Internethandel Wie Temu und Shein dem Einzelhandel vor Weihnachten zusetzen
Händler in Deutschland machen sich kaum noch Illusionen für das Weihnachtsgeschäft. Denn die Verbraucher geben einen großen Teil ihres Geldes für Einkäufe bei Portalen wie Temu oder Shein aus. Das hat Folgen.
06.12.2025, 10.15 Uhr
Apps von asiatischen Handelsplattformen: Schlag für das Weihnachtsgeschäft
Foto: Kirill Kudryavtsev / AFPDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Im Durchschnitt möchte jeder Bürger in Deutschland 263 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben, wie Marktforscher von YouGov herausgefunden haben. Gute Aussichten für den Handel, könnte man denken. Das Weihnachtsgeschäft kommt jedoch bislang nicht recht in Schwung. Die Branche hat nicht nur mit der Kaufzurückhaltung zu kämpfen, sondern auch damit, dass viele ihr Geld woanders ausgeben.
Profiteure sind in erster Linie die großen Einkaufsplattformen aus Asien: Gut jeder Achte in Deutschland (12 Prozent) hat laut YouGov bereits Weihnachtsgeschenke bei Temu, Shein oder AliExpress gekauft. Fast jeder Zehnte (9 Prozent) plant dies noch. Besonders gefragt sind Mode, Weihnachtsdeko, Spielzeug und Haushaltswaren. Die Hälfte der Käufer gibt bis zu 100 Euro bei den Portalen aus, ein weiteres Viertel zwischen 100 und 199 Euro, 14 Prozent sogar noch mehr.
Umsätze von bis zu einer Milliarde Euro
Der Handelsverband Deutschland (HDE) schätzt, dass Temu und Shein im November und Dezember hierzulande einen Umsatz von bis zu einer Milliarde Euro erzielen. »Diese Verkäufe entgehen den Händlerinnen und Händlern in Deutschland«, sagt Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Jeder verlorene Euro hinterlasse Spuren, da das Weihnachtsgeschäft über den Erfolg des Geschäftsjahres entscheide.
»Trotz aller Kritik haben sich Temu und Shein bei den Verbrauchern in Deutschland fest als Einkaufsstätte etabliert.«
Insgesamt rechnet der Verband in den beiden Monaten mit 126 Milliarden Euro Umsatz – inflationsbereinigt wäre das etwa so viel wie im Vorjahr. Die Wochen vor dem Heiligabend sind für die Branche die wichtigsten des Jahres, aber viele Unternehmen erwarten ein schwaches Geschäft. Laut einer Händler-Umfrage des HDE rechnet nur jeder Zehnte damit, dass das Weihnachtsgeschäft besser verläuft als im Vorjahr. Jeder Zweite geht von einer Verschlechterung aus.
Modebranche trifft es besonders hart
»Temu und Shein belasten vor allem die Modehändler, die im vergleichbaren Preissegment tätig sind, also vor allem preisorientierte Formate, aber durchaus auch mittelpreisige Modehäuser«, sagt Axel Augustin, Geschäftsführer des Branchenverbandes BTE. Der Verband schätzt, dass der Branche wegen der asiatischen Shops in diesem Jahr über drei Milliarden Euro Umsatz entgehen. Im Weihnachtsgeschäft sei das besonders schmerzhaft, so Augustin. Die Modebranche kämpft bereits seit Längerem mit einer schwachen Nachfrage.
Wie groß die Anziehungskraft von Temu, Shein & Co. ist, lässt sich auch rund um den Black Friday beobachten. Laut einer Studie des Handelsforschungsinstituts IFH Köln verlieren die Rabatttage Ende November für viele Kunden zunehmend an Reiz. Jeder Dritte gibt dies in einer Umfrage an, bei Jüngeren sogar jeder Zweite. Ein Teil der Verbraucher verzichtet bewusst auf die Aktionstage. Ein Grund: Asiatische Shops bieten über das ganze Jahr hinweg niedrige Preise. 23 Prozent der Befragten sagen das, unter Jüngeren noch mehr.
Moralische Vorbehalte ohne Bedeutung
Wie ist der Erfolg der asiatischen Onlineplattformen zu erklären? Die Weihnachtszeit ist erneut stark vom Sparen geprägt. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Oliver Wyman wollen 39 Prozent der Verbraucher weniger für Weihnachtseinkäufe ausgeben.
Temu und Shein punkten hauptsächlich mit niedrigen Preisen, sagt Ralf Deckers vom IFH Köln. Zudem bieten die Portale Produkte, die hierzulande kaum zu finden seien. Laut YouGov-Umfrage kaufen Konsumenten dort, weil sie eine große Auswahl finden (71 Prozent), regelmäßig angebotene Rabatte nutzen (54 Prozent) und Freude am Stöbern haben (44 Prozent).
Die Vorbehalte zeigen sich in den Gründen, die von Menschen angegeben werden, die dort nicht bestellen. 45 Prozent zweifeln an der Qualität, 41 Prozent sorgen sich um ihre Gesundheit. 32 Prozent bemängeln fehlende Sicherheitsstandards, 27 Prozent nennen ethische Bedenken wie Arbeitsbedingungen oder Umwelt. 23 Prozent möchten lokale Händler unterstützen, 19 Prozent fürchten das Risiko von Plagiaten und Fälschungen.
Rainer Münch, Handelsexperte bei Oliver Wyman, sagt: »Trotz aller Kritik haben sich Temu und Shein bei den Verbrauchern in Deutschland fest als Einkaufsstätte etabliert.« Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei für viele unschlagbar.
Wachstum setzt sich fort
Die großen asiatischen Anbieter Temu, Shein und AliExpress haben ihr Geschäft deutlich ausgebaut, wie Zahlen des E-Commerce-Verbandes Bevh belegen. Die drei Unternehmen erzielten 2025 in Deutschland pro Quartal zusammen über 800 Millionen Euro Umsatz – deutlich mehr als in den Vorjahreszeiträumen. Ihr Marktanteil im deutschen Onlinehandel beträgt inzwischen rund fünf Prozent.
Laut HDE werden täglich etwa 400.000 Pakete von Shein und Temu nach Deutschland verschickt. Der Verband beklagt mangelhafte Produktqualität und unfaire Wettbewerbsbedingungen. Er fordert eine strengere Regulierung, schärfere Kontrollen sowie mehr Personal für den Zoll.
Im deutschen Einzelhandel spitzte sich dagegen die Krise im vergangenen Jahr noch weiter zu. Von August 2024 bis August 2025 registrierte Allianz Trade 2490 Insolvenzen – der höchste Wert seit Oktober 2016. Branchenexperte Guillaume Dejean sieht da einen eindeutigen Zusammenhang. Der kometenhafte Aufstieg der asiatischen Portale erhöhe den Wettbewerbsdruck auf hiesige Einzelhändler enorm und habe zum Anstieg der Insolvenzen beigetragen.

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