Italien: Auf der Straße gegen Meloni

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Im Parlament hat die Koalition aus drei rechten bis sehr rechten Parteien unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Mehrheit, deshalb versucht die liberale und linke Opposition die Regierung zur Halbzeit der Legislaturperiode an einem anderen Ort in Bedrängnis zu bringen: auf den Plätzen des Landes. Mit gleich fünf gebündelten Volksabstimmungen am Pfingstwochenende wollte vor allem Elly Schlein, als Parteichefin der Sozialdemokraten die informelle Oppositionsführerin, gemeinsam mit den Gewerkschaften eine neue Politik im Bereich der Arbeitsmarktpolitik erzwingen - allerdings ohne Erfolg.

Dabei ging es um die Entfristung von Arbeitsverträgen, einen besseren Kündigungsschutz, höhere Abfindungen und Haftung bei Arbeitsunfällen. Ein fünftes Referendum hatte die schnellere Einbürgerung von Menschen aus Ländern außerhalb der EU zum Thema: Diese sollte künftig nicht erst nach zehn, sondern bereits nach fünf Jahren Aufenthalt in Italien möglich sein.

Viele Referenden in Italien scheitern am nötigen Quorum

Wie in Italien üblich, waren die Wahllokale zwei Tage lang geöffnet, den ganzen Sonntag und am Montag bis 15 Uhr. Anschliessend stellte sich rasch heraus, dass die Volksabstimmungen gescheitert sind, weil mit rund 30 Prozent deutlich weniger als die erforderliche Hälfte aller Wahlberechtigten daran teilnahm.

Referenden haben in Italien eine wichtige Tradition, seitdem die Republik nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine solche Volksabstimmung eingeführt und die Monarchie abgeschafft wurde. Damals betrug die Wahlbeteiligung fast 90 Prozent, in den 72 folgenden Referenden wurde das Quorum von 50 Prozent in fast der Hälfte der Fälle unterschritten.

Mit ihrem groß angekündigten Projekt wollte die Opposition ein Zeichen setzen, dass die Regierung eine unsoziale Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung betreibe. Melonis Koalition musste schon aus Prinzip gegen die erhobenen Forderungen sein, denn andernfalls hätte sie die zur Debatte stehenden gesetzlichen Regelungen ja mit ihrer Mehrheit im Parlament bereits ändern können. Entsprechend hatte namentlich Meloni sich eine besondere Taktik zurechtgelegt, um einen Erfolg der Opposition zu vereiteln. Die Ministerpräsidentin hatte ihre Anhänger aufgerufen, gar nicht erst an den Volksabstimmungen teilzunehmen, damit das 50-Prozent-Quorum nicht erreicht würde. Sie selbst kündigte sich zwar in ihrem Wahllokal in Rom an - aus „Respekt vor der Verfassung“, wie es hieß -, wollte es aber wieder verlassen, ohne abgestimmt zu haben. Für diesen Winkelzug wurde sie von der Opposition wild beschimpft, allerdings hatte diese in früheren Jahren auch schon so agiert.

Die Themen, zu denen die Opposition mobilisiert hat, werden aber auch unabhängig von der Volksabstimmung heiß diskutiert. Die soziale Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt als schwierig, viele Beschäftigungsverhältnisse sind prekär, die Unternehmen sehr mächtig. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch, und die Arbeitsbedingungen für Berufsanfänger sind im europäischen Vergleich sehr schlecht: Wer kann, wandert ins Ausland ab. Die Regierung Meloni hat bisher wenig getan, an diesen seit Jahrzehnten herrschenden Missständen etwas zu ändern.

Die jetzt angegriffenen gesetzlichen Regelungen waren in der Regierungszeit des heutigen Oppositionspolitikers Matteo Renzi eingeführt worden, der von 2014 bis 2016 sozialdemokratischer Ministerpräsident Italiens war. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes sollte damals mehr Beschäftigung ermöglichen, sie wird in seiner früheren Partei heute abgelehnt - wie in Deutschland die Hartz-IV-Reformen des Kanzlers Gerhard Schröder durch die heutige SPD. Renzi gründete später die Partei Italia viva, die mit wenigen Abgeordneten im Parlament vertreten ist.

Das Ziel des fünften Referendums, die schnellere Einbürgerung von in Italien lebenden Ausländern, betraf eine von Experten und auch aus der Wirtschaft vielfach geforderte Maßnahme, um angesichts der dramatisch schrumpfenden Bevölkerung mehr Menschen Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Sie passte aber nicht zum scharfen Anti-Migrationskurs der Regierung Meloni, wonach der italienische Pass nicht „verschenkt“ werden dürfe. Einzig der zweitgrößte Koalitionspartner Forza Italia, einst vom mittlerweile verstorbenen Unternehmer Silvio Berlusconi gegründet, unterstützte dieses Vorhaben - wie es sich jetzt gezeigt hat, vergeblich.

Deutlich erfolgreicher als erwartet waren Demonstrationsaufrufe der Opposition zur Solidarität mit der Not leidenden palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza. Allein in Rom nahmen am Pfingstsamstag trotz bestem Ausflugs- und Badewetter rund 300 000 Menschen teil, darunter die Vorsitzenden fast aller Oppositionsparteien. Elly Schlein sprach von einer „enormen Reaktion der Bevölkerung“ gegen den Krieg.

Zahlreiche Rednerinnen und Redner warfen der Regierung Meloni Tatenlosigkeit und Komplizenschaft mit der Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor. Meloni verteidigte sich mit dem Hinweis, sie habe die humanitäre Situation im Gazastreifen mehrfach als „zunehmend dramatisch und ungerechtfertigt“ bezeichnet und dazu „schwierige Gespräche“ mit Netanjahu geführt. Allerdings betont sie auch immer, dass nicht Israel die Feindseligkeiten begonnen habe.

Oppositionsführerin Schlein geht das nicht weit genug, sie fordert mehr Druck auf die israelische Regierung. Mit den Demonstrationen solle der Welt deshalb „ein anderes Italien“ gezeigt werden: „Ein Italien, das nicht schweigt, wie es die Regierung Meloni tut, ein Italien, das stattdessen Frieden will, einen sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung aller Geiseln, humanitäre Hilfe und die Anerkennung des Staates Palästina.“

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