Premierministerin in Tokio: Japans neue Regierung ist weiblicher – und rechter

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Als das Ergebnis verlesen wurde, das Sanae Takaichi zur Premierministerin Japans machte, ging eine Art Jubel durch das ehrenwerte Unterhaus in Tokio: Ein dumpfer Seufzer, der nach Erleichterung klang. Dabei war Takaichis Erfolg keine Überraschung mehr. Die Unwägbarkeiten der vergangenen Tage waren ausgeräumt, als die 465 Abgeordneten am Dienstag darüber abstimmten, wer die neue Staatsregierung nach dem Rücktritt von Premier Shigeru Ishiba führen soll.

Takaichi, 64, die neue Präsidentin der rechtskonservativen Regierungspartei LDP, hatte den Bruch mit der Koalitionspartnerin Komeito verwunden. Abends zuvor hatte sie den neuen Koalitionsvertrag mit der rechtskonservativen Nippon Ishin no Kai unterschrieben. Und weil die Opposition keinen gemeinsamen Kandidaten hatte, war Sanae Takaichi die sichere Siegerin.

Die absolute Mehrheit ersparte Takaichi eine Stichwahl

237 Stimmen bekam sie. Sechs mehr, als LDP und Ishin zusammen aufbringen im Unterhaus. Unabhängige mussten sich auf Takaichis Seite geschlagen haben, denn die übrigen Kandidaten bekamen weitestgehend so viele Stimmen, wie ihre Fraktionen Sitze haben. Die absolute Mehrheit ersparte Sanae Takaichi eine Stichwahl. Sie steht nun drin in den Geschichtsbüchern als erste Frau an der Spitze des sonst so männerdominierten Inselstaates.

Aber nicht nur deshalb war dieser Dienstag in Tokio ein besonderer. Zum ersten Mal seit 1999 ist Komeito nicht mehr Teil der Regierung. Komeito ist der politische Arm der größten buddhistischen Laienorganisation in Japan. 26 Jahre lang hat die Komeito-Gefolgschaft in Wahlkämpfen Stimmen für LDP-Kandidaten organisiert und damit die Macht der Dauerregierungspartei abgesichert. Komeito galt mit ihrem pazifistischen Anspruch als das gute Gewissen der Regierung, als sanfterer Gegenpol zur LDP mit ihren teilweise nationalistischen Parlamentariern. Mit Ishin rückt die japanische Regierung ein Stück weiter nach rechts.

Sanae Takaichi konnte Komeito nicht halten. Sie gilt als rechte Hardlinerin. Sie blickt mit Argwohn auf Zuwanderer. Sie steht zu nationalistischen Gesten, die in Korea und China Erinnerungen an das alte aggressive Kaiser-Japan wecken. Sie vertritt außerdem die freigiebige Wirtschaftspolitik des früheren Premiers Shinzo Abe, der 2022 ermordet wurde. Takaichis erste Personalentscheidungen zeigten, dass sie vor allem gleichgesinnte Rechte um sich haben will. Die Aufarbeitung der großen Parteispenden-Enthüllung von 2023 schien ihr nicht so wichtig zu sein. So zumindest stellte es Komeito-Chef Tetsuo Saito dar, als er am Freitag vor zehn Tagen den Bruch mit der LDP erklärte.

Der Koalitionspartner will Deregulierung und einen schlanken Staat

Sanae Takaichi wirkte überrumpelt. Kurz sah es so aus, als könnte die liberalkonservative CDP, Japans größte Oppositionspartei, die Lage nutzen, um mit anderen Parteien einen Gegenkandidaten für den Regierungswechsel aufzubieten. Auch Ishin wirkte interessiert. Aber dann bekam Ishin das Angebot von Takaichi. Deren rechtes Wesen ist Ishin näher als das offenere Weltbild der CDP. Die schnelle Einigung war keine Überraschung. Ishins Co-Chef Hirofumi Yoshimura sagte laut der Nachrichtenagentur Kyodo am Montag, er habe Takaichi am Telefon zugerufen: „Lassen Sie uns Japan zusammen vorwärtsbringen.“ Sanae Takaichi sagte: „Stabile Politik um jeden Preis ist wichtig jetzt.“

:Premier Ishiba beugt sich der Kritik

Nach nicht einmal einem Jahr als Regierungschef muss der gemäßigte Konservative Shigeru Ishiba einsehen, dass er gegen den rechten Flügel der LDP nicht bestehen kann.

Nippon Ishin no Kai, die „Versammlung zur Erneuerung Japans“, ist die nationale Version der 2010 gegründeten Regionalpartei Osaka Ishin no Kai. Osaka Ishin regiert in der Präfektur Osaka und in deren gleichnamiger Hauptstadt. Deregulierung und schlanker Staat sind ihr Steckenpferd. Kritiker sagen, dass das die soziale Kluft in Osaka habe wachsen lassen. Ishin selbst betont, dass man verkrustete Strukturen aufgebrochen und Geldverschwendung beendet habe. Auch auf nationaler Ebene vermarktet sich Ishin als die dynamische Alternative zur alten LDP.

Aber ihre Grundwerte sind ähnlich. „Wir finden auch, dass bewahrt werden soll, was sehr lange gehalten hat“, hat Ishins anderer Co-Vorsitzender, Fumitake Fujita, im Sommer 2023 - damals noch als Ishin-Generalsekretär – der SZ gesagt. Ishin ist für Kernenergie, Aufrüstung, die Änderung des pazifistischen Verfassungsartikels neun. Genau wie die LDP.

Überalterung und Inflation belasten Japan

Die zwei Parteien scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Aber ob deren rechte Alphatiere als Koalitionäre auf Dauer wirklich reibungslos zusammenarbeiten? Noch dazu in einer Minderheitsregierung, die bei Gesetzesvorhaben Hilfe von Dritten braucht? Ishin lebte bei Wahlen bisher gut vom Image der Gegen-LDP. Und so ganz traut ihre Führung der Regierungsbeteiligung wohl auch noch nicht. Ishin übernimmt keinen Ministerposten im neuen Kabinett. „Vorerst sind wir noch eine Gruppe von Abgeordneten ohne Regierungserfahrung“, erklärte Hirofumi Yoshimura laut Reuters, man wolle erstmal die eigene Politik in der Koalition durchbringen.

Ein paar Punkte hat Ishin schon durchgesetzt. Fumitake Fujita sagte auf einer Pressekonferenz, dass man sich mit der LDP unter anderem darauf geeinigt habe, die Zahl der Sitze im Unterhaus um 10 Prozent zu kürzen.  Außerdem soll die Verbrauchssteuer auf Nahrungsmittel für die nächsten zwei Jahre wegfallen, um Haushalte zu entlasten.

Und sonst? Überalterung und Inflation belasten Japan. Nach den Abe-Jahren von 2013 bis 2020, als Japan viel Geld druckte, um die Wirtschaft anzukurbeln, ist mehr Steuerdisziplin angezeigt. Sanae Takaichi kann nicht so einfach zur Abenomics-Politik zurückkehren. In der neuen Rolle bremst sie auch ihre nationale Gesinnung ein; an den jüngsten Herbstfeiertagen ging sie nicht zum Yasukuni-Schrein in Tokio, an dem Japan unter anderem Klasse-A-Kriegsverbrecher in Ehren hält.

Und im Kabinett, in dem lediglich zwei Frauen sitzen, hat sie Kollegen mit hohen Posten ausgestattet, die bei der LDP-Präsidentschaftswahl noch ihre Gegner waren. Der bisherige Agrarminister Shinjiru Koizumi, 44, wird Verteidigungsminister, Toshimitsu Motegi Außenminister. Sanae Takaichi weiß, dass sie Frieden in und um ihre Partei braucht, um Japan weiterzubringen.

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