Spotify Wrapped 2025: So entsteht das »musikalisches Alter«

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 »Darauf können wir uns einigen«

Die Ärzte, anno 1987: »Darauf können wir uns einigen«

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Fryderyk Gabowicz / United Archives / picture alliance

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Manch einer dürfte sich erschrocken haben angesichts dieser Zahl. Im Jahresrückblick »Spotify Wrapped« lauert sie gleich hinter den Top-Genres, ist wahlweise schrecklich hoch oder überraschend niedrig, auf jeden Fall selten richtig. »Du bist nur so alt, wie du dich fühlst«, schreibt Spotify dazu, »also nimm das nicht persönlich.«

Gemeint ist das »musikalische Alter«, neben der »Wrapped Party« mit Freunden ein neues Feature im Jahresrückblick des Streamingdienstes. Es soll einem sagen, wie alt man wirklich ist, zumindest, wenn es nach der Musik geht, die man zwischen dem 1. Januar 2025 und einem nicht genau genannten Stichtag vor wenigen Wochen gehört hat.

Wer mindestens drei Lieder abgespielt hat, die innerhalb eines zusammenhängenden Fünfjahreszeitraums erschienen sind, bekommt ein Ergebnis angezeigt. Es reicht von 16 bis 100, wobei 21 mit neun Prozent der Nutzer das häufigste Alter ist. Nur 0,0013 Prozent sind hingegen 98 Jahre alt, schreibt Spotify auf SPIEGEL-Anfrage.

Spotifys Idee von den »prägenden Jugendjahren«

Der Streamingdienst erklärt das Konzept mit dem sogenannten »Reminiscence Bump«. Dieser besage, dass man sich besonders stark mit der Musik aus der eigenen Jugend identifiziert. Laut Spotify geht die von 16 bis 21. Der Konzern hat für seinen Jahresrückblick analysiert, aus welchem Fünfjahreszeitraum ein Nutzer überdurchschnittlich viel Musik gehört hat – im Vergleich zu Gleichaltrigen. Daraus folgte der Schluss, dass er zu dieser Zeit in seinen »prägenden Jugendjahren« gewesen sein muss.

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Dass diese Berechnung nicht ganz aufgeht, scheinen die Verantwortlichen selbst zu wissen. In einer englischen Pressemitteilung  heißt es, es handle sich um eine »spielerische« Funktion. »Wir sehen Gen Z, die Ergebnisse erhalten, die dreimal so hoch sind wie ihr Alter… und umgekehrt«, sagt Marketingchef Marc Hazan. Es gehe vielmehr darum, ins Gespräch zu kommen.

Letzten Endes geht es Spotify wohl vor allem um eines: Aufmerksamkeit. Um den Jahresrückblick ist es ruhiger geworden, viele Funktionen waren von Jahr zu Jahr ähnlich. 2024 versuchte man es mit der Zuweisung einer »Sound Town«, sorgte damit aber eher für Verwirrung . Ein so kontroverses wie simples Feature wie das musikalische Alter kommt da gerade recht.

Und tatsächlich, Gesprächsstoff liefert das genug. Sogar Promis schalteten sich ein: Musikerin Grimes verkündete auf X  stolz, sie habe ein Alter von 92 Jahren. Sängerin und Schauspielerin Rachel Zegler soll 67 Jahre alt sein, Charli xcx 75.

Und wie ist das in der SPIEGEL-Redaktion? Nachgefragt bei neun Kolleginnen und Kollegen.

»Ich werde die Zahl mittelfristig wohl verkraften«

Markus Böhm, Redakteur im Ressort Netzwelt: 90 statt 38

»Eigentlich wollte ich dieses Jahr nichts aus meinem Jahresrückblick teilen. Der Wrapped-Hype nervt, und meine Top Ten mit dem TikTok-Hit »Als du gingst (Edit)« und Rapper Finch wirkt wild. Aber dann steht da dieses Alter: 90 Jahre?!

Das ist doch purer Ragebait, denke ich mir als 38-Jähriger mit einer laut Spotify musikalisch gesehen 21-jährigen Ehefrau – provokanter Quatsch, der schreit: Reg dich auf, teil' das! Musikalisch hängen geblieben bin ich real in den Neunzigerjahren, ich war dieses Jahr auf zwei Konzerten, bei denen Orchester Trance- und Dance-Klassiker spielten.

Für die 90 Jahre gibt es am Ende zumindest eine Erklärung: Auf der Seite mit der Altersanzeige läuft »Sh-Boom« von The Chords, aus dem Jahr 1954. Ich kenne die Band nicht. Das Lied aber ist, genau wie ein anderer Song von 1951, Teil des Soundtracks zum Pixar-Film »Cars«. Der lief dieses Jahr ungefähr 15 Mal auf meinen Account: für meinen kleinen Sohn. Der wäre laut Spotifys Logik wohl auch ein alter Knacker.«

 »Ich kenne die Band nicht«

The Chords in den Fünfzigerjahren: »Ich kenne die Band nicht«

Foto: Michael Ochs Archives / Getty Images

Annika Schultz, Volontärin im Ressort Sport: 65 statt 28

»Am Nachmittag habe ich noch mit meiner Mitbewohnerin über ihr Spotify-Alter gelacht. Es lag bei 57 statt 28 Jahren, Spotify nannte sie »eine alte Seele«. Wenige Stunden später ploppte bei mir die Zahl 65 auf.

Ich bin eigentlich eine Indie-Maus, Provinz, Dilla und Nina Chuba zählten im Jahresrückblick zu meinen Top-Artists. Alles Acts, die in den vergangenen Jahren bekannt geworden sind. Warum gleicht mein Musikgeschmack dann angeblich einer 65-Jährigen?

Ich kann und möchte mir das nur mit einem Abend erklären: Eine gute Freundin und ich trafen uns im Sommer, um zu kochen und Sekt zu trinken. Danach wollten wir »Mamma Mia« im Freiluftkino schauen, also tanzten wir zu Abba durch die Küche. Stundenlang. Als Spotify mich um gut 40 Jahre altern ließ, lief »Take A Chance On Me« im Hintergrund. Wenn dieser Abend der Grund dafür ist, werde ich die Zahl mittelfristig wohl verkraften. Er gehörte zu den schönsten in diesem Jahr.«

»Meine Frau fragt, ob mir die attestierte Verjüngungskur nicht peinlich sei«

Christian Reiermann, Reporter für Wirtschaft im Hauptstadtbüro: 22 statt 63

»Für mich ist Spotify ein regelrechter Jungbrunnen. Ich bin 63 Jahre alt, der Streamingdienst taxiert mich auf 22, zumindest was meinen Musikgeschmack angeht. Das lässt sich erklären. Ich gebe mir Mühe, jeden Tag Sport zu machen, eine Dreiviertel- bis volle Stunde. Dabei höre ich immer, und damit meine ich ausschließlich, Taylor Swift.

Ihre Musik hat sich als Soundtrack zu meinen sportlichen Aktivitäten bewährt. Da kommt im Laufe des Jahres einiges zusammen. 10.181 Minuten waren es bislang. So landete sie in meiner Top-Playlist mit weitem Abstand auf Platz eins, gefolgt von Frank Zappa, einem meiner Favoriten aus meiner wirklichen Jugend.

Meine Frau hat mich gefragt, ob mir die attestierte Verjüngungskur nicht peinlich sei. Ist sie nicht, ich nehme sie achselzuckend hin. In einem Zeitalter, in dem Schönheit, Geschlecht und die eigene Persönlichkeit als sozial konstruiert gelten, muss man sich nicht wundern, wenn Algorithmen unter Mithilfe von künstlicher Intelligenz einem kahlköpfigen Boomer ein jugendliches Alter andichten.«

 »Für mich ist Spotify ein regelrechter Jungbrunnen«

Taylor Swift: »Für mich ist Spotify ein regelrechter Jungbrunnen«

Foto: Darryl Dyck / The Canadian Press / AP / dpa

Florian Gontek, Redakteur im Ressort Leben: 28 statt 32

»Ich bin einer der Wenigen, bei denen Spotify gar nicht so falsch liegt. Aber ich scheine in meiner Studizeit kleben geblieben zu sein. Während Paare um mich herum Kinder kriegen, sich in opulenten Altbauten eingerichtet haben oder schöne Wohnungen kaufen, spielt mein Leben kinderlos auf zehn Quadratmetern WG-Zimmer.

Das spiegelt auch mein Spotify Wrapped ganz gut wider. Hier wird mir ein Hang zu recht prolligem deutschem Rap diagnostiziert, der mit meiner nach außen gezeigten Selbstwahrnehmung (›Ich liebe Wir sind Helden‹, ›Olivia Dean, total großartig‹, ›Megagern würde ich Florence + the Machine mal mit dir live sehen‹) erschreckend wenig zu tun hat.

Dafür bin ich auf Spotify nicht wie biologisch 32, sondern 28, und der Großteil meiner Unifreunde musikalisch jenseits der 70. Sollen die doch Mumford & Sons, Enya oder Depeche Mode hören. Bei mir laufen weiter RAF Camora, Hafti und Rin. Das hält jung, versprochen.«

»Wer ist hier 89 Jahre alt – ich oder mein Sohn?«

Marco Wedig, Redakteur bei DEIN SPIEGEL: 89 statt 38

Es begann im Sommerurlaub. Ich versuchte, meinen Sohn auf dem Bett unseres viel zu kleinen Apartments zu wickeln. Aber der Anderthalbjährige krabbelte mir ständig davon. Ich probierte es mit Musik. Fredrik Vahle? Irgendein beruhigender Ambient-Sound? Alles doof. Dann: »Banana Boat (Day-O)« von Harry Belafonte. Und plötzlich hielt das Kind inne.

Seitdem begleiten uns Belafontes Calypso-Klänge aus den Fünfzigern. Ob beim Windelwechseln oder als Einschlafbegleitung – »daylight come and me wan' go home.« Es war daher keine Überraschung, welcher Artist und welcher Song meinen Spotify-Jahresrückblick anführen würden. Ich fragte mich nur: Wer ist hier 89 Jahre alt – ich oder mein Sohn? Zu Weihnachten bekommt er das »Calypso«-Album nun auf Vinyl. Wie es sich für einen Mann seines Alters gehört.

 »Plötzlich hielt das Kind inne«

Harry Belafonte: »Plötzlich hielt das Kind inne«

Foto: Sven Simon / SvenSimon / picture alliance

Johanna Kolinski, Assistenz der Chefredaktion: 21 statt 40

»Laut Spotify bin ich 21 – lieben wir, da ich in Wirklichkeit 40 Jahre alt bin. Wie komme ich also zu dieser bombastischen Verjüngung? Wohl wegen meiner Kinder, sechs und acht Jahre alt. Bei uns gibt es viel Musik aus den 2020er-Jahren. Das Top-Album ging an Nina Chuba, Platz zwei belegten die KPop Demon Hunters.

So ist es eben, wenn man mit dem Nachwuchs ständig im Auto hin und her fährt: Man muss DJ spielen und sie bei Laune halten. Einige Lieder höre ich immerhin auch ganz gern. Unseren Platz vier – »Der dicke Dachdecker« – kann ich hingegen überhaupt nicht leiden. Aber was tut man nicht alles für die Kleinen.«

 »Auch mal die Grubenlampe anschalten«

Jayahadadream: »Auch mal die Grubenlampe anschalten«

Foto: Photoshot / picture alliance

Marco Fuchs, Redakteur im Ressort Sport: 19 statt 51

»Laut Spotify bin ich 19 Jahre alt, mein Pass sagt, ich sei 51. Dieser konstantinweckerhafte Altersunterschied erklärt sich durch eine simple Maxime: Bevor ich tausendmal Gehörtes ansteuere, lasse ich lieber guten, neuen Stoff in mein Leben. So wie mir Revival-Konzerte zuwider sind, so ungern schwelge ich bei Spotify in Nostalgie. Es gibt doch so viel zu entdecken.

Allein in diesem Jahr: Ganavya, Derya Yıldırım & Grup Şimşek, John Glacier, Charif Megarbane, Anysia Kim, Jayahadadream! Da muss man auch mal die Grubenlampe anschalten und in bislang unentdeckte Territorien vordringen. So ist Nu Jazz im Jahr 2025 mein Genre Nummer eins (okay), Desert Blues die Nummer zwei (was soll das denn sein?).

Aber ein bisschen trickse ich natürlich: Die alten Alben werfe ich auf den Plattenspieler. Das schmeichelt meinem gelernten Hörempfinden – und versaut mir nicht den Spotify-Algorithmus.«

»Ehrlich gesagt hielt ich mich für wenigstens etwas jünger«

Christoph Winterbach, Redakteur im Ressort Daten & Visualisierungen: 82 statt 36

»Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber ich bin fast ein halbes Jahrhundert älter als mein Perso ausweist. Statt 36 Jahren taxiert Spotify mich auf 82!

Wie ich mich so gut gehalten habe? Ich tanze exzessiv viel Forró, das ist ein brasilianischer Paartanz. Studien belegen, wie gesund das ist: Die Bewegung hält den Körper fit, die Koordination das Gehirn. Der soziale Kontakt und das Kuschelhormon Oxytocin tun ihr übriges. So richtig verbreitet hat sich Forró in Brasilien ab den Fünfzigerjahren. Spotify spielt mir bei Wrapped ein für das Genre eher untypisches Instrumentalstück  aus dem Jahr 1961 vor. Damals wäre ich also gerade 18 gewesen.

Ehrlich gesagt hielt ich mich für wenigstens etwas jünger. Ich habe das mittlere Erscheinungsjahr aller Schallplatten in meiner Sammlung ausgerechnet: 1976. Tatsächlich lasse ich viel lieber den Plattenspieler kreisen, anstatt Spotify zu starten. Aber davon weiß der scheinbar allwissende Streamingdienst natürlich nichts.«

 »Warum auch nicht?«

Abba: »Warum auch nicht?«

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Anna Ehlebracht, Volontärin im Newsressort: 59 statt 28

»Mein musikalisches Alter ist laut Spotify 59, mein biologisches laut Geburtsurkunde 28. Drum wurde herzlich gelacht! Die Erklärung: Viel Musik aus den frühen Achtzigerjahren gehört, eine »alte Seele« eben. Das Lied, das unterlegt ist: »Voglio Vederti Danzare« von Franco Battiato. Aus dem Jahr 1982. Da waren meine Eltern beide um Jahre jünger als ich jetzt, weshalb ich offensichtlich die Musik ihrer Jugend höre, nicht meiner eigenen.

Aber warum auch nicht? Dire Straits, Bruce Springsteen, Depeche Mode. Toll. Äußerst stolz darf ich mich zudem zu den 0,4 Prozent Top-Fans von Abba zählen, die meine Eltern niemals freiwillig hören würden, damals wie heute. Dafür aber Die Ärzte, die auf Platz zwei landen. Darauf können wir uns einigen, gleiches Musikalter eben. Und meine jüngere und wesentlich hippere Schwester ist laut Spotify sogar älter als ich: 64. Noch besser. Bei den meistgehörten Songs kehre ich dann aber durchweg in dieses Jahrtausend zurück. Man will ja auch offen für Neues bleiben!«

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