Berlin: 500.000 neue Bäume für die Hauptstadt, obwohl kein Geld dafür da ist

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 Es fehlt an Geld und es fehlt an Flächen

Berlin-Mitte: Es fehlt an Geld und es fehlt an Flächen

Foto: A. Tamboly / Westend61 / picture alliance

An Schreckensnachrichten und Hiobsbotschaften aus der deutschen Hauptstadt mangelt es nicht. Die Pro-Kopf-Verschuldung lag im vergangenen Jahr bei fast 18.000 Euro und wird auch zukünftig deutlich steigen, weil die öffentlichen Ausgaben Rekordhöhen erreichen. Straßen und Schienenwege befinden sich mancherorts in einem desolaten Zustand, außerdem fehlt es an Schulen, Kitas und vor allem an bezahlbarem Wohnraum für die Zuzügler. Mindestens 20.000 neue Wohnungen müssten eigentlich pro Jahr gebaut werden, doch dieses Ziel scheint mit Blick auf die Vergangenheit eher illusorisch.

Man glaubt es kaum, dass sich die Stadt ausgerechnet in so einer Situation ein Zusatzprojekt leistet, das nicht nur teuer ist, sondern auch reichlich Platz benötigt – das sogenannte Baumgesetz.

Das Berliner Abgeordnetenhaus beschloss am Mittag, bis 2040 unter anderem mehr als 500.000 neue Bäume zu pflanzen, das Regenwassermanagement zu verbessern und Hunderte Miniparks und »Kälteinseln« anzulegen, die an Hitzetagen für Abkühlung sorgen sollen. Das alles wird mindestens 3,2 Milliarden Euro verschlingen, wahrscheinlich aber deutlich mehr.

Geld aus dem Sondervermögen?

Die Zustimmung im Abgeordnetenhaus war dennoch überwältigend, denn abgesehen von der AfD, die sich enthielt, stimmten neben der schwarz-roten Regierungskoalition auch die Grünen und die Linke dem sogenannten BäumePlus-Gesetz zu. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einem »guten Tag für Berlin« und einem »wichtigen Investment« in die Zukunft. Woher das Geld und die Flächen für die vielen zusätzlichen Grünpflanzen und -flächen kommen sollen, verriet er noch nicht, denn das ist alles noch weitgehend ungeklärt.

Es kursiert die Idee, das Vorhaben aus dem Sondervermögen des Bundes zu finanzieren, mit dem vorwiegend Infrastrukturmaßnahmen auf den Weg gebracht werden sollen; Berlin wird daraus in den kommenden zwölf Jahren 5,25 Milliarden Euro erhalten. Doch daran wurde Kritik laut, nicht nur aus den Reihen der AfD, sondern auch aus der Regierungsfraktion: »Ich würde persönlich nicht dafür werben, dass man die Hälfte des Sondervermögens für neue Bäume einsetzt«, sagt Denny Freymark, umweltpolitischer Sprecher der CDU in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenportal rbb24. Im Zweifel sei die Sanierung einer kaputten Brücke wichtiger.

Flucht nach vorn

Das Gesetz ist keine Idee einer politischen Partei, sondern geht auf den Verein BaumEntscheid zurück, zu dessen Gründern unter anderen der Umweltaktivist Heinrich Strößenreuther zählt. Die Gruppierung trat vor etwa zwei Jahren auf den Plan und nahm sich vor, die Stadt zu einem massiven Ausbau des Baumbestandes zu bewegen, wenn nötig über einen Bürgerentscheid. Umfragen deuteten darauf hin, dass ein solcher Entscheid eindeutig zugunsten von mehr Grünpflanzen und -flächen ausgegangen wäre, über alle politischen Lager hinweg und allen Umsetzungsproblemen zum Trotz. Insofern war es eine Art Flucht nach vorn, die das Abgeordnetenhaus unternahm. »Die Politik war gut damit beraten, den Entscheid zu verhindern«, sagte Strößenreuther nach der Abstimmung.

 »Der Politik genau auf die Finger schauen«

Umweltaktivist Strößenreuther: »Der Politik genau auf die Finger schauen«

Foto: Marlena Waldthausen / DER SPIEGEL

Ziel des neuen Gesetzes ist es, den Baumbestand zu verdoppeln. Dies sei die effektivste Methode, um den Menschen das Leben in der Metropole angenehmer zu gestalten, argumentieren die Vereinsmitglieder. Bäume spenden Schatten und filtern Schadstoffe aus der Luft. Vor allem aber kühlen sie ihre Umgebung, indem sie reichlich Wasser aus dem Erdreich ziehen und es über ihre Blätter verdunsten: Rings um einen Baum herum kann es teilweise sechs Grad Celsius kühler werden als zur gleichen Zeit auf versiegelten Flächen ohne Pflanzen.

In Jahren mit vielen Tagen über 30 Grad Celsius verzeichnet Berlin zahlreiche Hitzetote, allein 2022 wurden 416 Todesfälle im Zusammenhang mit solch hohen Temperaturen gezählt, zwölfmal mehr als Verkehrstote. Besonders gefährdet sind Kranke und Senioren, von denen es stetig mehr geben wird.

Arme Nachbarschaften leiden besonders unter Hitze

Der Kampf gegen die Hitze ist auch eine soziale Frage, denn die Bewohner armer Stadtviertel leiden überdurchschnittlich unter Hitze, ergab eine Studie aus dem vergangenen Jahr, an der Forschende der Technischen Universität Berlin beteiligt waren. Menschen mit wenig Geld erhielten »unterdurchschnittliche grüne Kühlung«, weil es in ihrer Nachbarschaft meist weniger Pflanzen, dafür aber mehr Beton und Emissionen gebe, schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Arbeit.

Es gibt insofern gute Gründe, so viele Grünflächen und -pflanzen wie möglich anzubieten. Das Problem ist nur, dass es heutzutage nicht mehr ganz so einfach ist, Zusatzflächen für Miniparks zu finden oder neue Bäume zu pflanzen. Grünanlagen benötigen viel Platz, und um den gibt es in den deutschen Metropolen eine große Konkurrenz.

Alle 15 Meter ein Schattenspender

Benedikt Lux, umweltpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, mahnte während der Sitzung dann auch, dass man wohl nur dann deutlich mehr Bäume unterbringe, wenn man gleichzeitig über die Zahl der Parkplätze nachdenke. Bürgermeister Wegner hielt dem entgegen, dass er nicht nur eine grüne und klimaresiliente Stadt haben wolle, sondern auch eine, in der sich die Autofahrer wohlfühlten. Er sei sicher, dass man auch Bäume pflanzen könne, ohne massiv Parkplätze abzubauen.

Das BäumePlus-Gesetz sieht vor, dass möglichst alle 15 Meter ein Baum an der Straße stehen soll, doch das dürfte schwierig werden. Hierzulande kann nämlich jedes Bäumchen, das neu gepflanzt werden soll, einen Verwaltungs- und Abstimmungswust produzieren, der mehrere Amtsabteilungen tage- oder manchmal gar wochenlang beschäftigt. So manches Projekt artet zu einer Großbaustelle aus.

Unter 5000 Euro ist ein Straßenbaum kaum noch in die Erde zu bekommen. Ein Grund ist, dass an vielen Stellen im städtischen Untergrund Telekommunikations- und Stromkabel, Gas- und Wasserrohre sowie Fernwärmeleitungen verlaufen. Oft müssen gleich mehrere Leitungen aufwendig umgelegt werden. Zudem gebe es viele andere »Nutzungsansprüche«, wie die Stadt Berlin mitteilt, etwa Ein- und Ausfahrten, Ladezonen oder Anlagen des öffentlichen Nahverkehrs.

Um die Kosten möglichst gering zu halten, will die Stadt auf »klimaresiliente Baumarten« (Wegner) und neue Pflanzmethoden setzen. Bisher wurden vor allem etwa zehn Jahre alte Bäume aus Baumschulen gepflanzt, demnächst sollen Setzlinge und Sprösslinge sogenannter Entwicklungsbäume in die Erde gelassen werden, die schneller wachsen, in der Regel günstiger sind und der Hitze besser standhalten.

Fast alle Rosskastanien sind krank

Tatsächlich haben die Berliner Stadtbäume in den vergangenen Jahren erheblich unter Hitze und anderen Stressfaktoren gelitten. So sollen etwa 90 Prozent aller Rosskastanien geschädigt sein, bei anderen Arten sieht es kaum besser aus. So wurden 2024 insgesamt 5280 Straßenbäume gefällt, aber nur 2571 nachgepflanzt. Berlin bekam es also nicht einmal hin, alle Lücken zu schließen.

Insofern bestehen auch bei Umweltaktivist Strößenreuther leise Zweifel, dass nun alles so umgesetzt wird, wie heute beschlossen. Was sich im Abgeordnetenhaus ereignet habe, sei ein riesiger Erfolg für die Initiative und die gesamte Bevölkerung. Allerdings, so Strößenreuther bei einem Interview mit Radioeins, werde man Senat, Bezirken und Parteien »auf die Finger« schauen müssen, damit die geplanten Bäume auch wirklich alle kämen.

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