Walter-Lübcke-Denkmal vor CDU-Zentrale: Ist das Kunst oder muss das weg?

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 Heftige Reaktionen

Neues Walter-Lübcke-Denkmal in Berlin: Heftige Reaktionen

Foto: John Macdougall / AFP

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Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man glauben, an dieser zugigen Berliner Ecke am Berliner Landwehrkanal, direkt vor dem gläsernen Konrad-Adenauer-Haus der CDU, werde am Mittwochnachmittag bei vier Grad über Null ein Attentat betrauert, das gerade erst geschah: Ein Bauzaun hängt voller Plüschtiere und Blumen, eine Kinderzeichnung weht im Wind und rote Grabkerzen flackern, als wäre der hier Betrauerte, der ehemalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, soeben erst und nicht schon am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses von einem AfD-Anhänger erschossen worden. Die Polizei zeigt Präsenz, die Kameras der Öffentlich-Rechtlichen laufen, als Stefanie Remlinger, die grüne Bezirksbürgermeisterin Mitte, das Wort ergreift, und etwa 70 Menschen die Ohren spitzen zur offiziellen Eröffnung des sogenannten »Walter Lübcke Memorial«.

Frisch wie die Blumen ist nicht der Mord, sondern der Aufschrei um diese neueste Kunstaktion des »Zentrum für Politische Schönheit«. Die Aktivisten hatten am Tag zuvor einen lebensgroßen Bronzeabguss des ehemaligen CDU-Politikers Lübcke enthüllt, eine Gedenktafel und eine Stele, auf der »Walter-Lübcke-Platz« steht. Das »Mahnmal« solle an den aufrechten Konservativen erinnern, der sich für eine offene Gesellschaft und die Werte der Demokratie eingesetzt habe. Doch mit der Platzierung direkt vor der Parteizentrale ist es eben auch eine offene Provokation, gerichtet an die CDU. Lübcke, hieß es von den Kunstaktivisten, solle von nun an »auf die CDU aufpassen«, damit diese sich stetig an die Gefahr für die Demokratie durch die AfD erinnere.

Und die Rechnung ging auf. Die CDU schäumt.

»Vollkommen geschmacklos« nennt Bundeskanzler Friedrich Merz die Aktion. Berlins CDU-Bürgermeister Kai Wegner verurteilte es, das Schicksal eines von einem Rechtsradikalen ermordeten Politiker zu instrumentalisieren. Er könne nicht glauben, »dass ein Bezirk so eine Installation genehmigt.«

 Als wäre das Attentat eben erst geschehen

Fotos, frische Blumen und brennende Grabkerzen: Als wäre das Attentat eben erst geschehen

Foto: John Macdougall / AFP

Es geht auch um das Straßensondernutzungsrecht

Der Bezirk Mitte hat es getan. Sogar für zwei Jahre. Jetzt weiß man auch, warum. Die grüne Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger steht zur offiziellen Eröffnung vor der Gedenkwand und sagt, die Bundesrepublik Deutschland sei qua Grundgesetz der Kulturvielfalt verpflichtet. Ihr Bezirksamt, sagt sie, kuratiere keine Kunst. Die Genehmigung sei jenseits der Inhalte »vielmehr eine Entscheidung für die Kunstfreiheit«. Es sei ihr wichtig, diese gerade in diesen Zeiten zu verteidigen. Sei Kunst strittig und löse Debatten aus, sei das gut.

Wird hier Schindluder getrieben mit dem Gedenken an einen ermordeten CDU-Politiker? Oder schafft die Aktion eben jenen künstlerischen Graubereich, der nötig ist, damit eine Gesellschaft ihre eingefahrenen Debattenmuster durchbricht?

Zuerst entschied das Bezirksamt. Das kommt ins Spiel, wenn Kunst auf das Straßensondernutzungsrecht trifft. Für zwei Jahre genehmigte die Bezirksbürgermeisterin, was die Künstler nun das »Walter Lübcke Memorial« nennen. »Das ist die Maximaldauer«, sagt Remlinger. Dauert eine Aktion länger als zwei Jahre, gilt die Nutzung nicht mehr als temporär.

Remlinger hatte von den Künstlern zuvor Fotos gesehen und Pläne, aber den Ort besucht auch sie nun zum ersten Mal: den hellen Kies auf dem Boden, den roten Teppich vor dem Denkmal, die Holzbank, die auch auf einem Friedhof stehen könnte. »Sehr würdig«, findet sie die Gestaltung.

Ihre Mutter, erzählt Stefanie Remlinger, habe über Jugendliche immer gesagt: Die dürfen das. Einfach, weil sie Jugendliche sind. Remlinger, Grüne, 55 Jahre alt, denkt das Gleiche von Künstlern. Auch sie müssten viel dürfen können. Die Bezirksbürgermeisterin trägt eine blaue Wollmütze gegen die Kälte und sagt, sie habe zu CDU-Bürgermeister Wegner eigentlich ein gutes Verhältnis. Sie sei überrascht gewesen von seiner heftigen Reaktion.

 Kunst muss das dürfen

Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger: Kunst muss das dürfen

Foto: Deike Diening / DER SPIEGEL

Die Reaktion als Kalkül

Die Künstler werden nicht überrascht sein. Die Reaktion ist ihr Kalkül, denn Rezeption wird Teil der Kunst. Und diese Aktion entstand nicht im luftleeren Raum.

Das letzte Mal, als das »Zentrum für politische Schönheit« jemandem ein Mahnmal vor die Haustür setzte, war es das Mini-Holocaustdenkmal für den AfD-Politiker Björn Höcke. Aus seinem Fenster im thüringischen Örtchen musste der Rechtsextremist 2017 zu seinem Ärger ständig auf die Betonstelen blicken. Diese Aktion ist bis heute die Blaupause, der Gedanke an sie schwingt immer mit, wann immer jemand heute ein Mahnmal vor die Tür gesetzt bekommt: Sofort denken alle an Björn Höcke und sein Holocaust-Mahnmal.

Schon das schafft eine assoziative Parallele und wirft die Frage auf: Auf welche Art sind die Aktionen jetzt vergleichbar? Sind jetzt etwa auch die CDU und die AfD vergleichbar? Beide reagieren mit Wut. Und was für einen Eindruck macht es eigentlich bei den Wählern, wenn die CDU jetzt denselben Gegner hat wie Björn Höcke?

Dass überhaupt Fragen wie diese im Raum stehen, dass über all das nachgedacht wird, sei ein Verdienst der Kunst, findet Remlinger.

Walter Lübcke, gegossen in Bronze, sieht man von dem Konflikt nichts an. Er steht am Ufer des Landwehrkanals in beschwingter Haltung, der Körper locker in Bewegung. Lübcke streckt eine Hand aus und lacht über das ganze Gesicht. Ausgerechnet, denkt man. Lübcke, der erschossen wurde, der auf ernste Weise mahnen soll, er lacht.

Gibt es andernorts lachende Statuen? Zumindest fallen einem keine ein. Gilt das Lachen etwa der CDU, die mit der Aktion überrumpelt wurde? Ist es vielleicht gar nicht Lübkes Lachen, sondern in Wahrheit das der Kunstaktivisten? »Die konkrete Ausgestaltung des Denkmals ist die Entscheidung des Künstlers«, sagt Philipp Ruch, Gründer des Künstlerkollektivs. »Mir war wichtig, dass es figürlich ist.«

Lübckes Familie schweigt

Ruch sagt vor der Eröffnung, er habe nichts Abstraktes gewollt. Man solle die Person sehen, Lübckes Wesen. »Das ist doch eine offene Geste, die er da macht, oder was denken Sie?«, fragt er. Die Familie hätte bis dahin nur abstrakte Formen des Gedenkens gekannt.

Heißt das, es gibt Kontakt zur Familie?

Ruch sagt dazu nichts.

Dann ist das Denkmal also in deren Sinne?

»Das hoffen wir«, sagt Ruch nur.

Der hessische Bundestagsabgeordnete Michael Brand (CDU) hatte die Künstler aufgefordert, die Aktion abzubrechen und sich bei der Familie zu entschuldigen. Brand war mit Lübcke befreundet und hat die Familie während des Mordprozesses begleitet.

Vor allen anderen stünde es Lübckes Familie selbst zu, sich getroffen zu zeigen, wenn sie mit der Aktion nicht einverstanden wäre. Jeder könnte es verstehen. Aber die Familie schweigt.

Das war nicht immer so. Noch im Februar war Lübckes Witwe so empört über eine politische Instrumentalisierung ihres Mannes, dass sie sich zu einem öffentlichen Statement veranlasst sah. Damals ging es um Friedrich Merz, der noch nicht Bundeskanzler war.

»Ich frage mal die Ganzen, die da draußen herumlaufen, Antifa und gegen Rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?«, hatte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim gemeinsamen Wahlkampfabschluss der CSU und CDU in München in den Saal gerufen.

Es gab einen gesellschaftlichen Aufschrei ob der Instrumentalisierung Lübckes. Seine Witwe Irmgard Braun-Lübcke sagte damals, sie könne das so nicht stehen lassen. »Sehr befremdet« hätten sie und ihre Familie die Aussage von Friedrich Merz. Entgegen seinen Äußerungen habe es nach der Ermordung ihres Mannes »ein starkes, gesellschaftlich breites Bekenntnis zu unserer Demokratie und ihren Werten gegeben.«

Jetzt soll auch Michel Friedman kommen

Die CDU-Zentrale im Rücken des Denkmals, sie ist ein Glashaus. Wer wirft hier wem zuerst Instrumentalisierung vor?

Zur Einweihung des Denkmals am Mittwoch lässt sich erwartbar kein CDU-Mitglied blicken. Das wird auch an dem etwas hämischen Tonfall gelegen haben, mit dem die Kunstaktivisten ankündigten, CDU-Mitglieder seien eingeladen und würden bei Erscheinen »bevorzugt behandelt«.

Für diesen Freitag, 16 Uhr, ist Michel Friedman vor der Bronzestatue angekündigt. Der jüdische Politiker war aus der CDU ausgetreten, als die Unionsfraktion im Bundestag zusammen mit der AfD für ihren schärferen Migrationskurs stimmte. Er verstehe die Kritik an der Aktion nicht, hatte Friedman dem Deutschlandfunk gesagt. Die Bedrohung durch den Rechtsextremismus sei real und Walter Lübcke sei unabhängig von der Partei ein Vorbild. «Das kann doch jetzt nicht diffamiert werden als eine Aktion von links.«

Dass in Deutschland an Walter Lübcke erinnert gehört, da sind sich viele einig. Das hatte auch schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betont. Das sagten auch Passanten, die in den ersten beiden Tagen zum Konrad-Adenauer-Haus gekommen sind und das Denkmal als ernsthaften Erinnerungsort aufgefasst haben.

Zwei Jahre Standzeit, sagt Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger noch, bevor sie wieder in ihr Amt eilen muss, seien eine lange Zeit. Wenn die Aufregung sich gelegt habe, könne die Statue vielleicht einfach als Gedenkort für Walter Lübcke wahrgenommen werden. Das würde ihr gefallen.

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