Mercedes-Benz In-Drive-Bremse: feinstaubfrei, fahr- und aerodynamisch

vor 3 Stunden 1

Die nicht mehr aufzuhaltende Verbreitung der Elektromobilität und neue Normen führen zu neuen Anforderungen an teilweise jahrzehntelang nur in Details immer weiter angepasste Konstruktionselemente der Autos. Das Elektroauto benötigt beispielsweise keinen Schalldämpfer, kommt meist auch ohne Kupplung aus. Mercedes nutzt die Aufgabe der kommenden Emissionsnormen, Feinstaub zu reduzieren, wie es erstmals bereits in der Euro 7 angelegt ist, um sich grundlegende Gedanken über die Bremsanlage zu machen. Dass das Ganze nun im Rahmen eines Elektroautoantriebs vorgeführt wird, hängt aber nicht mit der Elektrifizierung zusammen. Man könnte das Ganze auch in konventionellen Automatik- oder Schaltgetrieben integrieren. Neu ist daran auch nur, wie die einzelnen Konstruktionselemente zusammengebracht werden. Die Ingenieure bei Mercedes-Benz greifen in allen Aspekten auf längst bewährte Konstruktionsprinzipien zurück.

Zunächst zum Aufbau: Mercedes versucht gar nicht erst, mit immer neuen Belagmaterialien und Bremsscheiben oder gar Absaugungen, wie von Schaeffler vorgeschlagen, den Bremsstaub zu reduzieren. Sie verwenden ein Prinzip, das überhaupt keinen Abrieb in die Atmosphäre entlässt und greifen zu einer Reibscheibenbremse im Ölbad. Diese entwickelt schon wegen des Aufbaus weniger Abrieb. Der wird dann vom Öl aufgenommen und in einem Filter bis zur nächsten Inspektion mit Ölwechsel zwischengelagert. Gut bekannt sind solche Einheiten längst aus dem Automatikgetriebebau, wo sie die verschiedenen Zahnradsätze abwechselnd abbremsen, um die Gangstufen mit ihren verschiedenen Übersetzungen in den Planetenradsätzen einzustellen.

Damit die Bremsen keinen eigenen Ölkreislauf und Gehäuse benötigen, werden sie ins Getriebe integriert, und zwar ganz außen, direkt vor den nach außen geführten Flanschen für die Antriebswellen. Daraus ergibt sich wie nebenbei ein ganz entscheidender fahrdynamischer Vorteil. Die Bremskraft wird über die Antriebswellen übertragen und Bremsen direkt an den Rädern können wegfallen. Das verringert die sogenannten ungefederten Massen ganz erheblich und ermöglicht eine spürbar verbesserte Straßenhaftung. Diese wird normalerweise erschwert durch sogenannte Radlastschwankungen, die umso heftigere Kräfte erzeugen, je größer die ungefederte Masse im Verhältnis zur gefederten Masse des Fahrzeugs ist. Diese Kräfte, die durch die elastische Anregung von Federung und Reifen entstehen, stören die Verzahnung des Reifens mit der Fahrbahn und müssen daher in der Dämpfung abgebaut werden. Um das Verhältnis von ungefederter zu gefederter Masse zu verbessern, werden meistens besonders leichte Räder und Bremsanlagen mit Leichtbau-Komponenten wie etwa Kohlenstofffaser-Keramik-Bremsscheiben und Aluminium-Bremssätteln eingesetzt. Gar keine Bremse ist freilich noch besser.

Mercedes-Benz In-Drive-Bremse (8 Bilder)

Man sieht in Einbaureihenfolge die Reibscheibe und die Belagscheibe. (Bild:

Mercedes-Benz

)

Wer sich jetzt fragt, warum das dann nicht schon mit konventionellen Bremsen gemacht wurde, übersieht die Konstruktionen bei Audi, Alfa Romeo, Citroën, Jaguar und den anderen Herstellern von Autos mit bekannt guter Straßenlage. Die letzten sind noch bis in die 1990er-Jahre so gebaut worden, bis auch die letzten Konstruktionsabteilungen von Controllern übernommen wurden. Wo man Kosten sparen konnte, wurden die Ingenieure von da an bis aufs Blut gequetscht. Ursprünglich waren die Bremsen am Getriebe nämlich eine sehr edle Übernahme aus der Formel 1, wo dieses Prinzip in den 1960er-Jahren erstmals auf breiter Front erfolgreich war.

Wer sich beim Felgenputzen über den dunklen Staub geärgert hat, ist mit so einer Bremse gleich zweimal besser dran: Endlich können die Konstrukteure wieder geschlossene Scheibenräder einsetzen mit ihren unbestreitbaren Vorteilen bei der Aerodynamik, weil die großen Löcher in den Flanken den Luftstrom nicht mehr bremsen. Leichter zu wienern sind solche glatten Felgen ohnehin.

Die Frage, wohin dann die Hitze geht, wenn man mal vollbesetzt eine Passstraße angehen muss, lässt sich zweifach beantworten. Zum einen, man sieht es auf den Fotos, wird dem Öl die abgeführte Hitze durch einen Öl/Wasser-Wärmetauscher entzogen und an einem Wasser/Luft-Wärmetauscher (vulgo Kühler) an die Atmosphäre abgegeben. Zum anderen benötigt ein E-Auto grundsätzlich eine geringere Reibungsbremskraft, weil das meiste schon über die Rekuperation abgebaut werden kann.

Im unwahrscheinlichen Fall eines vollen Akkus, in den nicht rekuperiert werden kann, müssten dann einige Hochlastwiderstände den Überschuss in Form von Wärme abführen. Auch dieses Prinzip ist längst bewährt. Seit den 1950er-Jahren werden die großen Lkw mit E-Maschinen ausgestattet, um deren Betriebsbremse zu entlasten. Der sogenannte elektrodynamische Retarder (erfunden von Telma, auch gebaut von Kloft) sitzt am Ende des Getriebes auf der Kardanwelle zur Antriebsachse und wird auf längeren Gefällstrecken aktiviert, um Bremskraft auf die Kardanwelle und damit die Hinterräder auszuüben.

Das Ganze ist offenbar noch im Stadium einer Machbarkeitsuntersuchung und noch nicht so seriennah, dass der Hersteller konkrete Einsatzziele nennen möchte. Der Ansatz ist gleichwohl spannend, weil durchgehend sichtbar realitätsbezogen. Man könnte wieder davon hören.

(fpi)

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