Themen zusammenzubinden, die wenig miteinander zu tun haben, ist die wöchentliche Herausforderung der Talkshow-Moderatoren. Sandra Maischberger versuchte es diesmal mit den Begriffen „Schicksalswochen“ und „Schicksalstage“ – für die deutsche Koalition angesichts der Rentenabstimmung und für die Ukraine angesichts der Verhandlungen um einen „Frieden“. Maischbergers Gespräch mit Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil war eingerahmt von Einschätzungen einer Journalisten- und Autorenrunde und zweier Europapolitiker, von denen einer demnächst eine Bundespartei leiten soll.
Zuerst ging es um das Rentenpaket und die am Freitag anstehende Abstimmung im Bundestag, bei der die Koalitionsmehrheit am Widerstand der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion zu scheitern droht. Sozialdemokrat Klingbeil lobte zwar die Linkspartei für ihr Angebot, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Die Partei verhalte sich damit verantwortungsvoll. Allerdings müsse eine eigene Mehrheit der Koalition zustande kommen – man könne schließlich nicht immer davon ausgehen, dass Linke und Grüne SPD und Union „beispringen“, so der Minister. Er glaube auch, dass mehrere junge Abgeordnete sich in der allgemeinen Abstimmung am Ende an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen würden. Schließlich gehe es, so Klingbeil, um Millionen Rentner, für die man gemeinsam Verantwortung trage. Das Paket sieht unter anderem vor, die geltende Haltelinie zu verlängern und das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent festzuschreiben.
Arbeiten bis zum Umfallen?
ARD-Wirtschaftsexpertin Anja Kohl hatte zuvor die Kritik etlicher jüngerer Fraktionsmitglieder bekräftigt und gesagt, dass die Rentenpläne mit Kosten von zwölf Milliarden Euro im Jahr „aus der Steuerzahlerkasse“ viel zu teuer seien. Damit berief sie sich nicht auf Regierungsangaben, sondern auf eine Prognose des ifo-Instituts. Gleichzeitig löse das Vorhaben der Koalition kein einziges strukturelles Problem, klagte Kohl. Alle Bürger sollten nach dem Willen von Union und SPD einfach „arbeiten bis zum Sankt Nimmerleinstag“.
Über wirkliche Lösungen, aus Kohls Sicht etwa eine kapitalgedeckte Rentensäule, werde nicht diskutiert. Ebenso wenig gehe die Regierung grundsätzliche Schwachstellen des Systems an, wie zum Beispiel die 49 Prozent Teilzeit-Quote erwerbstätiger Frauen. Gelinge es, diese zu senken, würde sich die Einnahmenbasis für die Rente entscheidend verbreitern, so Kohl. Gleichzeitig könne das Sozialsystem entlastet werden. Doch statt solche strukturellen Fragen anzugehen, belaste man nur immer weiter die Bürger. Christoph Schwennicke, Politikchef von t-online, gab Kohl zum Teil Recht. Die Rentenlücke werde mit Milliarden Euro zugeschüttet.
Der Journalist legte den Schwerpunkt aber auf die Probleme im Regierungsstil von Kanzler Friedrich Merz. Alles werde unter Merz zur „Steißgeburt“. Auch der Kabarettist und Autor Florian Schroeder fand, Merz sei eine Art „Last-Minute-Kanzler“, dem es nicht liege, langfristige Absprachen und Allianzen zu schmieden. Merz habe so einige Gemeinsamkeiten mit dem sozialdemokratischen Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Beide hätten „etwas Erratisches“, meinte Schroeder. Schwennicke gab zu bedenken, dass das erste halbe Jahr der rot-grünen Regierung von Schröder seinerzeit ein „Desaster“ voller „Dilettantismus“ gewesen sei – später habe man dann mit der „Agenda 2010“ entscheidende Reformen auf den Weg gebracht.
Multikrise im „Hyperloop“
Auch Kohl wollte die derzeitige Lage historisch einordnen. Wirtschaftlich habe es immer Krisen gegeben. Aber nun treffe die durch den technischen Wandel beschleunigte Transformation, die Jobs massenhaft vernichte, auf „tiefste Strukturkrisen“. Dazu komme der Krieg in der Ukraine, so dass sich die Krisen quasi „im Hyperloop“ stapelten. Unternehmer in Deutschland seien „extrem verzweifelt“, weil die notwendigen Reformen nicht kämen, meinte Kohl. Das bot Klingbeil eine gute Vorlage, um zu versichern, die Regierung tue alles, um Deutschland wieder „stark“ und wettbewerbsfähig zu machen. Das Küchentischgespräch über die Sicherheit des Arbeitsplatzes sei zurück in deutschen Haushalten, so der Vizekanzler, daher sei es die wichtigste Aufgabe seiner Regierung, die wirtschaftspolitische Unsicherheit abzubauen.
Selbstkritik gab es von Klingbeil einzig, als Maischberger das Gespräch auf den Krieg in der Ukraine lenkte. Wenn er sich eines vorwerfe, dann „dass wir Wladimir Putin nicht ernst genommen haben“, sagte der Sozialdemokrat mit Blick auf die Jahre vor Putins Überfall. Man wisse nicht ob es eine militärische Auseinandersetzung weiterer Länder mit Russland geben werde, so Klingbeil, aber Deutschland und seine Partner müssten nun die beste Vorsorge in Sachen Verteidigungsfähigkeit Europas treffen. Im Hinblick auf den Entwurf zu einem russisch-amerikanischen Friedensplan stellte der Minister klar, nichts dürfe über den Kopf der Ukraine beschlossen werden. Er sei Merz dankbar, dass Europa nach der Vorstellung des Plans „stark dazwischen gegangen“ sei. Viele Punkte, wie die umfassenden Gebietsabtretungen an Russland, seien nicht akzeptabel, so Klingbeil.
In einer weiteren Kommentatorenrunde bekräftigten auch Schroeder, Kohl und Schwennicke, dass Deutschland und Europa nun verteidigungsfähig gegen Russland werden müssten. Putin sei von der Trump-Regierung ermutigt worden, der es vor allem um Geschäftsinteressen gehe, sagte Kohl. Die Europäer müssten aufpassen, dass Trump Putin nicht am Ende „die Straßen planiert“, auf denen dessen Panzer nach Westen rollten. Europa müsse standhaft bleiben, so der allgemeine Tenor, in den dann auch der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber einstimmte.
Seinen Gesprächspartner Fabio De Masi, der demnächst das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) führen soll, kritisierte Weber für eine Äußerung, die kürzlich für Unmut gesorgt hatte: Wem die Friedensbemühungen nicht passten, hatte De Masi gesagt, der solle doch an die Front kämpfen gehen. Beide tauschten noch einmal die bekannten Argumente aus. De Masi plädierte wie viele BSW-Anhänger für eine neue Annäherung an Russland und eine „Neutralität“ der Ukraine. Weber brachte die konkreten Punkte des „Friedensplans“ in Erinnerung – dass die Ukraine Territorien aufgeben soll, die Russland nicht erobert hat, dass selbst die Mörder von Butscha amnestiert würden. Die Ukrainer kämpften für Freiheit und Demokratie und bräuchten die Hilfe Europas, so der Unionspolitiker.
Weber sprach auch eine Warnung im Hinblick auf Trump aus: Die USA seien „nicht mehr Führer der freien Welt“, sondern nur noch auf der Suche nach lukrativen Deals. Europa sei nun „alleine in einer ziemlich kalten Welt“ – daher müsse man jetzt eine europäische Armee aufbauen. Es war am Ende eine Sendung, die man so schon ein paar Mal gesehen zu haben meinte. Einzig Klingbeils Festlegung, bei der Rente eine eigene Mehrheit zu wollen und zu brauchen, lieferte Klärendes. An dieser Latte wird die Koalition am Freitag gemessen werden.

vor 2 Tage
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