Champions-League: FC Bayern München besiegt Paris Saint-Germain – Europas Nummer eins, vorerst

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 »Der Nikolaus war noch nie der Osterhase«

Spieler des FC Bayern jubeln nach dem Sieg gegen PSV: »Der Nikolaus war noch nie der Osterhase«

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Bahho Kara / Kirchner-Media / IMAGO

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Die Ränge im Prinzenpark hatten sich schon gut zur Hälfte geleert, da stand die Mannschaft des FC Bayern noch vor dem Block mit den Gästefans. Arm in Arm, Schulter an Schulter, die Spieler sangen und tanzten, sie hüpften und ballten die Fäuste, sie ließen sich feiern vom mitgereisten Anhang. Und das nach diesem 2:1-(2:0)-Erfolg gegen PSG absolut zurecht. Weil sie den amtierenden Titelträger der Champions League auswärts völlig verdient besiegten. Weil sie in der Tabelle der Ligaphase nun Spitzenreiter sind. Und in Europas Fußball derzeit unbestritten die Nummer eins.

Zumindest jetzt. Anfang November. In der Mitte des Herbsts.

Mit 15 Siegen aus 15 Pflichtspielen waren die Bayern nach Paris gereist, der 16. Sieg im 16. Spiel war gewiss der imposanteste Erfolg in dieser Saison. Aufgrund zweier Hälften, in denen das Team mit komplett unterschiedlichen Qualitäten überzeugte.

In der ersten Hälfte, weil sie hoch und aggressiv verteidigten, ihre Gegenspieler extrem früh anliefen. Weil sie lästig waren. Weil sie Paris massiv auf die Nerven gingen. Und weil sie hellwach gegnerische Spielzüge schnell antizipierten.

Exemplarisch, wie Dayot Upamecano einen Pass auf Ousmane Dembélé frühzeitig erahnte, um den Ball zu erobern. Wenige Sekunden später fiel das 1:0 der Bayern. Beeindruckend war auch, wie variabel sie in ihrem Positionsspiel waren. Nach sieben Minuten schlug Harry Kane aus dem defensiven Mittelfeld einen Steilpass auf Konrad Laimer. Der Rechtsverteidiger stand auf der Mittelstürmerposition.

Und nach einer halben Stunde stand plötzlich Linksverteidiger Josip Stanisic vorn rechts an der Eckfahne. Er attackierte Willian Pacho, der einen unkontrollierten Pass spielte. Es war der Beginn einer Pariser Fehlerkette, die zum Münchner 2:0 führte. So war das Bayern-Spiel in der ersten Hälfte.

Hurra, wir können auch Beton

Wäre Thomas Müller an diesem Abend noch dabei gewesen, er hätte später vor den Mikrofonen zur Beschreibung der Qualitäten seiner Mannschaft vermutlich mehrfach unaufgefordert sämtliche seiner drei Lieblings-Adjektive benutzt. Giftig, griffig, gallig. So waren die Bayern in Hälfte eins.

In Hälfte zwei änderte sich nach dem Platzverweis gegen Luis Diaz die Statik des Spiels enorm. Paris rannte an, Bayern verteidigte leidend und leidenschaftlich zu zehnt im und um den eigenen Strafraum und fing sich nur noch ein Gegentor. Die Bayern schoben den Riegel vor, fast wie aus dem Lehrbuch des guten alten Catenaccio. Was den Münchnern zeigte: Hurra, wir können auch Beton.

 Die Bayern in Unterzahl

Platzverweis für Luis Diaz: Die Bayern in Unterzahl

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Ein Erkenntnisgewinn, der etwa Max Eberl sehr beglückte. Der Sportvorstand nahm interessantes Vokabular in den Mund, wie etwa »Boxverteidigung, verschieben, abgleichen, nach außen schieben«. Dass man das alles beherrscht habe, und dass es ein weiterer Schritt gewesen sei. Denn »wir wissen nun, wenn wir nur verteidigen müssen, dann können wir das auch.«

Josip Stanisic verriet darüber hinaus, wie sehr sich sein Trainer in der Kabine gefreut habe. »Weil wir nicht nur schön gewinnen, sondern auch, wenn wir 45 Minuten verteidigen können.«

Als sei ihnen der Platzverweis von Diaz sogar noch entgegengekommen. Dann konnten sie eine Halbzeit mal trainieren, wie das ist, wenn man sich gegen eine Spitzenmannschaft nur hinten reinstellt. Ein Testlauf für den Ernstfall.

Denn bei aller Freude über den bravourösen Erfolg, bei aller Genugtuung, neben dem Klubweltmeister FC Chelsea nun auch den Titelverteidiger in der Champions League geschlagen zu haben, bei aller berechtigten Euphorie über die momentane Form: Bis es wirklich zählt, bis der Ernstfall wirklich eintritt, ist es noch ein weiter Weg.

»Der Nikolaus war noch nie der Osterhase«

Es ist genau 19 Jahre her, Anfang November 2006, da lag der FC Bayern in der Bundesliga auf Rang drei. Der Spitzenreiter hieß Werder Bremen, als Uli Hoeneß einen unvergessenen Satz sagte. »Der Nikolaus war noch nie der Osterhase.« Er meinte damit, dass ein Tabellenstand zu diesem Zeitpunkt noch rein gar nichts aussagt über das Endklassement im Frühjahr. Womit er auch recht behielt. Der Meister im Mai 2007 hieß nämlich VfB Stuttgart. Und die Bayern wurden Vierter.

Es gibt auch in der Champions League viele mahnende Beispiele. In Zeiten der alten Gruppenphasen stellten die Bayern reihenweise Vorrunden-Rekorde auf, stürmten oft ungeschlagen ins Achtelfinale. Um dann aber doch nicht das Finale zu erreichen.

Und auch in der Vorsaison dominierte ein Klub die gesamte Ligaphase. Das war der FC Liverpool, der als haushoher Favorit auf den Henkelpott in die K.-o.-Phase einzog. Im Achtelfinale flog Liverpool dann raus. Übrigens gegen Paris Saint-Germain, das sich zuvor erst durch die Playoffs quälen musste.

»Wir können uns es nicht wünschen, wir sind erst im November und nicht erst im April oder Mai«, wusste auch Eberl nach Abpfiff am Dienstag, und auch Joshua Kimmich betonte, dass es »viel zu früh« sei, über die Titel zu sprechen. »Viele Mannschaften waren im November schon gut in Form. Am Ende entscheidet es sich aber erst im März, April und Mai.«

Oft war am Dienstag kurz vor Mitternacht zu hören, wie die Mannschaft durch solche Erfolge immer mehr zusammenwachse. »Die Art und Weise, wie wir als Gruppe agieren, da ist richtig was am Entstehen«, meinte Sportvorstand Eberl. Und Spielmacher Kimmich machte sogar den kleinen Kader mitverantwortlich für die gute Grundstimmung. Denn: »Jeder kennt seine Rolle, jeder ist wichtig«. Und: »Momentan werden wir für die harte Arbeit belohnt.«

Momentan schon noch. Aber auch langfristig?

»Eine der intensivsten Halbzeiten meiner Karriere«

Kimmich sprach über die erste Hälfte am Dienstag als »eine der intensivsten Halbzeiten meiner Karriere. So nach 25 Minuten habe ich mal nach oben geguckt und dachte, wir kippen gleich um.« Lässt sich so eine Intensität also langfristig durchhalten? Gerade angesichts der nach wie vor so dünnen Personaldecke?

Sicher, in der Liga lässt sich auch mal rotieren. Das zeigte das 3:0 am Samstag gegen Bayer Leverkusen, als Kompany viele seiner Stammkräfte schonte. Gegen den Vizemeister reichte es auch so ganz leicht. Und ja, mit den Langzeitverletzten Jamal Musiala und Alphonso Davies werden wohl spätestens nach Jahreswechsel wieder wichtige Spieler zurückkommen.

Und doch bleiben wie immer im Fußball offene Fragen. Was, wenn es doch mal erste Niederlagen kommen? Wenn sich weitere Spieler verletzen? Am Dienstag erinnerte man sich noch an einen Satz von Kimmich, keine zehn Monate her, nach dem blamablen 0:3 bei Feyenoord Rotterdam. Damals sagte er, der FC Bayern sei keine europäische Spitzenmannschaft. Das sind sie nun in jedem Fall, sie sind nun der Maßstab in Europa. Aber eben erst einmal nur jetzt.

PSG-Stürmer Khvicha Kvaratskhelia meinte nach Spielende, die Bayern seien der härteste Gegner der Saison gewesen und derzeit auch die beste Mannschaft in Europa. Aber bis zu den K.-o.-Spielen und bis zur Titelvergabe sei es noch »a long journey«. Eine lange Reise. Bis zu deren Ende kann noch viel passieren.

Das Finale der Champions League in Budapest steigt am 30. Mai 2026. Die Reise für den FC Bayern bis zum ersehnten Ziel dauert also noch mehr als ein halbes Jahr. Im Moment sind sie auf dem richtigen Weg. Aber erst dann wird man sehen, ob sie wirklich durchhalten.

Ob der Nikolaus zum Osterhasen wird.

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