Die Filmdoku »Babo – die Haftbefehl-Story« sorgt nicht nur für Schlagzeilen, weil man darin sieht, wie Aykut Anhan alias Haftbefehl zwar zu einem der größten Rapper Deutschlands geworden ist, es ihm privat aber absolut schlecht geht. Die Doku hat auch einen Hype über die Musik eines anderen Künstlers ausgelöst: Reinhard Meys Stück »In meinem Garten« aus dem Jahr 1970 ist neu in die Streaming-Hitlisten eingestiegen. Der Song taucht an einer der wichtigsten Stellen des Films auf.
In der Szene ist der Offenbacher Rapper schon ziemlich am Ende. Anhan scheint am Druck seines Ruhms zu zerbrechen, ist schwer drogenabhängig, depressiv, voller Selbsthass. Und dann kommt, ganz unerwartet, dieses Lied von Reinhard Mey. Anhan zeigt der Kamera ein Bild von ihm und seinen Kindern, erklärt mit heiserer Stimme, »das ist mein Sohn Noah, das ist mein Baby Aliyah«, und dann zeigt er auf sein eigenes Gesicht und sagt: »Das ist der Dreck. Links ist der Dreck. Ich, Dreck.«
Anhan scrollt durch sein Handy, sucht einen Song, die schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen, man sieht seine Augen nicht. Und dann erklingt Meys Gitarre. Mit brüchiger Stimme singt Anhan mit: »In meinem Garten, in meinem Garten / blühte blau der Rittersporn / Zwischen dem Unkraut in meinem Garten / Im Geröll in meinem Garten / Wo die anderen Blumen verdorr’n«. »Brutaler Song, Alter. Heftig«, sagt Anhan.
Es ist der vielleicht berührendste Moment eines psychologisierenden Films, der viele verstörende Elemente enthält. Der harte Rapper, der seit Jahrzehnten Kokain nimmt, sich selbst zerstören will und jede Hilfe von sich weist, singt ein melancholisches Lied, in dem es um Fürsorge geht. Laut der Doku etwas, was Aykut Anhan nie bekommen hat.
In sozialen Netzwerken bewegt diese Stelle viele Menschen. Haftbefehl-Fans hinterlegen Beiträge, TikToks und Reels mit »In meinem Garten«, sprechen ihren Respekt für den Liedermacher Mey aus. Eine junge Lehrerin etwa singt das Lied in einem Brautkleid und fordert Haftbefehl im Lehrplan. Junge Männer klären darüber auf, dass es im Lied nicht nur um einen Garten geht. Andere greifen zur Gitarre und singen selbst, ein junger Boxer überlegt sogar, ob er beim nächsten Kampf zu diesem Lied in den Ring steigen soll.
Nachdem die Doku Platz eins bei Netflix erreichte, tauchte »In meinem Garten« in Spotify-Hitlisten unter den Top 50 auf. Der mittlerweile 83-jährige Mey soll bei Freigaben seiner Lieder für andere Zwecke normalerweise zurückhaltend sein.
Nach Erscheinen des Films bedankte sich Haftbefehl bei Mey auf Instagram: »Es erfüllt mich heute mit umso größerer Freude, dass Reinhard Mey nach dem Sehen der Doku persönlich zu mir fand, mir schrieb, und mir damit etwas gab, das tiefer geht als Zustimmung – eine stille, ehrliche Bestätigung: Dass man den Menschen hinter dem Bild, den Künstler hinter den Schlagzeilen, erst wirklich verstehen sollte, bevor man sich ein Urteil erlaubt.«

vor 7 Stunden
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