Medialer Antisemitismus: „Der ,Monitor’-Chef hätte sofort zurücktreten müssen“

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Ein Mediengespräch war annonciert, wie sie der Kölner Herbert von Halem Verlag seit vielen Jahren organisiert. Ein Tribunal ist es geworden, und zwar eines mit guten Argumenten und vor brechend vollem Haus, dem Kölner Freien Werkstatt Theater. Die Ko­gnitionswissenschaftlerin und Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel hielt trotz hohen Fiebers – aus diesem Grund zugeschaltet statt angereist – einen engagierten Vortrag zu einem ihrer zen­tralen Forschungsfelder: „Antisemitismus in den Medien“. Eklatant versagt hätten nach dem 7. Oktober 2023 nämlich neben der Zivilgesellschaft „auch die Medien“. Sie wiesen in Bezug auf das Judentum und insbesondere auf Israel „unglaublich einseitige Perspektivierungen“ auf.

Der „mittig-gebildete“ Antisemitismus

Schwarz-Friesel rechnet die teils unbewusste mediale Reproduktion „uralter an­tisemitischer Ressentiments“ nicht dem rechten, linken oder islamischen Antisemitismus zu, sondern einer vierten Manifestationsform: dem „mittig-gebildeten“. Die oft empathielose Reaktion in den Medien auf den Hamas-Terror wunderte die Wissenschaftlerin aber nicht, denn sie beruhe auf Mustern und Strukturen, die sie an der TU Berlin seit 20 Jahren erforscht.

Schwarz-Friesel präsentierte eine Fülle oft schlagender Einzelbeispiele für horrenden Verbalantisemitismus in deutschen Fernsehsendungen und Zeitungen; der noch krasser polarisierte Social-Media-Bereich blieb an diesem Abend au­ßen vor. Es ging um gezielte „Stereotyp-Konstruktionen“ von bekannten Publizisten wie Jakob Augstein oder Richard David Precht und von Gastautoren wie dem Historiker Moshe Zimmermann. Aber es ging ebenso um unterlaufene Verbalantisemitismen wie etwa bei einer eigentlich positiven Besprechung der Sendung „Freitagnacht Jews“, mit der über das Judentum in Deutschland auf­geklärt werden sollte, in der „taz“ vom April 2021. Die Autorin fragte in dem Beitrag: „Ist das jetzt eine Sendung für Juden? Oder für Deutsche?“ Mit zwei Zeilen wurde hier eine fatale Ausbürgerung vorgenommen, die bis heute durch viele Äußerungen spukt.

„Israelisierung des Antisemitismus“ seit 20 Jahren

Antisemitismus wirke immer, auch der nichtintentionale, stellte Schwarz-Friesel heraus. Die notorisch wiederkehrende, aber entgegen der ursprünglichen Bedeutung gemeinte „Auge um Auge“-Formulierung verfestige etwa das antisemitische Klischee vom rachsüchtigen Volk der Juden. Mit Blick auf Israel und den Nahostkonflikt, dem eine einzigartige Aufmerksamkeit zukomme, intensivierten sich die gegen Juden allgemein gerichteten Vorurteile noch einmal, wobei die „Israelisierung des Antisemitismus“ seit 20 Jahren nachweisbar, also nicht neu sei.

Die stets am Beispiel verdeutlichten Entgleisungen lassen sich laut Schwarz-Friesel kategorisieren. Da gibt es sträfliche Euphemismen wie „propalästinensische Demonstrationen“ („es sind antisemitische Demonstrationen“), sogenannte Derealisierungen, wenn in den Medien ohne faktische Grundlage von „Apartheid“ oder „Genozid“ geredet werde, oder Kausalitätsverkehrungen, wenn (etwa bei Judith Butler) so „kontextualisiert“ werde, dass Judenhass als Ergebnis einer jüdischen Provokation erscheine.

„Wir haben hier eigentlich einen riesigen Medienskandal“, sagt Monika Schwarz-Friesel über „Monitor“-Chef Georg Restle (unser Bild). „Er hätte sofort zurücktreten müssen. Es ist nichts passiert.“„Wir haben hier eigentlich einen riesigen Medienskandal“, sagt Monika Schwarz-Friesel über „Monitor“-Chef Georg Restle (unser Bild). „Er hätte sofort zurücktreten müssen. Es ist nichts passiert.“WDR/Herby Sachs

Als Beispiel für besonders eklatantes Journalismusversagen machte Schwarz-Friesel einen Onlineableger von „Monitor“ („StudioM“) vom Juni 2025 aus, ausgerechnet zum Thema: „Gaza und die Medien: Versagt der Journalismus?“ Der „Social Media Aktivist“ Tilo Jung habe darin seinen Verschwörungsphantasien ge­genüber „dunklen Mächten“ freien Lauf gelassen. Tatsächlich sprach er von konzertierten Einschüchterungsversuchen von „Springerpresse“, israelischer Botschaft, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dem Zentralrat der Juden gegen Journalisten wie ihn. Der Mode­rator Georg Restle habe nicht nur nicht eingegriffen, sondern diese Reaktivierung eines antisemitischen Ressentiments noch bestärkt.

„Wir haben hier“, schloss Schwarz-Friesel, „eigentlich einen riesigen Medienskandal (…), Georg Restle hätte sofort zurücktreten müssen. Es ist nichts passiert.“ Man sehe daran, „wie habitualisiert dieses antiisraelische Narrativ in Verbindung mit antisemitischen Stereotypen schon ist“. Der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Sophie von der Tann bestätige dies einmal mehr: Die ARD-Korrespondentin sei sehr aufgefallen durch „ihre extrem antiisraelischen Per­spektivierungen“.

Dunja Hayali redet weiter vom “Geisel-Deal“

Auch wenn die öffentlich-rechtlichen Medien an diesem Abend besonders im Fokus standen, lassen sich laut Schwarz-Friesel Exempel für das Narrativ in so gut wie allen Medien finden. Dennoch wirkte der eindrucksvolle Vortrag in dieser einen Hinsicht etwas unterdifferenziert: Immer wieder war von „den Medien“ als kollek­tive Entität die Rede. Erst ganz gegen Ende räumte die Vortragende ein, dass es auch Beispiele für kritischen Journalismus gebe, der ohne geschichtsvergessenen, an­tisemitischen Sprachgebrauch auskomme. Die meisten Akteure aber erwiesen sich als „fakten- und forschungsresistent“.

Es wäre hilfreich gewesen, wenn in der anschließenden, von Herbert von Halem geleiteten Diskussion neben dem Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, und dem Vizeprä­sidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, auch ein Medienvertreter (am besten von ARD oder ZDF) teilgenommen hätte. So konnten die Beispiele von Schwarz-Friesel nur bestätigt und aus individueller Perspektive ergänzt werden. Von einem bedenklichen „Framing“ wie „Geisel-Deal“ sprach Beck, obwohl Terroristen gegen Geiseln ausgetauscht wurden. Dass Dunja Hayali diese Formulierung selbst nach viel Kritik wieder benutzt habe, zeige laut Lehrer, „was sie wirklich denkt“. Beck zeigte sich auch verwundert darüber, dass er in den Medien oft als Verteidiger des Existenzrechts Israels anmoderiert werde: Da könne für Demokraten gar nichts infrage stehen.

Bald löste sich das Gespräch vom Thema Medien und nahm die immer unverhohlener antisemitisch geprägte Debattenkultur in Kultur und Wissenschaft in den Blick. Dabei gehe es nicht darum, Kritik an Israel zu unterdrücken, sagte Lehrer: Dass dort Rechtsradikale an der Regierung beteiligt seien, kritisiere auch er wie wohl 99 Prozent aller Juden hierzulande. Beck sah in irrsinnigen Plakattexten wie „Palestine will set us free“ das Palästinabekenntnis zur pseudoreligiösen Erlösungsphantasie mutieren. Gefordert wurde dagegen eine bessere Aufklärung über antisemitische Denkmuster schon in der Schule und der Lehrerausbildung.

Auch einen konkreten Tipp im Hinblick auf die Öffentlich-Rechtlichen gab es. Beck und Lehrer ermutigten die Zuhörer bei begründetem Verdacht auf antisemi­tische Sprachmuster zur Programmbeschwerde: „Die Medien sind lernende Organisationen. Die brauchen den Input von Ihnen.“ So endete dieser denkwürdige Kölner Abend mit einer vagen Hoffnung auf Besserung.

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