133 Berichte ausgewertet Opfer von Missbrauch an Schulen in Vergangenheit oft alleingelassen
Eine Kommission des Bundes hat 133 Fälle von sexualisierter Gewalt an Schulen aus vergangenen Jahrzehnten aufgearbeitet. Trauriges Fazit: Häufig gab es Mitwissende, und Lehrkräfte griffen nicht ein.
03.12.2025, 17.14 Uhr
Leeres Klassenzimmer (Symbolfoto)
Foto: Arno Burgi / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
In vielen Fällen sexualisierter Gewalt an Schulen standen Betroffene in der Vergangenheit alleine da: Das ist eine zentrale Erkenntnis einer Studie der unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. In vielen Fällen hätten Lehrkräfte oder anderes schulisches Personal nicht interveniert, berichtete die Kommission bei der Vorstellung der Studie in Berlin.
»Oft gab es Mitwissende, die Kollegialität vor den Schutz der Kinder gestellt haben, Übergriffe ignoriert oder sogar vertuscht haben, um den Ruf der Schule zu schützen«, erklärte die Aufarbeitungskommission. »Betroffene reagierten darauf häufig mit eigenen Strategien, um der Gewalt zu entkommen, und schwänzten beispielsweise die Schule oder wiederholten eine Klasse.«
Die Kommission hatte vor vier Jahren mit einer Kampagne dazu aufgerufen, vertraulich zu schildern, wie Menschen sexualisierte Gewalt in der Schule erlebt haben. 133 Berichte von Betroffenen, die zwischen 1949 und 2010 sexualisierte Gewalt in der Schule erlebt haben, wurden für die vorliegende Studie ausgewertet. Knapp 80 Prozent der Opfer waren demnach weiblich, die überwiegende Mehrheit der Tatpersonen männlich.
Tatort Turnhalle oder Umkleidekabine
Orte von Gewalterfahrungen und Grenzüberschreitungen seien vorrangig Räume innerhalb der Schule gewesen, etwa die Turnhalle, die Umkleiden und das Klassenzimmer, heißt es in der Studie. In der Regel habe es sich nicht um einmalige Taten gehandelt. Auffallend sei eine Häufung vermeintlich romantischer Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern. »Oft war es den Betroffenen erst im Nachhinein möglich, die Manipulation zu erkennen und den Missbrauch zu benennen.« Die meisten hätten mit Schweigen auf die Taten reagiert.
Die Bundesregierung hatte die Aufarbeitungskommission 2016 eingesetzt, um Missbrauch in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aufzuarbeiten, etwa in der Familie, in der Schule, im Sport oder in Vereinen. Kern der Untersuchungen sind Anhörungen und Berichte von heute erwachsenen Betroffenen und Zeitzeugen.
»Die individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch ist notwendig, um das Leid der Betroffenen und das Unrecht anzuerkennen. Wenn wir die Strukturen verstehen, die Missbrauch begünstigen, dann können wir das System Schule weiterentwickeln und Kinder und Jugendliche zukünftig besser schützen«, sagte die Vorsitzende der Kommission, Julia Gebrande.
Unabhängige Beschwerdestellen gefordert
Gefordert werden als Konsequenz unabhängige Beschwerdestellen und Hilfsangebote in allen Bundesländern, an die sich Opfer wenden können. Gebrande erklärte, sie hoffe, »dass diese Fallstudie dazu anregt, sich vor Ort mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auseinanderzusetzen, die eigene Schulgeschichte aufzuarbeiten und Betroffenen zuzuhören«.
Studienautorin Edith Glaser forderte Qualifizierungsmaßnahmen für Lehrkräfte, Schulleitungen und Personal in Schulaufsichtsbehörden. »Alle Akteure im Bereich Schule müssen anhand klarer Kriterien transparent intervenieren und die Vorfälle aufarbeiten, sobald sexuelle Übergriffe in der Schule bekannt werden – auch wenn sie schon länger zurückliegen. Dafür brauchen sie Kompetenzen, um Anzeichen von Missbrauch wahrzunehmen, einzuordnen und angemessen zu handeln.«

vor 2 Tage
5








English (US) ·