Der Kernfusions-Forschungsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald meldet eine neuen Rekord. In der aktuellen Experimentkampagne sei an der Forschungsanlage ein Weltrekord für das sogenannte Tripelprodukt bei langen Plasmaentladungen erzielt worden, teilte das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) mit, das den Reaktor betreibt. Über eine Plasmadauer von 43 Sekunden wurde demnach ein neuer Spitzenwert erreicht. Das gelang am 22. Mai 2025, dem letzten Tag der Experimentkampagne OP 2.3.
Das Tripelprodukt ist die entscheidende Größe in der Kernfusion. Es errechnet sich aus der Teilchendichte des Plasmas, der Temperatur der Ionen, zwischen denen Fusionsreaktionen stattfinden, und der Energieeinschlusszeit – das ist die Dauer, über die die Wärmeenergie aus dem Plasma entweicht, wenn nicht nachgeheizt wird. Erst wenn ein bestimmter Schwellenwert erreicht wird, trägt sich die Fusionsreaktion selbst, ohne dass weiter geheizt werden muss. Dann wird eine positive Energiebilanz erreicht, also erzeugt ein Plasma mehr Fusionsleistung, als an Wärmeleistung hineingegeben wird.
Neuer Pellet-Injektor eingesetzt
Bei dem Rekordlauf wurden über 43 Sekunden etwa 90 Brennstoff-Pellets in den Reaktor eingeschossen. Gleichzeitig heizten starke Mikrowellen das Plasma auf über 20 Millionen Grad Celsius, in Spitzen sogar auf 30 Millionen Grad Celsius. Um eine optimale Kombination aus Heizleistung und Brennstoff-Füllung zu erreichen, müssen Heizung und Pellet-Injektion sehr genau koordiniert werden.
Dabei kam ein neuartiger Pellet-Injektor zum Einsatz, der am Oak Ridge National Laboratory des US-Energieministeriums in Tennessee entwickelt wurde. Dieses System schießt die Pellets – millimetergroße Kugeln aus gefrorenem Wasserstoff – in den Reaktor. Der Pellet-Injektor wurde dabei erstmals so betrieben, dass er mit unterschiedlichen vordefinierten Pulsraten lief. Dieses Schema kann auch auf längere Plasmadauern von mehreren Minuten ausgedehnt werden, was für künftige Fusionsreaktoren wichtig ist.
Der Rekord sei eine großartige Leistung des internationalen Teams und zeige "eindrucksvoll das Potenzial von Wendelstein 7-X", sagte Thomas Klinger, Leiter von Wendelstein 7-X. "Dass wir bei langen Plasmadauerzeiten das Tripelprodukt auf Tokamak-Niveau anheben konnten, markiert einen weiteren wichtigen Meilenstein auf dem Weg zum kraftwerkstauglichen Stellarator."
Stellarator oder Tokamak
Am Wendelstein 7-X wird die Kernfusion mittels magnetischem Einschluss erforscht. Bei dieser Form der Kernfusion wird ein 100 Millionen Grad heißes Plasma in einer torusförmigen Reaktorkammer in einem Magnetfeldkäfig gehalten. Nur bei solchen Temperaturen ist es möglich, die Abstoßung zweier positiv geladener Wasserstoff-Atomkerne zu überwinden und sie zu einem Helium-Kern zu verschmelzen.
Dabei gibt es zwei Bautypen der Reaktorkammer: Der Tokamak ist einfacher konstruiert, aber darin ist nur ein Pulsbetrieb möglich. Ein Stellarator wie in Greifswald benötigt ein komplex geformtes Magnetfeld und ist wegen der unregelmäßig geformten Magnetspulen schwieriger zu konstruieren. Aber dafür ermöglicht er einen Dauerbetrieb.
"Die absolut höchsten Werte für das Tripelprodukt erreichten der japanische Tokamak JT60U (stillgelegt 2008) und die europäische Tokamak-Anlage JET in Großbritannien (stillgelegt 2023). Bei kurzen Plasmadauern von wenigen Sekunden bleiben sie mit deutlichem Abstand Spitzenreiter. Bei den – für ein künftiges Kraftwerk wichtigen – längeren Plasmadauern liegt Wendelstein 7-X jetzt vorn, obwohl JET über ein dreimal so großes Plasmavolumen verfügte. Größe erleichtert bei Fusionsanlagen ganz erheblich das Erreichen hoher Temperaturen", teilte das JPP mit.
(wpl)