Anti-Terror-Experte mit Erfahrung: Das ist der neue Verfassungsschutz-Chef

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Fahndung nach den Kölner Kofferbombern, Ermittlungen zur islamistischen Sauerlandgruppe, Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover wegen Terrorgefahr – für Sinan Selen sind der Kampf gegen den Terrorismus und der Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen das tägliche Geschäft. Nach dem Bundeskriminalamt (BKA), der Bundespolizei und dem Bundesinnenministerium sowie einem Abstecher in die Tourismuswirtschaft ist der Jurist seit mehr als sechs Jahren Vize-Chef beim Verfassungsschutz – und soll nun Berichten zufolge dessen Präsident werden.

Nach dem Abgang von Thomas Haldenwang Ende vergangenen Jahres war der Spitzen-Posten bei der Kölner Behörde vakant; Selen und Silke Willems repräsentierten als Vize-Präsidenten das Amt. Der 53-jährige Selen soll nun an die Spitze rücken, das Bundeskabinett könnte die Personalie in seiner nächsten Sitzung absegnen.

Auf Selen wartet die Auseinandersetzung mit der AfD

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wartet auf den 1972 in Istanbul geborenen Selen nicht nur der Kampf gegen den Terrorismus, sondern auch die Auseinandersetzung mit der AfD, mit der die Behörde im Rechtsstreit liegt. Die Einstufung der Bundes-AfD zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ liegt derzeit auf Eis, weil die Partei juristisch dagegen vorgeht. Vom Ausgang des Verfahrens und den Inhalten des BfV-Gutachtens könnten auch die Aussichten eines möglichen Verbotsverfahrens abhängen.

Selen wäre der erste BfV-Präsident, der nicht in Deutschland geboren wurde. Selen kam als Vierjähriger mit seinen türkischen Eltern nach Köln, wo er Kindheit und Jugend verbrachte. Schon seine Themenwahl während des Jurastudiums an der Universität Köln deutete seinen späteren Weg an: Polizeiordnungsrecht, Europarecht, Verwaltungsrecht.

Schwerpunkt internationaler Terrorismus

Nach dem Studium durchlief er beim Bundeskriminalamt von 2000 an verschiedene Abteilungen wie den Staatsschutz in Meckenheim und die Sicherungsgruppe in Berlin, wo er unter anderem für den Personenschutz des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) mitverantwortlich war.

Arbeitsschwerpunkt war der internationale Terrorismus. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 gehörte Selen im BKA einer Sonderkommission an, die zu den Attentätern aus Hamburg ermittelte. Im Jahr 2006 leitete Selen nach dem Fund von zwei Kofferbomben in Regionalzügen die Fahndung nach den Tätern.

Der Fahndungserfolg wurde für ihn zum Sprungbrett ins Bundesinnenministerium. Unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) war Selen unter anderem als Referatsleiter für die Terrorismusbekämpfung zuständig. Anfang 2009 wechselte er für zwei Jahre zur Bundespolizei, wo er unter anderem für die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität verantwortlich war.

Anfang 2011 kehrte Selen ins Innenministerium zurück. Als Referatsleiter der Abteilung öffentliche Sicherheit war er immer dabei, wenn es darum ging, im Ernstfall die verschiedenen Sicherheitsbehörden zu koordinieren. Als im November 2015 ein Fußball-Länderspiel in Hannover wegen Terrorgefahr abgesagt wurde, gehörte Selen zum Team des damaligen Innenministers Thomas de Maizière (CDU).

Nach der Flüchtlingskrise 2015 wurde Selen zum Türkeibeauftragten der Bundesregierung ernannt. Unter Mitwirkung Selens konnten laut Bundesinnenministerium zwischen 2000 und 2016 elf Terroranschläge in Deutschland vereitelt werden.

Im Sommer 2016 verabschiedete sich Selen vorübergehend aus dem Staatsdienst und wechselte zum Tourismuskonzern TUI, um dort die Sicherheit der Mitarbeiter, Urlauber, Hotels, Flugzeuge und Schiffe zu verbessern. Als Reaktion auf Anschläge in Urlaubsländern wie Tunesien baute Selen ein Krisen- und Sicherheitsmanagement auf, damit der Konzern im Ernstfall angemessen reagieren kann.

Als Vizepräsident beim BfV war Selen unter anderem zuständig für Spionage- und Cyberabwehr, Islamismus sowie Rechts- und Linksextremismus. Mit all diesen Themenfeldern dürfte sich Selen als oberster Verfassungshüter auch künftig auseinandersetzen.

„Wir haben es mit verschiedenen Bedrohungslagen zu tun“, sagte er zuletzt bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2024: Aktionen russischer Nachrichtendienst, die Auswirkungen des Nahostkonflikts auf die deutsche Gesellschaft, eine Radikalisierung im rechten Spektrum. Selen versteht den Verfassungsschutz als „Abwehrdienst“, wie er sagte, und verspricht „eine agile Vernetzung von Fähigkeiten anstelle vom Denken in Zuständigkeiten“. (AFP)

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