Die Hochschule für Philosophie in München ist ein moderner Ort der ersten Wissenschaft, zugleich aber ein Relikt einer alten Ordnung. Denn sie wird von der Societas Jesu betrieben, dem Orden der Jesuiten, erhebt jedoch den Anspruch, auch zu einer säkularisierten Gesellschaft zu sprechen. Ein zehnbändiger Grundkurs Philosophie, der erstmals in den Achtzigerjahren im Umfeld der Hochschule erschien und lange in Umlauf blieb, erhielt neben den klassischen Fächern Anthropologie, Erkenntnistheorie und Ontologie selbstverständlich auch eine „Philosophische Gotteslehre“ von dem 2005 verstorbenen Béla Weissmahr, die nach wie vor als Einführung in dieses Gebiet brauchbar ist.
Für den katholischen Philosophen und Autor Sebastian Ostritsch hätte es also im Grunde ein Heimspiel sein müssen, als er Ende November zu einem Vortrag über sein neues Buch „Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“ eingeladen wurde. Doch es regte sich Widerstand aus der Hochschule selbst, vor allem bei einigen Studenten. Anstoß fand nicht die philosophische Arbeit von Ostritsch (das Buch war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Markt), sondern seine publizistischen Aktivitäten: Er arbeitet für die „Tagespost“, eine konservative, manche sagen: rechte katholische Zeitschrift, und er äußert sich immer wieder auf der Plattform X zu politischen Fragen.
Voreilige Verurteilung
Ob die Bezeichnung „rechtsextremistischer Fundamentalist“, die im Zuge der Protestbekundungen fiel, angemessen ist, ist aus skeptischen Bemerkungen zur deutschen Migrationspolitik nicht zu erschließen, während Einwände gegen Regenbogenflaggen auf Kirchen auf eine Vorliebe für die „natürliche“ Familie schließen lassen, die manchmal für die Diskriminierung queerer Menschen herhalten muss.
Sebastian Ostritsch: „Serpentinen“. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung.Matthes & SeitzIn München aber wollte Ostritsch als Philosoph sprechen, was er schließlich in einem anderen Rahmen auch durfte. Und nun, da auch das Buch vorliegt, kann man sich ein Urteil darüber bilden. Der Titel „Serpentinen“ bezieht sich darauf, dass Thomas von Aquin seine Gottesbeweise als „Wege“ bezeichnet hat, die alle zu der Einsicht führen sollen, dass Gott eine Tatsache der Vernunft ist. Ostritsch lädt das Lesepublikum also zu einem gedanklichen Aufstieg ein, der in mehreren Varianten das entscheidende Argument nachvollziehbar machen soll, das Thomas von Aquin an verschiedenen Stellen in seinem Werk entwickelt hat: Stark vereinfacht geht es dabei darum, aus einer endlichen Welt, wie sie den menschlichen Sinnen zugänglich ist, einen unendlichen Urheber zu erschließen.
Auf diesen Wegen benötigt man vor allem die latinisierten Begriffe von Aristoteles, den Thomas von Aquin wie ein Werkzeug gebraucht hat – für den Dominikanermönch im 13. Jahrhundert war die Philosophie ja die „Magd“ („ancilla“) der Theologie. Ausgangspunkt war für ihn der christliche Offenbarungsglaube. Die Gottesbeweise hatten die Funktion, diesen Glauben zu erhärten. Bei Aristoteles fand Thomas vor allem eine hochdifferenzierte Kausaltheorie, mit der er in seinen Gottesbeweisen gut arbeiten konnte. Ostritschs Darstellung ist in allen diesen Fragen auf der Höhe des Gegenstandes wie auch der zeitgenössischen Philosophie, die er – von G.E.M. Anscombe bis Holm Tetens – auch zitierend auf seine Seite zieht. An einigen Stellen blitzt sogar so etwas wie Siegesgewissheit auf: Nach einer so stringenten Darlegung der Beweise für die Existenz Gottes können Menschen, die sich nach wie vor lieber als Atheisten bezeichnen, dies nur widervernünftig tun.
Ist der Gott der Philosophen auch der christliche Gott?
Allerdings versäumt Ostritsch es, sich auch eingehender mit dem wichtigsten Satz in der Argumentation des Thomas zu beschäftigen: Die Ursache in den Kausalketten „nennen alle Gott“ („omnes Deum nominant“). Mit dieser Conclusio wird ja impliziert, dass der in begrifflicher Arbeit erreichte Gott eine abstrakte Größe ist, ein Konzept oder auch ein Prinzip. Dieses Prinzip hat zwar Attribute, die sich aus den Wegen zu Gott ergeben, aber in der Formulierung, dass „Gott der allmächtige, vollkommen gute, allwissende, zeitlose, immaterielle und unveränderliche Schöpfer“ ist, klingt mit dem dazu geschmuggelten Wort Schöpfer ebenjener Übergang in den Offenbarungsglauben an, den Ostritsch zweifellos im Sinn hat, der sich aber aus seiner eigenen Darstellung keineswegs zwingend ergibt.
Die Vokabel Gott hat sich im Abendland ergeben als eine Bezeichnung für ein Konzept, das bei Aristoteles als „unbewegter Beweger“ fungiert. Die von Kant auch „physikotheologisch“ genannten fünf Wege des Thomas beruhen alle im Kern auf Kreationismen, die einen Gott zu brauchen meinen. Das, was dem Kosmos voraus- oder zugrunde liegt, könnte aber auch andere Namen tragen – nicht von ungefähr findet sich bei den Philosophen oder in der populären Kultur auch ein Trend, sich direkt an „das Universum“ zu wenden, von dem man sich in einer Mischung aus abendländischer Providenz und asiatischem Karma das eine oder andere erhofft. Das „omnes Deum nominant“ von Thomas stammt hingegen aus einer geschlossen christlichen Welt.
In eine solche würde Ostritsch offensichtlich gern zurückführen. Dieses eigentliche Interesse seines Buchs legt er mit dem Untertitel offen: „Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“. Die Suggestion ist deutlich: Die Aufklärung hatte ihre Chance, ist nunmehr aber historisch, wie auch die Moderne, die gleich im ersten Absatz abgefertigt wird. Somit stellt sich die Frage nach dem Danach. Für Ostritsch ist das Danach ein Davor. Kant, der Überwinder der scholastischen Dogmatik und der aus ihr erwachsenen Schulphilosophie, ist für ihn selbst Urheber eines Dogmas: dass Gottesbeweise erledigt sind.
Die Offenbarung ist notwendig kontingent
Der höchste, der sogenannte ontologische, wollte eine zwingende Existenz allein aus dem Begriff Gott ableiten, der sein Nichtsein ausschließt. Ostritsch unterläuft die niemals versiegenden Debatten zu dieser Frage, die in einem Standardwerk von Dieter Henrich gipfelten. Er konzentriert sich auf die weniger akrobatischen „Wege“ und verschafft ihnen tatsächlich neues Renommee.
Das imponierende intellektuelle Gebäude der Hochscholastik hielt bis an die Schwelle zum 20. Jahrhundert, ja vielfach sogar bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Es war aber immer darauf gebaut, dass es einen starken gesellschaftlichen Konsens darüber gab, dass die Buchreligionen etwas von dem Gott der Philosophen wussten – oder umgekehrt, dass das abstrakte höhere oder höchste Wesen, das auch heute noch durch viele Selbstbeschreibungen in Meinungsumfragen geistert, etwas mit den Kreuzen in Klassenzimmern zu tun hat, an denen für Markus Söder und Geistesverwandte die deutsche Kultur hängt.
Dieser Zusammenhang liegt auch bei Ostritsch dem Gedankengang voraus, den er in „Serpentinen“ geht. Zwischen dem unbewegten Beweger des Aristoteles und dem Gott der hebräischen Genesis oder dem Gott der christlichen Dreifaltigkeit gibt es aber keine unmittelbare Verbindung auf einem Vernunftweg. Denn die Offenbarung ist notwendigerweise kontingent, und Ostritsch müsste andernfalls ja auch erklären, warum die an Mohammed im 7. Jahrhundert keine gewesen sein soll, während die Prophetie von Jesus, der von einem unbewegten Beweger niemals gesprochen hätte, die einzige und entscheidende war. Man kann also auch weiterhin widerspruchsfrei skeptisch sein gegenüber den Ansprüchen der Buchreligionen, wo sie nicht auf eine Ethik hinauslaufen, für die Kant vielleicht doch die besseren Gründe hatte. Von den Gottesbeweisen von Sebastian Ostritsch bleibt vielleicht am ehesten – neben einer durchaus lohnenden Geschichtsstunde – eine Anregung, sich neue Namen für abstrakte erste Beweger zu überlegen.
Sebastian Ostritsch: „Serpentinen“. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2025. 220 S., br., 20,– €.

vor 6 Stunden
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