Der vormalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat seinem Nachfolger Friedrich Merz (CDU) viele ungelöste Probleme und heikle Fragen hinterlassen – darunter auch die, ob Deutschland der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefern soll oder nicht.
Über keine Waffe wurde hierzulande so viel diskutiert wie über diese weitreichenden, mit enormer Sprengkraft ausgestatteten Marschflugkörper aus deutsch-schwedischer Produktion. Auch Merz beteiligte sich schon als Oppositionsführer daran.
Merz sprach sich vor der jüngsten Bundestagswahl dafür aus, den Taurus in Absprache mit europäischen Partnern an die Ukraine zu liefern. Damit stand er im Widerspruch zur SPD – mit der er nun aber regiert. Als Bundeskanzler hat Merz eine Kehrtwende hingelegt. „Im Augenblick“ stehe eine Taurus-Lieferung nicht an, sagte er vergangene Woche auf Nachfrage im Fernsehen.
„Im Augenblick“ heißt: Eine spätere Taurus-Lieferung wird mit dieser Formulierung nicht ausgeschlossen. Fraglich ist jedoch, wann und wie die Öffentlichkeit davon mitbekommen würde.
„Die Bundesregierung wird Details von Waffenlieferungen nicht mehr öffentlich kommentieren und diskutieren“, bekräftigte Regierungssprecher Stefan Kornelius auf einer Pressekonferenz am Montag das Vorgehen der neuen Bundesregierung, über das zuvor schon berichtet worden war. Das bedeutet: Welche Stückzahlen und Waffen genau an die Ukraine geliefert werden, will die Merz-Regierung nicht sagen – in klarer Abgrenzung zur Linie der Ampel.
Es liegt die Kritik nahe, dass Merz mit dieser Entscheidung verschleiern will, seine vormalige Position aus Oppositionszeiten aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner SPD geändert zu haben. Die Sozialdemokraten wollen den Taurus weiterhin nicht liefern. Die Bundesregierung führt hingegen taktische Gründe für die neue Geheimhaltung an. Der Aggressor Russland solle künftig keine militärischen Vorteile bekommen, sondern im Unklaren gelassen werden.
Regierung will „strategische Ambiguität“
„Strategische Ambiguität“, so heißt das Vorgehen in der Fachsprache – und das „hat schon seinen Sinn“, wie Gustav Gressel von der Landesverteidigungsakademie Wien dem Tagesspiegel mitteilte.
Gressel verweist auf andere Unterstützerstaaten der Ukraine, die ihre Waffenhilfen ebenfalls nicht im Detail öffentlich machen. Über die erfolgte Lieferung britischer und französischer Marschflugkörper etwa habe die Öffentlichkeit erst erfahren, als sie erstmalig eingesetzt wurden. Das Vereinigte Königreich hatte allerdings zumindest die beabsichtigte Lieferung Anfang 2023 öffentlich angekündigt.
Von Merz ist keine solche Ankündigung zu erwarten – selbst, wenn er sich doch noch dafür entscheiden sollte, die Ukraine mit Taurus zu beliefern.
Grüne wollen „Transparenz und Kontrolle“
Wie kann die Öffentlichkeit nun davon erfahren, falls Merz den Taurus doch liefern lässt? Nachfrage bei zwei Oppositionsparteien im Bundestag. Die Grünen wollen „alle Mittel nutzen, die dem Parlament zur Verfügung stehen, um in einem sinnvollen Rahmen Transparenz und Kontrolle herzustellen“, kündigte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger gegenüber dem Tagesspiegel an. Merz habe in der Opposition selbst noch „jedes einzelne Detail jeder Waffenlieferung“ eingefordert.
Doch wenn der Bundestag jetzt in Sachen Taurus Transparenz herstellen will, gibt es einen Knackpunkt.
Geheiminformation im Ausschuss
Zwar hat die Bundesregierung gegenüber dem Parlament eine Berichtspflicht. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der Verteidigungsausschuss im Bundestag über eine Taurus-Lieferung an die Ukraine informiert werden würde. Die Linke etwa stellt in Aussicht, die Bundesregierung dort nach dem Taurus zu fragen, wie Tobias Pflüger dem Tagesspiegel sagte. Er war von 2017 bis 2021 verteidigungspolitischer Sprecher seiner Bundestagsfraktion.
Doch es ist gut möglich, dass die Antwort der Bundesregierung den Verteidigungsausschuss nicht verlassen darf – weil sie als geheim eingestuft wird. „Das ist das Problem“, meint Pflüger.
Wer etwas aus dem Ausschuss ausplaudert, dem können sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen. „Aus einer geheimen Sitzung Informationen preiszugeben, ist ein No-Go“, sagte die damalige Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im Jahr 2024, als ein Verdacht auf Geheimnisverrat bestand.
Damit ist denkbar, dass die breite Öffentlichkeit erst von der Lieferung der Marschflugkörper erfährt, wenn der erste davon in Russland eingeschlagen ist.