
Weltmeister Max Verstappen: Hoffnung in den neuen Teamchef
Foto:Mark Thompson / Getty Images
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Max Verstappen will immer gewinnen. Sein Ehrgeiz ist außergewöhnlich. In dieser Saison stand der Niederländer jedoch erst dreimal auf dem obersten Podiumsplatz. Das ist nach vier WM-Titeln in Serie mit insgesamt 53 Grand-Prix-Siegen eine bescheidene Bilanz, auch deshalb wurde monatelang darüber spekuliert, ob Verstappen den Red-Bull-Rennstall verlassen könnte. Er wirkte bisweilen extrem genervt.
Mit seinen überragenden fahrerischen Fähigkeiten konnte Verstappen oft selbst gegen die Konkurrenz von Ferrari und Mercedes nur wenig ausrichten, vom überlegenen McLaren ganz zu schweigen. Sehr verlockend schien da das Interesse von Mercedes, Verstappen aus seiner Misere herauszuhelfen.
Doch seit dieser Woche herrscht Gewissheit, der 27-Jährige bleibt bei Red Bull. »Für mich war sowieso immer ganz klar, dass ich bleiben würde«, sagte er vor dem Rennen in Ungarn am Sonntag (15 Uhr, TV: Sky). Zweifel sind erlaubt, dass diese Aussage der vollen Wahrheit entspricht.
Warum dann also jetzt die Kehrtwende?
Zuallererst wird der Wegfall einer möglichen Ausstiegsklausel genannt. Wenn Verstappen zu Beginn der Formel-1-Sommerpause, also nach dem Rennen in Ungarn, im WM-Ranking schlechter als Rang drei platziert gewesen wäre, hätte er Red Bull verlassen können. Dies ist bei 28 Punkten Vorsprung auf George Russell nicht mehr möglich. Doch dieser Fakt spielte die geringste Rolle.
Horners Aus spielt eine wichtige Rolle
In der Formel 1 weiß jeder, dass Verträge und Klauseln immer verhandelbar oder mit viel Geld zu regeln sind. Zudem hatte auch Motorsportkoordinator Helmut Marko immer wieder angedeutet, dass man auch bei Red Bull sehr genau wisse, dass es keinen Sinn ergebe, zu versuchen, einen Fahrer, der wegwolle, mit Druck im Team zu halten. Und drittens soll Verstappen die Entscheidung, wie Insider berichten, schon vor dem Rennen in Spa unabhängig vom Punktestand getroffen haben.
Was also sind dann die wahren Gründe? Es ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Die Entscheidung von Red Bull, Teamchef Christian Horner vor die Tür zu setzen, war ein entscheidender Schritt für den viermaligen Weltmeister, auch wenn das Verstappen-Umfeld – Papa Jos und Manager Raymond Vermeulen – dies offiziell so nicht äußert. Seit Horner Anfang 2024 von einer ehemaligen Mitarbeiterin sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde, war das Vertrauen gestört.
Dazu kam Horners Bestreben, in vielen Abteilungen das Sagen haben zu wollen, überall die Macht an sich zu reißen und alles kontrollieren zu wollen, von Motorentechnik über Chassis-Entwicklung bis Marketing und sonstigen Nebenschauplätzen. Für viele, nicht nur für Verstappen, ein Grund für die sportlichen Rückschritte des Teams seit der vergangenen Saison. Das Team musste zudem die Abgänge von Schlüsselpersonen verkraften und hatte Schwierigkeiten, neues Top-Personal zu rekrutieren.

Max Verstappen (l.) mit dem neuen Teamchef Laurent Mekies
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Dass das Red-Bull-Management unter Oliver Mintzlaff die Reißleine zog, Horner freistellte und Laurent Mekies zum neuen Teamchef machte, war für Verstappen ein gutes Zeichen. Mekies hatte beim Schwesterteam Racing Bulls deutliche Fortschritte zu verantworten.
Verstappen glaubt an eine gute Entwicklung unter Mekies. Denn der Franzose ist ausgebildeter Ingenieur und kann bei technischen Entscheidungen viel eher kompetente Beiträge liefern und eventuell eine Richtung vorgeben. Des Weiteren ist er für gute Menschenführung und einen geschickten, motivierenden Umgang mit Mitarbeitern bekannt.
Was bringen die neuen Regeln?
Dazu kommt die Unsicherheit über die Kräfteverhältnisse unter dem neuen Reglement. Mercedes werden für die Saison 2026, wenn der Elektroanteil im Antrieb größer und mit E-Fuels gefahren wird, die größten Chancen für schnelle Erfolge eingeräumt. So wie 2014, als das letzte Mal die Motoren so stark verändert wurden und die Silberpfeile im Anschluss sieben Jahre lang dominierten.
Red Bull soll in Sachen Motorenentwicklung hinterherhinken. Doch ist das wirklich so? Verstappen hat genauere Einblicke in den tatsächlichen Stand der Entwicklung. Zweitens ist der Antrieb bei einem Formel-1-Boliden nicht alles. Durch das neue Regelwerk wird der sogenannte Groundeffect, ein aerodynamisches Prinzip, das die Autos an den Boden saugt, deutlich geringer ausfallen. Sollte Red Bull mit dem neuen Chassis in dieser Frage auf einem guten Weg sein, könnten die Nachteile in Sachen Motor geringer ausfallen. Und es gibt die Hoffnung auf einen positiven Einfluss von Ingenieur Mekies an der Teamspitze.
Außerdem gibt es keine Garantie, wie Mercedes das Thema in den Griff bekommt. Dort schaffte man es in den vergangenen Jahren auch nicht mehr, ein unter allen Bedingungen schnelles Auto zu bauen. In dieser Saison schien es zunächst aufwärtszugehen, doch in den vergangenen Rennen wurden die Probleme wieder so groß, dass zu Beginn der Woche eine Krisensitzung im Werk anstand. Wie es 2026 in Sachen Aerodynamik aussehen wird, weiß niemand. Erste messbare Erkenntnisse werden die Testfahrten Ende Januar in Barcelona bringen.
2027 wird Verstappen neu entscheiden
Zu all dem kommt noch ein besonderer Charakterzug von Max Verstappen: Er ist sehr loyal gegenüber all denen, die im Laufe seiner Karriere für ihn wichtig waren, die ihm den Weg nach oben ermöglichten. Das zeigte sich schon im vergangenen Jahr, als er sich hinter Marko stellte, als der kurzfristig bei Red Bull auf der Abschussliste zu stehen schien. Dass er dem Team, das ihm durch die Umstrukturierung an der Spitze entgegenkam, noch einmal eine Chance geben und mithelfen will, es wieder an die Spitze zu führen, passt sehr gut in dieses Bild.
Wenn es nicht funktioniert, hätte er immer noch die Möglichkeit, neu zu entscheiden. Für 2027 wird, bei dann besserem Informationsstand über die wahren Kräfteverhältnisse unter dem neuen Reglement, die Lage neu bewertet. Und dann könnte Verstappen wohl auf jeden Fall problemlos gehen, wenn er denn will, wie in dieser Woche durchsickerte. Red Bull würde ihm dann keine Steine in den Weg legen.