Aber „Krimi“ hat etwas anderes zu bieten, was in Frankreich blendend ankommt.
Der Titel verrät es teilweise schon: „Krimi“ ist ein ungewöhnlicher Name für einen französischsprachigen Comic. Aber man kennt das deutsche Wort dort – so wie womöglich auch einige deutsche Leser wissen, dass die entsprechende französische Bezeichnung „polar“ lautet. Der germanische Anklang schafft gleich die richtige Stimmung für einen Band, der sich Fritz Lang widmet, dem Filmregisseur, der weltweit zu den bekanntesten deutschen Vertretern seines Fachs zählen dürfte und eine Ikone des Stummfilms ist (ich sage nur „Metropolis“). „Krimi“ aber verweist natürlich auf seinen ersten Tonfilm, sein größtes Werk überhaupt: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931.

Das war eine relativ späte Adaption der damals reüssierenden neuen Tontechnik, aber dafür ein Meilenstein, weil Lang sein Werk zunächst wie einen Stummfilm beginnen ließ – weitgehend ohne Dialoge nämlich, allerdings mit viel atmosphärischem Klang im Hintergrund. Erzählt wird die Geschichte einer Mordserie und deren Aufklärung, locker inspiriert durch die in den späten zwanziger Jahren begangenen Verbrechen von Peter Kürten, dem „Vampir von Düsseldorf“. Und die noch etwas länger zurückliegenden Morde des noch berühmteren hannoverschen Serienkillers Fritz Haarmann waren auch inspirierend für Lang (wenn man das so sagen darf). Die Goldenen Zwanziger zeigten sich da jeweils von ihrer schwärzesten Seite.

Je mehr Nachtseite im Buch, desto lieber wird gelesen
Und die Nachtseiten der deutschen Geschichte faszinieren die Franzosen, vor allem das dortige Comicpublikum. Die Zahl der Titel, die sich mit Weimarer Republik und „Drittem Reich“ beschäftigen, kann man nicht mehr übersehen, und nähme man noch die themenverwandten Résistance-Erzählungen dazu, käme man sicher auf einen zweistelligen Marktanteil an den Neuerscheinungen. Aber „Krimi“ findet sich meist an anderer Stelle im Sortiment der Buchhandlungen – allein schon deshalb, weil sein Format ungewöhnlich groß ist. Und weil er nicht vorgibt, ein Historiencomic zu sein, sondern trotz seines Protagonisten eine fiktive Geschichte erzählt.
Gut, eine teilfiktive. Denn das, was „Krimi“ über die Dreharbeiten nicht nur von „M“ erzählt, ist bekannt. Lang trieb seine Produktionsgesellschaften mit seinem Perfektionismus regelmäßig zum Wahnsinn und seine Filme in die roten Zahlen. Auch die in den Comic integrierten Filmszenen aus „M“ halten sich streng an das, was es wirklich gibt. Geschickterweise zeichnet Inker bei stummen Momenten seine Seiten wie Scherenschnittsequenzen, was die nostalgische Anmutung ebenso verstärkt wie den Eindruck einer damals filmhistorisch bereits antiquierten Machart, während die modernste Szene, der Monolog des gestellten Mörders, genau mit der Verve gezeichnet wird, die Peter Lorre in diese unvergesslichen Minuten legte. Psychologisch ist Langs Film danach nie mehr eingeholt worden.

Eine Filmfigur steigt von der Leinwand in den Comic
Was ist dann aber fiktional? Die ganze Rahmenhandlung, die 1928 einsetzt, als Lang die Dreharbeiten zu „Die Frau im Mond“ vorbereitet. Die Eheschwierigkeiten mit seiner Frau Thea von Harbou (Drehbuchautorin vieler von Langs Filmen) sind auch noch ganz akkurat wiedergegeben, aber die Ausflüge des Regisseurs in die Berliner Unterwelt sind reine Phantasie. Angeregt dazu wird er durch eine Figur, die aus den späteren „Mabuse“-Filmen von Fritz Lang bekannt ist: Kriminalkommissar Karl Lohmann, der in „M“ seinen ersten Auftritt hatte und im Comic noch Inspektor ist – aber schon ehrgeizig. Deshalb ermittelt er in unkonventioneller Weise und sehr zum Missfallen seiner Vorgesetzten, und in Lang hat er jemanden, der durch seinen Drogenkonsum mit Kreisen in Verbindung kommt, die für einen Polizisten interessant sind. Bald steckt der Regisseur bis über beide Ohren mit im Sumpf.

Die Krimihandlung von „Krimi“ ist gut erdacht, aber was den Band erst richtig stark macht, ist das Zeitkolorit. Ein paradoxes Wort für einen Comic, der schwarz-weiß daherkommt, wie mit Kohlestaub bedeckt. Aber gezeichnet ist er, als hätten Grosz, Beckmann und Dix sich mal an Comics versucht (und das Bauhaus hat auch ein gerüttelt Maß an Einfluss auf Dekors und Seitenarchitektur). Die Geschichte umspannt letztlich anderthalb Jahrzehnte, bis zu einem Zeitpunkt im Zweiten Weltkrieg, zu dem die Judendeportationen aus Berlin laufen und sich unter den Todgeweihten auch Karl Lohmann findet – und unter den Nazihäschern eine andere Figur aus „Krimi“. Der Untertitel des Lang-Films, „Die Mörder sind unter uns“, war der Leitfaden beim Verfassen dieses Comics.

Die inhaltliche Parallele zu einem deutschen Meisterwerk
Es ist verblüffend, dass diese Filmgeschichte über deutsche Filmgeschichte just in dem Moment kommt, wo hierzulande die bekannteste Geschichtschronistin des deutschen Comics, Isabel Kreitz, gerade ihren Band „Die letzte Einstellung“ über die Arbeit Erich Kästners in Kriegszeiten für die Ufa vorgelegt hat. Von Kreitz stammen auch die Bilder zum Comic „Haarmann“ über den erwähnten Massenmörder, den Inker sicher gekannt haben wird. Was ihn und die deutsche Kollegin unterscheidet, ist ihr Formverständnis: Der Franzose imitiert die filmische Erzählweise, ganz so, wie es auch Hans Hillmann in seinem bahnbrechenden Bildband „Fliegenpapier“ tat (das Titelbild zu „Krimi“ darf man als Hommage an Hillmanns Pioniertat von 1982 ansehen). Kreitz dagegen verweigert sich ihr gerade und hält ihre Comic-Ästhetik eigenständig.
„Krimi“ ist aber gerade deshalb für ein großes Publikum zugänglicher; kein Zufall, dass der Band beim Splitter Verlag schon auf Deutsch angekündigt ist; voraussichtliches Erscheinungsdatum: 20. Dezember. Hoffentlich wagt man sich dann auch an dasselbe ungewöhnlich große Format wie in Frankreich, denn wenn schon filmisch erzählt wird, braucht es auch die große Leinwand – wenn auch im Hochformat.