Es ist ein Bündnis, dessen Partner unterschiedlicher kaum sein könnten, und trotzdem kommt es nur mit Mühe und Not auf eine dünne Mehrheit. Aber nach dem, was Bulgarien in den vergangenen drei Jahren erlebt hat, darf die Tatsache, dass sich nun überhaupt eine Regierungskoalition formiert hat, schon als bahnbrechende Neuigkeit gelten.
Das Bündnis, das am Donnerstagnachmittag mit knapper Mehrheit des Parlaments in Sofia abgesegnet wurde, spannt Parteien zusammen, die einander bislang alles andere als harmonisch begegnet sind. Die führende Partei darin ist die konservative, proeuropäisch auftretende und mit Korruptionsvorwürfen belegte Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (Gerb). Deren Vorsitzender Bojko Borissow war bereits dreimal Ministerpräsident des Landes (seine letzte Amtszeit endete 2020 nach massiven Anti-Korruptions-Protesten) und ist bis heute die unbestrittene Führungsfigur der Partei, allerdings weigerten sich die beiden kleineren Koalitionspartner, ihn als Regierungschef zu akzeptieren.
Deshalb übernimmt stattdessen der frühere Verkehrsminister und Parlamentsvorsitzende Rossen Scheljaskow das Amt. Der Gerb-Mann aus der zweiten Reihe bezeichnet seine eigene Personalie als Kompromiss: In der Politik müsse man immer abwägen, „welcher Kompromiss der wichtigere ist“, hatte er vor seiner Ernennung gesagt. „Und das größte Zugeständnis unsererseits ist, dass ich die Position übernehme und nicht unser Vorsitzender Bojko Borissow.“
Sein Ziel: „Wiederherstellung guter Regierungsführung“
Scheljaskow will sich in seiner Amtszeit sehr grundsätzlichen Dingen widmen, etwa der „Wiederherstellung guter Regierungsführung in Bulgarien“. Die hat das Land in der Tat nötig: Seit April 2021 wurde siebenmal gewählt, und nie kam anschließend eine stabile Regierungsmehrheit zusammen. Bei der letzten Abstimmung im Oktober 2024 zeigte sich, wie desillusioniert offenkundig viele Bulgarinnen und Bulgaren inzwischen von ihrer Demokratie sind: Von den Berechtigten gingen nur 35 Prozent überhaupt an die Urne.
Unter denen, die mitmachten, kam die seit Jahren von Korruptionsskandalen erschütterte Gerb mit 25,5 Prozent auf meisten Stimmen. Sie bildet nun mit zwei Partnern die künftige Regierung: zum einen mit der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), die aus der bis 1990 herrschenden kommunistischen BKP hervorgegangen ist und sich ihre Moskaunähe bis heute erhalten hat; bei der Wahl im Oktober hatte sie 7,3 Prozent der Stimmen erhalten. Und zum anderen mit der populistischen und ideologisch flexibel auftretenden Partei „Es gibt da so ein Volk“ (ITN) des Sängers und Fernsehmoderators Slawi Trifonow, die auf 6,6 Prozent kam.
Die Sitze der drei Koalitionspartner zusammengerechnet ergeben noch immer keine Mehrheit im Parlament, weshalb sie für die Billigung ihrer Regierungsbildung am Donnerstag die Stimmen einer weiteren Fraktion brauchten: jene der Allianz für Rechte und Freiheiten (DPS), die die Interessen der türkischen Minderheit in Bulgarien vertritt. Die DPS hat zugesagt, die Dreierkoalition duldend zu unterstützen.
Die Unabhängigkeit der Justiz bleibt eine Großbaustelle
Nicht zum Zug kam bei der Regierungsbildung das prowestliche Bündnis „Wir setzen den Wandel fort“, das bei der Wahl im Oktober mit 16 Prozent der Stimmen auf Platz zwei gelandet war und von Dezember 2021 bist August 2022 in dem Kiril Petkow den Regierungschef gestellt hatte. Vergangene Woche nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Petkow erhoben: Sie wirft ihm vor, sein Amt missbraucht zu haben, indem er im März 2022 die Verhaftung des Gerb-Chefs Borissow unterstützt habe. Borissow war seinerzeit wegen Korruptionsvorwürfen 24 Stunden lang festgehalten und dann wieder freigesprochen worden. Petkow weist alle Vorwürfe angeblichen Fehlverhaltens zurück, bezeichnet die Anklage als „politische Attacke“ und wirft der Staatsanwaltschaft vor, sich instrumentalisieren zu lassen.
Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Tat eine Großbaustelle in der bulgarischen Demokratie – im November erst fror die EU-Kommission die Auszahlung von Aufbaugeldern an Bulgarien ein, weil das Land seinen Verpflichtungen etwa in der Korruptionsbekämpfung nicht nachgekommen sei.
Ob die neue Kompromiss-Regierung da allzu große Fortschritte erzielen kann, ist zumindest fraglich. Aber der neue Ministerpräsident Rossen Scheljaskow, der als enger Vertrauter von Borissow gilt, hat zumindest ein ehrgeiziges Ziel: Er will Bulgarien zu einem Mitglied der Eurozone machen.