Ungarn: Europa-Politiker wollen Orbán „den Geldhahn zudrehen“

vor 8 Stunden 1

Tamás Bodoky hat schon viel erlebt in Ungarn. Der Journalist hat mitbekommen, wie die Medien immer weiter zurechtgestutzt wurden, seit Viktor Orbán 2010 an die Macht kam. Bodoky gründete 2011 das Investigativmedium Átlátszó, um unabhängig über Korruption in Ungarn zu berichten, darüber etwa, wie EU-Gelder versickern oder Orbáns Gefolgsleute mit Yachten und Privatjets unterwegs sind. Er hat miterlebt, wie die Enthüllungen von Átlátszó in den regierungsnahen Medien diskreditiert wurden und das sogenannte Amt für den Schutz der Souveränität 2024 begann, unabhängige Medien und Vereine daraufhin zu überprüfen, ob sie Geld aus dem Ausland erhalten.

Aber niemals, sagt Bodoky, habe er die Arbeit seiner Redaktion so bedroht gesehen wie jetzt. Denn wenn es nach dem Gesetzesvorschlag geht, über den demnächst das ungarische Parlament abstimmt, soll das Souveränitätsgesetz weiter verschärft werden. Schon jetzt ermöglicht das Gesetz, ungarische Parteien, Medien, Vereine und NGOs zu beobachten, die Geld aus dem Ausland erhalten. Demnächst könnten unabhängige Organisationen, in denen die Regierung eine Gefahr für Ungarns Souveränität sieht, mit Strafen belegt werden, wenn sie Gelder etwa in Form von Spendern oder durch Crowdfunding beziehen.

Bodoky fürchtet, dass bald niemand mehr „die Wahrheit über die Korruption in Ungarn“ sagt

Zwar sind Átlátszó und andere Vereine Bodoky zufolge schon länger als mögliche Gefahr für Ungarns Souveränität gelistet. Der Nichtregierungsorganisation Transparency International etwa, die Korruption auf der ganzen Welt untersucht und ihr vorbeugen will, wirft das Amt für den Schutz der Souveränität vor, den Willen der Wähler zu beeinflussen. Aber diese Maßnahmen seien im Wesentlichen „Rhetorik“ gewesen, um in der Zivilgesellschaft Angst zu schüren, sagt Bodoky.  Wenn nun jedoch das neue Gesetz beschlossen werde, dann wären hundert Prozent der Einnahmen von Átlátszó illegal. „Dann können wir in einigen Monaten unsere Arbeit nicht mehr machen. Das ist sehr ernst.“

Ein Jahr, bevor in Ungarn ein neues Parlament gewählt wird, sieht Bodoky das Land am Scheideweg. Das Gesetz würde den allermeisten nicht regierungsnahen Institutionen in Ungarn die finanziellen Grundlagen entziehen. „Das Ökosystem der unabhängigen Medien und Organisationen würde austrocknen, weil sie kriminalisiert und als Staatsfeinde eingestuft werden.“ Bodoky fürchtet, dass dann bald niemand mehr „die Wahrheit über die Korruption in Ungarn“ sagen werde. Das sieht auch die ungarische Opposition so. Mit dem Gesetzesvorstoß beweise Orbáns Fidesz-Partei, dass sie „alles tun, was sie für nötig halten, um sich an der Macht zu halten“, schrieb der Abgeordnete Ákos Hadházy auf Facebook.

Journalist Bodoky sieht nun vor allem die EU in der Pflicht zu handeln. Es sei „eine Schande“, wie das Mitglied Ungarn gegen die Werte der Gemeinschaft verstoße. Die EU-Kommission hat Ungarn zwar immer wieder vorgeworfen, gegen europäisches Recht zu verstoßen. Es wurden deswegen Verfahren eingeleitet und Gelder eingefroren. Doch selbst in Brüssel geht das vielen nicht weit genug.

EU-Abgeordnete fordern, Ungarn sämtliche Gelder zu entziehen

Gut zwei Dutzend EU-Parlamentarier fordern nun fraktionsübergreifend, den Druck auf Ungarn zu verschärfen. In einem offenen Brief, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, sprachen sich Abgeordnete von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen am Mittwoch dafür aus, dass Ungarn sämtliche Zuwendungen aus Brüssel verliert. Der grüne Abgeordnete Daniel Freund, der den Brief initiierte und sich im EU-Parlament seit Langem mit Ungarns Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit beschäftigt, sagte, es gehe darum, die europäischen Steuerzahler zu schützen.

Die Parlamentarier listen in ihrem Brief auch etliche andere Gesetze auf, die ihrer Meinung nach die ungarische Demokratie aushöhlen. Etwa den Einfluss der Regierung auf die Justiz, der in ein Abkommen zwischen dem Justizministerium, dem obersten Gerichtshof und anderen Institutionen der Justiz mündete. Dieses sieht vor, die Bezahlung von Richtern an deren Bereitschaft zu knüpfen, mutmaßlich regierungskonforme Reformen mitzutragen. Oder das Gesetz vom März, das das Recht auf Versammlungsfreiheit einschränkt. Zukünftig dürfen keine Veranstaltungen mehr organisiert oder besucht werden, bei denen nicht heterosexuelle Beziehungen thematisiert werden. Das Gesetz soll dem Kinderschutz dienen und richtet sich gegen Kundgebungen der LGBTQ-Szene wie die jährliche Pride-Parade. Ob diese wie geplant im Juni in Budapest stattfinden kann, ist ungewiss.

Man müsse der Regierung von Viktor Orbán endgültig den Geldhahn zudrehen, sagte der FDP-Europapolitiker Moritz Körner der ARD. „Wer sich null um die Achtung der EU-Werte kümmert, hat null Euro aus dem EU-Budget verdient.“

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