Digitale Barrierefreiheit – schon mal davon gehört? Mit Sicherheit. Doch was genau steckt dahinter? Und viel wichtiger: Welche Regelungen und Gesetze gelten ab diesem Jahr auch für privatwirtschaftliche Unternehmen? Wie können Webentwicklerinnen und Webentwickler sie angemessen und effizient berücksichtigen? Grundsätzlich gilt: Digitale Inhalte sind immer dann barrierefrei, wenn sie für alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, auffindbar, zugänglich und nutzbar sind (siehe § 4 BGG). Richtlinien, Gesetze und Standards liefern dabei Empfehlungen und Vorgaben für das Erstellen und Überprüfen von barrierefreien digitalen Inhalten.
Lukas Baumann arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Rehabilitationstechnologie. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Digitale Barrierefreiheit und digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Miriam Bursy arbeitet als Prozesskoordinatorin am Berufsbildungswerk in Dortmund vom CJD NRW Nord. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Inklusion und Arbeit sowie digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Dieser Beitrag ist der erste Teil einer Artikelserie zur digitalen Barrierefreiheit. Zunächst wird es um die Notwendigkeit und die Vorteile einer barrierefreien Umsetzung digitaler Inhalte gehen, sowie um Informationen zu den wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen und Richtlinien für barrierefreie digitale Angebote in Deutschland und in der EU.
Digitale Barrierefreiheit ist für alle da
Menschen mit Beeinträchtigungen sind beim Verwenden von digitalen Angeboten auf eine umfassende barrierefreie Umsetzung angewiesen. Allein in Deutschland betrifft das mindestens acht Millionen Menschen (siehe Statistik der schwerbehinderten Menschen des Statistischen Bundesamts), wobei diese Zahl nur die Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung umfasst. Dabei sind nicht nur Menschen mit einer (Schwer-)Behinderung von einem erschwerten Zugang zu digitalen Angeboten betroffen. Auch Seniorinnen und Senioren, Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen und Sprachniveaus oder Kinder profitieren von barrierefreien digitalen Angeboten.
Barrierefreiheit im digitalen Bereich soll dazu beitragen, dass alle Menschen (unabhängig von ihren körperlichen oder intellektuellen Fähigkeiten) digitale Angebote ohne besondere Erschwernis und auf die gleiche Weise nutzen können. Es dürfen also keine Nachteile oder Umwege in der Nutzung entstehen. Dabei geht es sowohl um das visuelle Design und akustische sowie haptische Zugänge als auch um die Funktionsweise, die den Zugang und die Nutzung für alle User sicherstellen. Bisher sind in der Europäischen Union (EU) nur öffentliche Einrichtungen gesetzlich zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit verpflichtet. Mit Inkrafttreten des European Accessibility Act (EAA) im Jahr 2019 ist ab Mitte Juli 2025 auch die Privatwirtschaft zur Umsetzung digitaler Barrierefreiheit verpflichtet.
Was spricht für eine konsequente Umsetzung von digitaler Barrierefreiheit?
Geht es um die Umsetzung barrierefreier digitaler Inhalte, scheint damit zunächst viel Arbeit verbunden zu sein, die eine vergleichsweise kleine Zielgruppe betrifft. Doch ist das wirklich so?
- Vorteile für alle Nutzerinnen und Nutzer
- Wettbewerbsvorteile durch Barrierefreiheit
- Soziale Verantwortung von Unternehmen
- Gesetzliche Verpflichtungen für öffentliche Einrichtungen und Privatwirtschaft
Grundsätzlich verbessern barrierefrei gestaltete digitale Inhalte und Barrierefreiheit in digitalen Anwendungen die Benutzbarkeit für alle Personen. Hohe Farbkontraste, große Klickflächen oder klare Strukturen auf Webseiten sind für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen eine Voraussetzung, um digitale Inhalte erfolgreich nutzen zu können. Gleichzeitig erleichtern sie auch Kindern, Seniorinnen und Senioren oder digitalen Neulingen das Verständnis wichtiger Inhalte. Diese Personengruppen haben individuelle Herausforderungen (beispielsweise Konzentrationsschwächen) sowie Kompetenzen im Umgang mit digitalen Inhalten und profitieren daher ebenfalls von den angepassten Designelementen. Doch auch "Digital Natives" ohne Sehbeeinträchtigungen profitieren von diesen Anpassungen, da auch sie Inhalte einer Webseite auf einen Blick schneller und besser erfassen können.
Ein weiteres Beispiel für eine inhaltliche Anpassung betrifft die Sprache auf Webseiten: Eine einfache und klare Sprache ist wichtig für Menschen mit Lernschwierigkeiten, damit sie Texte besser verstehen können. Gleichzeitig erleichtert das aber auch die Nutzung digitaler Informationen für Menschen, die aufgrund eines Migrations- oder Fluchthintergrunds auf Sprachbarrieren stoßen und gerade erst lernen, eine neue Sprache zu lesen. Eine barrierefreie Webseite bedeutet also nicht, eine separate Version für Menschen mit Behinderungen anzubieten. Vielmehr ist Barrierefreiheit eine integrale Voraussetzung für jede Webseite, um Inhalte für alle Menschen gut nutzbar und verständlich anzubieten.
Auch für Betreiber einer Webseite kann es sich lohnen, Webseiten barrierefrei zu gestalten. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und demografischen Entwicklung in Deutschland (steigende Zahl älterer Menschen, Zuwanderung usw.) ist digitale Barrierefreiheit ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Barrierefreie digitale Angebote stärken die Wettbewerbsfähigkeit und können den User- beziehungsweise Kundenkreis erweitern (siehe The Business Case for Digital Accessibility | Web Accessibility Initiative (WAI) | W3C). Ist eine Webseite beispielsweise übersichtlich strukturiert und sind Produkte schnell auffindbar, spricht das Besucherinnen und Besucher an, die auf anderen Webseiten überfordert sein könnten.
Barrierefreiheit kann darüber hinaus als soziales Verkaufsargument überzeugen. So lässt sich Barrierefreiheit mit der Corporate Social Responsibility verknüpfen und zeigt, dass die Betreiber der Website bereit sind, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Für Unternehmen hat diese Herangehensweise langfristige positive Effekte, etwa Kooperationsmöglichkeiten oder neue potenzielle Kundinnen und Kunden (siehe Corporate Social Responsibility • Definition | Gabler Wirtschaftslexikon). Ein weiteres Argument für eine barrierefreie Umsetzung ist eine bessere Bewertung durch Suchmaschinen. Websites, die Alternativtexte für Grafiken, Bilder und Logos verwenden und Texte technisch und inhaltlich gut strukturiert aufbereiten, werden von Suchmaschinen besser bewertet und priorisiert als Suchergebnisse angezeigt.
Barrierefreiheit als Verpflichtung
In der Europäischen Union ist die barrierefreie Umsetzung von digitalen Angeboten mittlerweile kein "Nice to have", sondern in europäischen Richtlinien und nationalen Gesetzen verankert. Die rechtlichen Grundlagen gehen dabei auf die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zurück, in der die Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen konkretisiert werden. Abbildung 1 zeigt die wichtigsten Richtlinien und Gesetze aus deutscher Perspektive.
Ein Zeitstrahl zu relevanten Richtlinien und Gesetzen zur Barrierefreiheit in den letzten Jahren (Abb 1.)
(Bild: Baumann, Bursy)
Die Web Accessibility Directive
In der Web Accessibility Directive (WAD), offiziell "Richtlinie 2016/2102 über den barrierefreien Zugang zu den Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen" sind erstmals europäisch harmonisierte und verbindliche Mindestvorgaben für die Gestaltung digitaler Produkte und Dienstleistungen öffentlicher Einrichtungen festgelegt. Die Richtlinie gilt für die Gestaltung von Internetauftritten und mobilen Anwendungen öffentlicher Einrichtungen und legt genaue Vorgaben für ihre Umsetzung fest. Seit Juni 2021 müssen alle Webseiten und mobilen Anwendungen von öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten den in der WAD festgelegten Mindestanforderungen für Barrierefreiheit entsprechen.
In Deutschland wurde das "Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" (auch Behindertengleichstellungsgesetz, BGG) 2018 an die neuen Anforderungen der WAD angepasst. Relevant ist hier vor allem § 12a "Barrierefreie Informationstechnik". Hier ist die Verpflichtung öffentlicher Einrichtungen auf Bundesebene zur barrierefreien Gestaltung von Internetauftritten und -angeboten (beispielsweise Apps), elektronischen Verwaltungsabläufen sowie von grafischen Programmoberflächen gesetzlich festgeschrieben.
Auch die "Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz" (auch Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, BITV 2.0) wurde 2019 an die Anforderungen der WAD angepasst. Die Verordnung setzt die Vorgaben der WAD um, die nicht schon 2018 in das BGG aufgenommen wurden. Die Verpflichtung zur Barrierefreiheit bezieht sich hier auf die textuellen und nicht textuellen Informationen in unterschiedlichen Formaten, Dokumenten und Formularen zum Herunterladen und auf Funktionen, die eine Interaktion zwischen Nutzenden und System erfordern, etwa bei Authentifizierungsprozessen.
Eine Besonderheit der deutschen Umsetzung der WAD ist die Anforderung der BITV 2.0 in Art. 4, die öffentliche Einrichtungen dazu verpflichtet, auf der Startseite einer Website wesentliche Inhalte und Hinweise zur Navigation in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen (weiterführende Informationen dazu bietet das Netzwerk Leichte Sprache).
(Bild: 123rf.com/ jarnbeer19)
Ab dem 28. Juni 2025 tritt der European Accessibility Act (EAA) in Kraft, der digitale Barrierefreiheit für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen in der EU vorschreibt. Doch was bedeutet das konkret für die Entwicklung von Angular-Apps? Maria Korneeva erklärt es dir beim enterJS Advanced Angular Day, einer Online-Konferenz am 1. Juli 2025. Tickets gibt über den Ticketshop auf der Konferenz-Website.
Highlights zum Thema Accessibility:
Der European Accessibility Act
Mit dem Ziel, die angesprochenen Gesetze für alle digitalen Inhalte innerhalb der EU umzusetzen, müssen ab 2025 auch privatwirtschaftliche digitale Produkte und Dienstleistungen des europäischen Binnenmarktes nach denselben Mindeststandards barrierefrei verfügbar sein. Diese Anforderungen sind in der "Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen" (siehe European Accessibility Act, EAA), die 2019 in Kraft trat, auf europäischer Ebene festgelegt. Der EAA wird auf nationaler Ebene in Deutschland durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) von 2021 umgesetzt. Das BFSG bezieht sich sowohl auf Produkte wie Computer oder Smartphones als auch auf Dienstleistungen und Kommunikations- und Informationsangebote wie Messengerdienste oder E-Books. Die vollständige Auflistung ist im BFSG § 1 Absatz 2 und Absatz 3 zu finden (siehe BFSG – Barrierefreiheitsstärkungsgesetz). Ausgenommen von diesen Anforderungen sind Dienstleistungen von Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro. Ob das BFSG für die eigenen Produkte oder Leistungen gilt, kann im ersten Schritt im Sinne einer Selbstprüfung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz durch den kostenlosen BFSG Check vorgenommen werden.
Des Weiteren hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen des BFSG Leitlinien zur Umsetzung der Vorgaben für Unternehmen erstellt (siehe Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes des BMAS).
Sowohl der EAA als auch die WAD verweisen auf die Europäische Norm EN 301 549 mit dem Titel "Accessibility requirements for ICT products and services". Die EN 301 549 ist eine europäische Norm für digitale Barrierefreiheit. Sie definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit der Informations- und Kommunikationstechnik und gilt als verbindlicher Standard. Sie referenziert die Web Content Accessibility Guidelines (auch WCAG-Richtlinien) und damit die Grundprinzipien und die in den WCAG definierten Konformitätslevel für digitale Barrierefreiheit. Die WCAG und die EN 301 549 konkretisieren die Richtlinien und Gesetze und beschreiben die Vorgaben, auf die Anbietende digitaler Inhalte achten müssen. Abbildung 2 zeigt den Aufbau der WCAG-Kriterien nach Prinzipien, Richtlinien und Erfolgskriterien (weiterführende Informationen auf folgender Webseite: Die vier Prinzipien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.2).
Aufbau der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) (Abb. 2)
(Bild: Darstellung von Baumann und Bursy, angelehnt an Sartori, 2024)