Markus Söder, CSU-Chef, bayerischer Ministerpräsident und Bratwurst-Blogger aus Leidenschaft, hat unbestritten einige Talente. Ob allerdings das Vortragen von Komplimenten dazu gehört, dürfte zumindest Jens Spahn am Montagabend kurz angezweifelt haben.
Die Fraktionssitzung ist vorbei, Spahn hat Aufstellung genommen vor der türkisfarbenen CDU-CSU-Wand auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes und wartet jetzt darauf, dass er etwas sagen darf. Gerade haben die Abgeordneten von CDU und CSU ihn zum Nachfolger von Friedrich Merz an der Fraktionsspitze gewählt, der bekanntlich seinerseits am Dienstag vom Bundestag zum Kanzler gewählt werden will. Es ist ein großer Moment für Spahn, der seit mehr als 20 Jahren im Bundestag sitzt, schon Parlamentarischer Staatssekretär und Minister war, und trotzdem erst 44 Jahre alt ist.
„Er kann auch loyal“, sagt Söder über Spahn
Eben hat Merz Spahns Wahlergebnis von 91,3 Prozent in seinem Statement vor der Presse als großartig bezeichnet. Unter den 197 abgegebenen Stimmen waren 178 Ja-Stimmen für Spahn, 17 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Nun ist Söder an der Reihe.
Spahn, sagt also der CSU-Chef, habe „viele, viele Vorteile“, zum Beispiel dass er CSU-Gastmitglied sei. „360 Grad anspielbar“ sei Spahn, „für jedes Thema ein echter Allrounder“, und ja, das würde er auch sagen: „Er kann auch loyal.“
Vielleicht, diese Möglichkeit kann man selbst bei Söder nicht ausschließen, wollte der CSU-Chef Spahn einfach nur vorsorglich in Schutz nehmen gegen dessen Kritiker. Schließlich eilt Spahn im politischen Berlin der Ruf voraus, dass er, wenn es hart auf hart kommt, halt doch lieber ehrgeizig als loyal ist. Vielleicht aber wollte Söder dem neuen starken Mann an der Spitze der Fraktion auch auf Söder-Art signalisieren, dass man ihn genau im Blick haben werde, von Bayern aus.
So oder so ist mit dem Montagabend klar: Spahn ist jetzt ganz oben angekommen in der Union.
Seine erste Prüfung wird sein Umgang mit der nun gesichert rechtsextremistischen AfD
Die erste Prüfung für ihn ist ebenfalls schon absehbar: der Umgang mit der erstarkten AfD im Bundestag. Zuletzt hatte Spahn für eine Kontroverse gesorgt, als er sich dafür aussprach, mit der AfD so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch. In der vergangenen Legislaturperiode war das im Bundestag nicht der Fall; die Kandidaten der AfD sind beispielsweise bei den Wahlen für das Bundestagspräsidium oder für Ausschussvorsitze regelmäßig durchgefallen.
Nachdem nun jedoch der Verfassungsschutz die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat, korrigierte Spahn seine Position. Schon am Sonntagnachmittag schrieb er auf der Plattform X, dass sich Union und SPD zum Umgang mit der AfD in den parlamentarischen Abläufen „selbstverständlich eng abstimmen“ und „in allen Fragen gemeinsam vorgehen“ würden.
Am Montag sagte er nach seiner Wahl, der Bericht des Amtes für Verfassungsschutz habe die Lage verändert. Der Bericht werde nun sorgfältig ausgewertet, dann werde man in der Koalition gemeinsame Schlussfolgerungen ziehen. „Aber daraus folgt eben auch für uns gemeinsam, Union wie SPD, dass es keine Empfehlung geben wird, AfD-Abgeordnete zur Ausschussvorsitzenden zu wählen.“
Gegenüber Merz war Söder voll des Lobes – ganz ohne doppelten Boden
Auch Merz betonte nach der Fraktionssitzung, dass es für ihn als Parlamentarier spätestens seit der Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichts „unvorstellbar“ sei, Abgeordnete der AfD im Bundestag zu Ausschussvorsitzenden zu wählen. Gefragt nach einem möglichen AfD-Verbotsverfahren sagte er, dass er vor der Auswertung des Berichts persönlich keine Empfehlungen geben wolle „für weitere Schlussfolgerungen seitens der Regierung“.
Schon in der Fraktionssitzung soll Spahn Teilnehmerkreisen zufolge gesagt haben, die AfD-Abgeordneten seien keine Bürgerlichen: „Mit denen haben wir nichts gemein“. Es gebe nur eine Chance, die AfD kleinzumachen, nämlich gut zu regieren.
Abgesehen davon aber stand die Fraktionssitzung vor allem im Zeichen des Wechsels von der Opposition in die Regierung. „Wir haben eine gute Mannschaft in der Regierung“, soll Merz laut Teilnehmerkreisen gesagt und damit auch das SPD-Personal gemeint haben, das am Morgen vorgestellt worden war. SPD-Chef Lars Klingbeil habe Mut bewiesen bei seinen Personalentscheidungen, so Merz.
Spahn wiederum sagte Teilnehmern zufolge in Richtung des designierten Bundeskanzlers: „Es ist maßgeblich dein Verdienst, Friedrich, dass wir nach dreieinhalb Jahren wieder die Regierungsverantwortung übernehmen.“ Auch Söder soll voll des Lobes für Merz gewesen sein. „Die Union ist ab morgen wieder in der Regierung. Das finde ich sensationell“, soll er gesagt haben. Ein Kompliment, ganz ohne doppelten Boden.