Comic-Kolumne: Ken Krimsteins „Einstein in Kafkaland“

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Vor fünf Jahren kam ein Comic heraus, der sich zu einem Welterfolg (bislang neun Übersetzungen aus dem Englischen in andere Sprachen) entwickelte, aber in Deutschland noch einmal ganz besonders begeisterte: Ken Krimsteins „Die drei Leben der Hannah Arendt“. Ich war damals weniger angetan, wie man an dieser Stelle nachlesen konnte, aber das hat dem Absatz des Buchs nicht geschadet. Und so wird es nun wohl auch bei Krimsteins neuer Publikation sein: „Einstein in Kafkaland“, jetzt erschienen im Kjona Verlag, der damit sein Comicdebüt hat. Ein weiterer Literaturverlag, der sich am bebilderten Erzählmetier versucht.

Gut, Krimsteins Comic kommt etwas spät. Nicht für Kjona, allerdings für Kafka. Das Gedenkjahr zum hundertsten Todestag ist vorbei, aber vielleicht ist es für die Aufmerksamkeit des Publikums gar nicht schlecht, dass die deutsche Übersetzung (diesmal übrigens nicht von Hans Zischler, sondern von Nadine Püschel) ihre Zeit brauchte und damit der letztjährigen Kafka-Schwemme auf dem Buchmarkt entgangen ist. In Amerika, wo die gedenkbedingte Publikationsdichte zu Kafka deutlich geringer war, kam der Band dagegen passgenau 2024 heraus – mit einem Untertitel, der hierzulande gar nicht erst übersetzt wurde: „How Albert Fell Down the Rabbit Hole and Came up with the Universe“. Womöglich meinte man bei Kjona, das nähme etwas zu viel von dem vorweg, mit dem man ja bei der Lektüre noch überraschen will.

Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausDie Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Deutlich machen Ober- und Untertitel jedenfalls die literarische Referenz für Krimstein: Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“. Das ist nun kein sonderlich origineller Ansatz im Comic. Nicolas Mahler hatte schon 2013 Carrolls Buch mit dem Werk des österreichischen Schriftstellers H. C. Artmann kurzgeschlossen und dabei grafisch einiges veranstaltet, was tatsächlich buchstäblich eine Anschauung dessen bot, was Carrolls wilde Phantastik in unseren Vorstellungen auslöst.

Die Imagination eines persönlichen Gesprächs

Etwas Vergleichbares (zu Carroll, aber auch zu Mahler), das sei schon einmal gesagt, gelingt Krimstein nicht. Der 1958 geborene amerikanische Cartoonist ist seit „Die drei Leben der Hannah Arendt“ kein gefälligerer Zeichner geworden, und für Seitenarchitektur hat er wenig Gespür. Wer also grafische Originalität sucht, ist fehl am Platz mit diesem Band. Inhaltlich ist dagegen deutlich mehr los.

Das Cover zu „Einstein in Kafkaland“Das Cover zu „Einstein in Kafkaland“Ken Krimstein/Kjona Verlag

Ausgangspunkt des Ganzen war für Krimstein der erzählerische Reiz, den eine Begegnung von Kafka mit Albert Einsteins Denken in ihm auslöste. Die fand am 24. Mai 1911 in der Universität von Prag statt, als der erst seit wenigen Wochen in der böhmischen Hauptstadt lebende und lehrende Physiker über die Lichtgeschwindigkeit referierte. Kafka war bei diesem Vortrag anwesend, wenn man seinem Biographen Reiner Stach glauben darf (und dem kann man alles glauben, was Kafka angeht), aber zu einem persönlichen Gespräch kam es wohl nicht. Das jedoch imaginiert nun Krimstein in seinem Comic für den Abend des gleichen Tages in der Prager Wohnung von Berta Fanta, wohin Einstein nach seinem Auftritt eingeladen war. Und da Kafka wiederum zum Kreis der Habitués in Fantas Salon zählte, ist es zumindest keine unplausible Annahme, dass sich beide Männer dort doch noch kennengelernt haben könnten, obwohl es keine Belege dafür gibt. Faszinierende Idee: Der Naturwissenschaftler, der unsere Vorstellungen von der Welt so gründlich umgekrempelt hat wie kein Zweiter seines Fachs, trifft auf den Schriftsteller, der unsere Vorstellungen von uns selbst so gründlich umgekrempelt hat wie kein Zweiter seines Fachs.

Lob des Gegenspielers

Krimstein will aber noch viel mehr, als diese Begegnung zu schildern – nur elf Seiten von zweihundert nimmt er sich dafür. Was ihn erkennbar noch mehr interessiert, ist die beidseitige Faszination für die Unsicherheit unseres Weltbildes. Einstein steht dabei viel mehr im Fokus als Kafka; im Comic wird die Genese des Siegeszugs der Relativitätstheorie anhand der sechzehn Monate erzählt, die Einstein mit seiner Familie in Prag verbracht hat. Es war eine zentrale Phase in seiner Karriere, die damals noch nicht zu dem Ruhm geführt hatte, die ihn bald nach Berlin ans Kaiser-Wilhelm-Institut und schließlich, verfolgungsbedingt, nach Princeton führen sollte. Aber berüchtigt war Einstein in seiner Zunft damals bereits. Auch davon erzählt Krimstein. Und den damaligen großen Gegenspieler Einsteins auf dem Feld der theoretischen Physik, den in Göttingen lehrenden Privatdozenten Max Abraham, macht der Comic zu einer eindrucksvollen Figur.

 Seite 180 aus Ken Krimsteins ComicKafkamond über Kafkaland: Seite 180 aus Ken Krimsteins ComicKen Krimstein/Kjona Verlag

Krimstein erzählt auch von Einsteins Ehekrise. Und von Einsteins Selbstzweifeln. Und von Einsteins Beharrungsvermögen. Wobei der eigentliche Erzähler im Comic ein Skelett ist, ausgeliehen als Figur von der astronomischen Uhr des Prager Rathauses. Man darf es als gewagt bezeichnen, ein beim Publikum derart fest mit dem Tod konnotiertes Symbol mit dieser Rolle zu betrauen, aber es geht Krimstein auch um einen Kommentar zur menschlichen Vergänglichkeit selbst der Allergrößten. Trotzdem ist die Entscheidung für diese Erzählinstanz etwas zu originell, als dass sie überzeugte.

Hingerissen hat mich nur eine einzige Seite: die hundertachtzigste, also kurz vor Schluss. Sie ist stumm, und nach der Dialog- und Anmerkungsfülle der 179 Seiten zuvor kommt das als Wohltat daher. Vor allem aber simuliert Krimstein hier einmal die ästhetische Grundstimmung seiner Handlungszeit, indem er die Linienführung von damals prägenden Zeichnern wie Grosz oder Feininger aufnimmt, der Mondsichel über Prag das Gesicht von Kafka gibt, als wollte er „Krazy Kat“ zitieren, und eine Art Caligari-Perspektivverschiebung vornimmt. Hier kommen Gestaltung und Inhalt einmal voll zur Deckung.

Wissensvermittlung zählt hier mehr als Lesevergnügen

Ansonsten erkennt man zu sehr Masche in Krimsteins Machart: die blassen Zusatzfarben (grünblau, beigegelb), die zu sehr nach Fotos und anderen historischen Quellen modellierten Gesichter, die wenig originellen splash pages. Und immer eine sehr bedeutungsvolle Sprache, nicht nur aus dem Mund des Todes. Wenn man damals in Prag so geredet hätte, fragt man sich, warum Kafka oder auch Max Brod so anders schreiben konnten. Es wird unendlich viel erklärt in den Dialogen des Comics – klassischer Fehler einer faktengesättigten Geschichte, die lieber Wissen als Lesevergnügen vermitteln will. Bei Carroll hätte Krimstein lernen können, wie es anders geht, aber so weit reichte die Bewunderung für „Alice im Wunderland“ dann doch nicht.

Am Schluss dann der auch schon aus dem Hannah-Arendt-Buch bekannte Anmerkungs- und Erläuterungsteil, doch leider ist es ein Missverständnis, dass akribisch ausgewiesene Grundlagen des Erzählens das Erzählte überzeugender machen. Was nicht aus den Bildern oder Texten unmittelbar zu uns spricht, ist für Belletristisches verloren. Und das war es doch, was Ken Krimstein anstrebte, nicht eine Form der Wissenschaft, selbst wenn er über Physik erzählt. Dabei ist Einsteins Physik eine metaphorisch derart aufgeladene, dass sie wie kaum eine andere Wissenschaft auch zum Erzählen taugt. Das belegt ein Sachbuch wie Thomas de Padovas „Allein gegen die Schwerkraft“ von 2017, das sich grandios und bestens lesbar mit Einstein und dessen Theorie im Ersten Weltkrieg beschäftigt, bildermächtig auch ohne Panels. „Einstein in Kafkaland“ ist dagegen inhaltlich und grafisch kunstgewerblich. Relativ unbedeutend, wenn man den Begriff hier verzeiht.

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