Antisemitismus: Judenhass, jeden Tag

vor 8 Stunden 1

Sie wollten am Bondi Beach in Sydney das Leben feiern, Kerzen für Chanukka anzünden, ein Fest des Lichts begehen. Wer sich eben noch auf Tanz und Gesang eingestellt hatte, fand sich Sekunden später in einem Blutbad wieder. Für Menschen jüdischen Glaubens stehen diese Tage im Zeichen des Lichts. Doch dieses Licht wurde gewaltsam ausgelöscht. Der Anschlag trug eine klare Botschaft: Ihr seid nirgends sicher. Eure Orte sind nicht geschützt, eure Feste nicht, eure Art zu leben wird nicht akzeptiert.

Es folgen die vertrauten Floskeln

Nach dem Terrorakt, bei dem 15 Menschen ihr Leben verloren und mehr als 40 verletzt wurden, sehen wir ein vertrautes Muster: Verurteilung der Tat, Beileidsbekundung, Floskeln. Politiker sprechen von Solidarität, Verantwortung und „Nie wieder“. Aber es passiert wieder und wieder. „Diesem Antisemitismus müssen wir Einhalt gebieten – hier in Deutschland und weltweit“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz nach dem Anschlag. „Wir sind vereint gegen Gewalt, Antisemitismus und Hass“, so die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das sind leere Worte. Auf Europas Straßen breitet sich der orchestrierte Juden- und Israelhass aus. Selbst nach der Waffenruhe in Gaza hallen auf Demonstrationen und an Universitäten Intifada-Rufe, Gewalt gegen Juden wird zu legitimem „Widerstand“ umgedeutet, Vergewaltigungen von Jüdinnen werden gerechtfertigt. Das geschieht öffentlich, laut, wiederholt. So beginnt der Terror – mit Worten, die verharmlosen und entmenschlichen.

Australiens Regierung kann sich nicht wegducken. Die Warnungen der jüdischen Gemeinde vor wachsendem Antisemitismus und mangelndem Schutz wurden über Jahre ignoriert. Die Entwicklung war absehbar. Aus­tralien ist nach dem 7. Oktober 2023 zu einem Ort grassierenden Antisemitismus geworden. Wenige Tage nach dem Hamas-Massaker riefen Pro-Palästina-Demonstranten auf öffentlichen Plätzen in Sydney im Chor „Fuck the Jews“. Der Hass tarnt sich nicht mehr, er geht laut auf die Straße.

Eine provisorische Gedenkstätte am Bondi Beach in Sydney.Eine provisorische Gedenkstätte am Bondi Beach in Sydney.EPA

Die Welt hat sich an Judenhass als Alltagsphänomen offenbar gewöhnt. Nach Anschlägen folgt eine kurze Phase der Bestürzung, dann wird es wieder ruhig, und Konsequenzen folgen nicht. Die Gewalt sensibilisiert nicht, sie stumpft ab. Es ist zur Routine geworden, dass Juden beschimpft, bedroht und sogar zusammengeschlagen werden. Unsere offene Gesellschaft dehnt sich in ihrer vermeintlichen Toleranz so weit aus, dass darin auch Antisemiten ihren Platz finden. Wie viele Anschläge gab es seit dem 7. Oktober auf jüdische oder israelische Einrichtungen? Wie viele konnten verhindert werden? Wie viele Juden trauen sich nicht mehr, zu sagen, dass sie jüdisch sind? Wie viele meiden Orte, ihre Sprache, verstecken ihre Kippa? Wie viele spielen mit dem Gedanken, nach Israel zu gehen? Wie viele jüdische Einrichtungen stehen unter Polizeischutz? Zu viele.

Die größte Gefahr geht vom Islamismus aus

Für mich, als orientalische Christin, erinnert das an die Sicherheitsvorkehrungen in Syrien und im Irak, an die permanente Angst vor Islamisten, an eine Realität, in der Christen ihre Gottesdienste nur unter Polizeischutz feiern konnten – eine Realität, von der man glaubte, sie sei weit entfernt. Doch das ist sie nicht. Sie besteht in Australien wie in Deutschland. Der Terrorismusexperte Peter R. Neumann sagt, die größte Bedrohung für die innere Sicherheit in Deutschland gehe wieder vom Islamismus aus. Die Islamisten im Nahen Osten wirken gezielt und organisiert. Ihr Hass richtet sich gegen Juden, alles Westliche und die offene Gesellschaft.

Mit jedem Anschlag verschwindet jüdisches Leben ein Stück mehr. Feste werden nicht mehr einfach gefeiert, sie werden geplant, abgesichert, überwacht. Eingänge werden kontrolliert, Ausgänge gezählt, Sicherheitskräfte bestellt. Jüdische Eltern überlegen, ob sie ihre Kinder mitnehmen können, andere meiden bestimmte Orte ganz. Gemeinden fragen sich nicht mehr, ob sie Schutz brauchen, sondern wie viel. Und wenn jüdische Kerzen nur noch unter Polizeischutz angezündet werden können, verändert sich ihre Bedeutung grundlegend: Sie sind nicht mehr selbstverständlich, sie sind kein stilles Zeichen der Hoffnung mehr, sondern ein Risiko.

Ein verwundetes Opfer des Sydney-Anschlags sagte, ihn erinnere dies an den 7. Oktober 2023 in Israel, an das Massaker der Hamas im Kibbuz Be’eri. Niemals habe er geglaubt, dass so etwas in Australien geschähe. Orte des Lichts, der religiösen Begegnung, werden zu Schauplätzen der Dunkelheit und des Terrors. Schauen wir auf die mediale Spiegelung des Geschehens, scheint es, als seien wir schlafwandelnd dabei, uns daran zu „gewöhnen“.

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