Frank-Walter Steinmeier in Großbritannien: Dann zitiert er die Band Oasis

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 »Das ist eine große Ehre«

Steinmeier im House of Parliaments: »Das ist eine große Ehre«

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Kin Cheung / REUTERS

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Als Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagmittag in der Royal Gallery des britischen Parlaments ans Rednerpult tritt, steht er in einem der geschichtsträchtigsten Räume des Vereinigten Königreichs.

Über dem Bundespräsidenten ein hölzernes Kassettendach, an den Wänden großformatige Schlachtgemälde von Trafalgar und Waterloo, Porträts von Monarchen blicken herab, dazwischen Statuen aus vergoldetem Stein. Normalerweise schreitet hier der König zur feierlichen Eröffnung des Parlaments, flankiert von Lords und Militär. Heute aber gehört der Raum dem Staatsgast aus Deutschland.

»Das ist eine große Ehre«, sagt Steinmeier den versammelten Abgeordneten aus beiden Kammern des Parlaments. »Und ich bin dankbar, dass mein Staatsbesuch im Vereinigten Königreich in eine Sitzungswoche fällt und ich so die Gelegenheit habe, auch zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich danke Ihnen für die Einladung!«

Die Abgeordneten lachen – die Erinnerung daran, dass US-Präsident Donald Trump bei seinem Staatsbesuch vor wenigen Wochen keine Rede vor den Houses of Parliament halten durfte, ist noch frisch. Hier zu sprechen ist in der Tat eine seltene Ehre. Der letzte deutsche Bundespräsident, dem das vergönnt war, hieß im Jahr 1986 Richard von Weizsäcker.

 Erste Rede eines deutschen Staatsoberhaupts seit 39 Jahren

Bundespräsident in der Royal Gallery: Erste Rede eines deutschen Staatsoberhaupts seit 39 Jahren

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Dann wird Steinmeier grundsätzlich. »Wir Deutsche haben von Ihnen gelernt: von Ihrer partnerschaftlichen Liebe zur Freiheit, von Ihrer parlamentarischen Tradition, von Ihrer Debattenkultur. Von der Überzeugung, dass Demokratie nicht nur eine Staatsform ist, sondern eine innere Haltung«, sagt der Bundespräsident. Voll Bewunderung spricht er von der »besonderen britischen Art, miteinander um politische Fragen zu ringen – leidenschaftlich, manchmal laut, oft kontrovers, aber immer im Rahmen zivilisierter Regeln.«

Ein Lob, das leicht fällt, und zugleich an eine Beziehung erinnert, die nicht immer frei von Spannungen war. 27 Jahre ist es her, dass mit Roman Herzog zuletzt ein Bundespräsident zu einem Staatsbesuch nach Großbritannien reiste. Eine lange Zeit, in der viel zerbrochen ist zwischen beiden Ländern – gipfelnd im Brexit 2016, als eine knappe Mehrheit der Briten für den EU-Austritt stimmte.

Dass König Charles III. vor zwei Jahren Deutschland für seinen ersten Staatsbesuch aussuchte, war ein klares Signal der Wiederannäherung. Nun wollen Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender ein ähnliches Zeichen in die andere Richtung senden.

Auch abseits der beiden Staatsbesuche hat sich das deutsch-britische Verhältnis weiter erholt, vor allem auf Ebene der Regierungschefs. Premierminister Keir Starmer und Bundeskanzler Friedrich Merz schufen im Juli 2025 mit dem Kensington-Vertrag eine neue Grundlage für wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit – ein Projekt, an dem schon Merz’ Vorgänger Olaf Scholz gearbeitet hatte. Hinzu kommt die engere außenpolitische Abstimmung mit Frankreich in der sogenannten E3-Gruppe, insbesondere in der Ukraine-Politik. Mit Premier Starmer trifft der Bundespräsident schon am ersten Tag seines Besuchs zusammen.

 Man kennt und schätzt sich

Steinmeier und Gattin Büdenbender, König und Königin: Man kennt und schätzt sich

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Erst Macron, dann Trump, jetzt Steinmeier

Doch neben Verträgen braucht es zwischen Ländern immer auch Symbolik – und persönliche Beziehungen. Für beides stehen Charles und Steinmeier, nicht nur wegen der rasch aufeinanderfolgenden Staatsbesuche. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren und verstehen sich gut. Schon der erste Tag der Reise zeigt das.

Für den britischen Hof ist es ein ungewöhnlich dichtes Jahr: drei Staatsbesuche innerhalb weniger Monate. Im Sommer war Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Windsor, im September Trump, nun Steinmeier. Eine solche Belastung des Protokolls gab es zuletzt 1988. Doch im Vergleich zu Trump gelten die Deutschen als nahezu pflegeleicht – und, wie man immer wieder hört, deutlich willkommener.

Der Blick auf den Salisbury Tower am Eingang von Schloss Windsor macht den Unterschied sichtbar. Während Trumps Aufenthalt hatten Aktivisten dort Bilder von ihm und dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein auf die Mauern projiziert – eine öffentlichkeitswirksame Provokation in ohnehin aufgeladenem Klima. Beim Steinmeier-Besuch ist der Turm ebenfalls beleuchtet, doch zeigen die Projektionen ausschließlich harmlose Weihnachtsmotive: Sterne, Ornamente, Schneeflocken.

 45 Meter lange Tafel

Bundespräsident beim Staatsbankett: 45 Meter lange Tafel

Foto: Aaron Chown / PA Wire / empics / picture alliance

Das Staatsbankett findet wie üblich in der St. George’s Hall statt, dem zentralen Repräsentationssaal des Schlosses. Die Halle wurde nach dem Brand von 1992 neu errichtet; das weit gespannte Holzdach gilt als das größte seit der Renaissance in England. Entlang der Wände stehen Büsten und Rüstungen.

Bei Banketten haben normalerweise rund 160 Gäste Platz. Diesmal muss die 47 Meter lange Tafel jedoch um zwei Meter verkürzt werden: Ein besonders großer Weihnachtsbaum mit 15.000 Leuchten blockiert einen Teil des Raums. So bleiben 152 Sitzplätze, so opulent eingedeckt, dass Staatsbankette in Schloss Bellevue dagegen eher schlicht wirken.

Charles hat für Staatsbesuche eine Neuerung eingeführt: Jeder Gast erhält einen eigens für ihn kreierten Cocktail. Für Steinmeier serviert der Palast eine Mischung, die an Schwarzwälder Kirschtorte erinnern soll – Kirschwasser und Schokolade. Macron bekam einen Gin-basierten Drink. Und für Trump, der keinen Alkohol trinkt, ließ man einen Cocktail mit dem beinahe flehentlich klingenden Namen »Transatlantic Whisky Sour« mischen.

Jahrgangswein eine prominente Gäste

Am Mittwochabend kommt ein Rotwein dazu, der eine persönliche Note für Steinmeier und seine Frau enthält: ein Château La Fleur-Pétrus von 1995, dem Jahr ihrer Hochzeit.

Die Gästeliste spiegelt breite deutsch-britische Verbundenheit. Christian Sewing, Vorstandschef der Deutschen Bank, deren Investmentbanking in London konzentriert ist. BMW-Chef Oliver Zipse, der auch für die urbritischen Marken Rolls-Royce und Mini Cooper verantwortlich ist. Oder der ehemalige Fußballer Thomas Hitzlsperger, einst bei Aston Villa aktiv, dem Lieblingsverein von Prinz William. Aus der Wissenschaft ist Biontech-Mitgründer Uğur Şahin dabei, aus der Kultur der Schriftsteller Durs Grünbein – Vertreter jener Felder, die das Verhältnis in den kommenden Jahren stärker prägen sollen: gemeinsame Forschung und Austausch.

 Teilweise auf Deutsch

Rede von Charles III.: Teilweise auf Deutsch

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Als Charles seine Rede beginnt, schlägt er bereits mit den ersten Worten einen ausgesprochen gastfreundlichen Ton an. Er spricht zunächst und immer wieder auf Deutsch, vorsichtig, aber mit hörbarem Willen zur Präzision. Besonders das sperrige Wort »Thronbesteigung« sticht heraus – ein altmodischer Begriff, der in Windsor jedoch nicht fehl am Platz wirkt, selbst in deutscher Sprache.

Fußball und Goethe

Historisch sind die Royals eng mit Deutschland verbunden. Bis 1917 hieß die Familie der britischen Könige Sachsen-Coburg-Gotha. Erst zum Ende des Ersten Weltkriegs, als der Name im Krieg gegen Deutschland als unpassend erschien, wurde er zu »Windsor« geändert.

Charles’ Urururgroßvater Albert, der Gatte von Königin Victoria, wurde in Deutschland geboren. In seiner Bankett-Rede würdigt der König ausdrücklich dessen Verdienste. Am Donnerstag besuchen Steinmeier und seine Frau das nach Victoria und Albert benannte Museum im Osten Londons. Noch Charles’ Vater Prinz Philip sprach fließend Deutsch. Der König selbst war seit seinem 13. Geburtstag über 40-mal in Deutschland; dort hat er bis heute zahlreiche Verwandte.

Doch der Schrecken der beiden Weltkriege hallte auch in Großbritannien lange nach. Erst 1965 kam Queen Elizabeth II., Charles Mutter, erstmals zu einem Staatsbesuch nach Deutschland. Und es ist noch nicht so lange her, dass Boulevardzeitungen auf der Insel Fußballspiele gegen die deutsche Nationalmannschaft mit Kriegsmetaphern begleiteten, als ginge es noch immer gegen »Krauts« oder »Hunnen«.

 Es gibt viel zu besprechen

Steinmeier und Premier Starmer: Es gibt viel zu besprechen

Foto: Tayfun Salci / ZUMA Press Wire / picture alliance

Davon kann heute keine Rede mehr sein – sonst wäre der deutsche Fußballtrainer Thomas Tuchel kaum Anfang des Jahres zum Übungsleiter der englischen Nationalmannschaft ernannt worden. Auch die anfängliche Skepsis in Teilen der Öffentlichkeit ist verflogen, nachdem Tuchel das Team souverän durch die Qualifikation zur nächsten Weltmeisterschaft geführt hat.

Um Fußball geht es nicht, als Charles und der Bundespräsident am Mittwochnachmittag mit ihren Frauen das »Green Drawing Room« von Schloss Windsor betreten. Der von König George IV. als Bibliothek entworfene Raum – viel Gold, viel Grün – beherbergt für den Staatsbesuch besondere Stücke aus den königlichen Sammlungen mit deutschem Bezug.

Zu sehen sind Werke von Albrecht Dürer und Hans Holbein, Silber und Porzellan aus deutscher Herstellung sowie historische Ausgaben von Schiller und Goethe. Der König und sein Gast nehmen sich viel Zeit, zu jedem Objekt etwas zu erfahren. Charles steht oft mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, bemüht sich aber sichtbar um Nähe. Mit Blick auf eine Mitarbeiterin mit Pagenfrisur sagt er zu seinen Gästen: »Das ist übrigens die Leiterin unserer Bibliothek. Sie kommt aus Bulgarien.«

Als die beiden Paare bei den Klassikern angelangt sind, nimmt Steinmeier den grünen Schiller-Band und blättert darin, während der König im roten Goethe-Büchlein schmökert. Es wirkt vertraut, fast freundschaftlich – als würden zwei ältere Herren mit ihren Gattinnen gemeinsam eine Ausstellung besuchen.

Charles und Steinmeier sind lange genug im royalen und politischen Geschäft, um die Probleme und Herausforderungen zwischen beiden Ländern nicht kleinzureden. Doch sie wollen den Blick nach vorn richten – und mit Milde zurück schauen.

Das bringt Steinmeier am Donnerstagmittag in seiner Rede in der Royal Gallery auf die Formel »Don’t look back in Anger«. Eine Zeile, die auf beiden Seiten des Kanals verstanden wird. Er zitiert den Oasis-Hit von 1996, der damals für das »coole Großbritannien« stand. Dann erinnert er an das globale Echo auf die diesjährigen Reunion-Konzerte der Band nach 16 Jahren Pause.

»Alle teilten dasselbe Gefühl: Cool Britannia is alive!«, sagt Steinmeier. »Schauen wir also nicht zurück, sondern blicken wir gemeinsam nach vorn.«

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