Ode an das große Kino: Die Serie „The Studio“ von Seth Rogen und Evan Goldberg bei Apple TV+ ist ein Hit

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Wer sich je gefragt hat, was eigentlich aus Griffin Mill geworden ist, dem arroganten, auf Kommerzfilme schwörenden Studiomanager aus Robert Altmans Hollywoodsatire „The Player“ (1992), der als „Greenlighter“ quasi unumschränkte Macht besaß und sogar mit einem Mord davonzukommen schien – hier ist die Antwort. Griffin Mill, goldkettenbehängt und immer noch das Arthouse-Kino verachtend („artsy fartsy filmmaking bullshit“), ist inzwischen CEO des fiktiven Hollywoodstudios Continental, des sechsten der Big Five sozusagen und den Universal Studios zum Verwechseln ähnlich. Auf deren Gelände nämlich wurde ein Großteil der brüllend komischen, höchst selbstbezüglichen Serie „The Studio“ von Seth Rogen und Evan Goldberg gedreht.

Dass Mill nicht erneut von Tim Robbins gespielt wird, macht wenig, wenn man stattdessen Bryan Cranston („Breaking Bad“) bekommt. Auf Mills großen Auftritt wird man nach einer initialen Szene, in der er den der Cinephilie verdächtigten, aber zu aller opportunistischen Buckelei bereiten Matt Remick (Seth Rogen selbst und glänzend) zum neuen Studioboss beruft, lange warten müssen. Wenn dieser Auftritt schließlich stattfindet, und zwar während eines pompösen Drogenrauschs des halben Betriebs auf der wichtigen Kinomesse Cinemacon in Las Vegas, dann brennt er sich unvergesslich ein – und Cranston endgültig den (selbst ja abstinenten) Walter White aus den klappernden Knochen.

Im Trend: Serien über die Film- und Fernsehproduktion

Prächtig gespielt sind auch die Nebenrollen. Insbesondere Matts enger Mitarbeiter Sal sticht heraus. Ike Barinholtz gelingt die richtige Balance aus Irrsinn, Ehrgeiz – die Sal zu Sabotagen hinreißt, insbesondere im Hinblick auf die junge Konkurrentin Quinn (Chase Sui Wonders) – und mitreißend positiver Energie. Ständig rettet er seinen Chef, auf dessen Posten er selbst scharf war, aus peinlichen Situationen. Die entstehen, weil der enthusiastische Matt nicht sehen will, dass die Kreativen ihn nur wegen seiner Macht über den Geldhahn akzeptieren. Etwas flapsig geraten ist einzig die Marketingchefin Maya (Kathryn Hahn), die keinen Satz ohne „Fuck“, „Shit“ oder „Tits“ hervorschleudern kann.

„The Studio“ scheint zu einem Trend von Comedyserien über die Film- und Fernsehproduktion zu passen. Doch mehr als mit Jon Browns etwas bemühter HBO-Serie „The Franchise“ (über die Produktion eines Superhelden-Epos) oder mit der grell überdrehten Disney+-Serie „Rivals“ (über einen privaten englischen Fernsehsender in den Achtzigern) hat „The Studio“ eigentlich mit der köstlich hintersinnigen, aber bereits über ein Jahrzehnt alten Showtime-Serie „Episodes“ gemein, in der ein britisches Autorenehepaar in Hollywood das Remake einer eigenen Serie leiten sollte. „Friends“-Star Matt LeBlanc spielte darin eine fiktionalisierte Version seiner selbst.

Diese autofiktionale Dimension bringt „The Studio“ zur Perfektion. Es ist, als habe man bei den Cameo-Auftritten von Hollywoodgrößen, die eine schiefrunde Version ihrer selbst darstellen, sogar „The Player“ übertreffen wollen: Martin Scorsese, Nicholas Stoller, Sarah Polley, Owen Kline, Zoë Kravitz, Anthony Mackie, Charlize Theron, Adam Scott, Olivia Wilde, Zac Efron, Steve Buscemi, Erin Moriarty, David Krumholtz, Ramy Youssef, Ice Cube und zahlreiche weitere Arbeiter aus dem Weinberg des Kinos treten auf. Bei der Golden-Globes-Verleihung – eine Tortur für Matt, weil er in keiner Dankesrede bedacht wird – trifft der Studioleiter am Pissoir auf Netflix’ Ko-CEO Ted Sarandos (auch er spielt sich selbst), dem auf der Bühne ständig gedankt wird. Das sei vertraglich geregelt, verrät der. Etwas so Wichtiges überlasse er nicht dem Zufall. Das ist freilich nicht das, was Matt will.

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„The Studio“ ist eine Metaparodie. Alle selbstbezüglichen Hollywoodfilme von Billy Wilders „Sunset Boulevard“ bis zu Quentin Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“, vom Traumfabrik-Exorzismus „Barton Fink“ der Coen-Brüder bis zur Verklärung in „The Artist“ von Michel Hazanavicius liegen der Serie zugrunde und werden zugleich als Hollywoodprodukte durchschaut. Den üblichen Zynismus täuschen die Autoren nur kurz an und drehen dann die Erzählmoral um. Auch wenn das Selbstverständnis des Protagonisten als Künstler zum Spott sowohl der Business-Lackaffen als auch der sich selbst für die alleinigen Genies haltenden Kreativen führt, auch wenn Matt sich verbiegen muss, als ob es kein Morgen gäbe, und von einer Fremdschäm-Blamage in die nächste stolpert, bleibt eine Idee in ihm doch immer unbeschädigt: Das Qualitätskino ist nicht tot. Allem produzierten Schrott zum Trotz ist die Seele des Kinos – selbst wenn sie zu Streamingangeboten gewandert sein mag – für ihn etwas Magisches, Heiliges und Heilendes. Mit Zähnen und Klauen verteidigt er die These, dass Filme nicht nur Kunst sind, sondern für die Gesellschaft ebenso wichtig wie Medizin. Dafür bricht dieser Antiheld, den gerade seine Verletzlichkeit zum echten Helden macht, einen wuchtigen Streit mit einer Riege schnöselig überheblicher Ärzte vom Zaun, dem man so betreten wie fasziniert folgt.

Dabei tobt der Kampf zwischen Pflicht und Neigung auch in Matts Brust. Er hat seinen Job nur bekommen, weil er Mill vorflunkerte, voll und ganz hinter der Idee eines großen Marken-Films zu stehen. Wenn Warner Brothers „eine verdammte Milliarde mit den Plastiktitten“ einer Puppe machen könne, sagt Mill, könne man wohl zwei Milliarden aus dem Maskottchen der Brausemarke Kool-Aid rausholen. Matt will die Quadratur der Saftkanne: einen Autorenfilm statt eines platten PR-Stunts. Als Martin Scorsese das Drehbuch zu einem Film über den Jonestown-Massensuizid pitcht – auf den die Phrase „Drinking the Kool-Aid“ zurückgeht, auch wenn die mit Gift versetzte Brause gar nicht dieser Marke war –, ist er angefixt. Schließlich habe auch Tarantino Oscars mit einem Film über ein Kult-Massaker (die Manson-Morde; freilich als Gegennarrativ) gewonnen. Ein fataler Fehler.

So kompromisslos und perfekt getimt der dialogische Witz der Serie ist, so apart die Handlung – ob man nun Ron Howard ein unmöglich persönliches Filmende ausreden will oder beim Casting in eine ­Wokeness-Apokalypse gerät –, darf vor allem die überragende Optik nicht vergessen werden. Rogen und Goldberg haben ihr Märchen in das goldene Traumlicht der großen, kokainbeschleunigten Holly­wood­ära getaucht, obwohl es im Heute spielt. Licht, Setting und Ausstattung sind einfach zum Verlieben: allein die Cabrios und das keck Frank Lloyd Wright zugeschriebene Bürogebäude; gedreht wurde auch im ikonischen Harvey House über Los Angeles. Die auf Schnitte weitgehend verzichtende Filmästhetik ist geradezu exquisit. Zugleich wird auch das wieder thematisiert: In Episode zwei stört Matt unablässig einen One-Shot-Dreh bei Sonnenuntergang. Gefilmt ist das selbst absolut meisterhaft in einer einzigen langen Einstellung über die gesamte Episode hinweg, eine Verneigung vor den Meistern dieser Plansequenz genannten Aufnahmetechnik wie Robert Altman und Martin Scorsese. Eine andere Episode ist in der ganzen Anmutung eine Reverenz an Roman Polański „Chinatown“, der seinerseits eine solche an die Noir-Klassiker war. Eine so gelungene Liebeserklärung an die Filmkunst, die tatsächlich tief in deren Maschinenraum blicken lässt, gab es lange nicht mehr.

The Studio ist auf AppleTV+ abrufbar.

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