Das EU-Parlament entscheidet über die Zukunft der Kommission. Wie es dazu kam und was der Kommissionspräsidentin vorgeworfen wird: Antworten auf wichtige Fragen.
Aktualisiert am 10. Juli 2025, 8:34 Uhr
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss sich am Donnerstag einem Misstrauensvotum im Europäischen Parlament stellen. Damit könnte ihre gesamte Kommission theoretisch zum Rücktritt gezwungen werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass viele Abgeordnete sich enthalten – und so ihre Missbilligung gegenüber von der Leyen und ihrer Kommission zum Ausdruck bringen werden.
Alle Fragen im Überblick:
Wie kam es zu dem Misstrauensvotum?
Wer sind die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Misstrauensvotums?
Die Liste der Unterzeichnenden liest sich wie ein Querschnitt der europapolitischen Fundamentalopposition: Die Mehrheit der Unterstützerinnen und Unterstützer des Antrags stammt aus dem rechten bis extrem rechten Spektrum, viele befürworten mehr nationale Souveränität oder gar eine Zerschlagung der EU. Dazu zählen neben Piperea weitere Abgeordnete der EKR-Fraktion, etwa von der polnischen PiS. Auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier von AfD, Rassemblement National und italienischer Lega, die in jeweils anderen Fraktionen organisiert sind, unterstützen das Votum. Die Abgeordneten der Fratelli d'Italia – der Partei von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die ein gutes Verhältnis zu von der Leyen pflegt – gehören zwar ebenfalls zur EKR, haben aber nicht unterzeichnet.
Warum steht Ursula von der Leyen noch in der Kritik?
Neben der Kritik, die die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Misstrauensvotums vorbringen, sieht sich von der Leyen auch mit Vorwürfen aus der politischen Mitte des Parlaments konfrontiert: Liberale, grüne und linke Abgeordnete kritisieren, von der Leyens Europäische Volkspartei (EVP) öffne sich zunehmend rechten Kräften wie der EKR – also ausgerechnet jener Fraktion, aus der nun auch das Misstrauensvotum gegen sie eingebracht wird.
"Wollen Sie mit denen regieren, die Europa zerstören wollen, oder mit uns, die wir jeden Tag kämpfen, um es aufzubauen?", fragte die Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Iratxe García Pérez, bei einer Parlamentsdebatte in Richtung der Kommissionspräsidentin und des EVP-Fraktionschefs Manfred Weber. Von der Leyen wies die Vorwürfe während der Debatte zurück. Der Misstrauensantrag sei ein "weiterer plumper Versuch, einen Keil zwischen unsere Institutionen zu treiben, zwischen die proeuropäischen, prodemokratischen Kräfte dieses Hauses".
Laut Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik nutzt insbesondere EVP-Fraktionschef Weber im Parlament häufiger Mehrheiten mit Rechtsaußen, um beispielsweise in den Bereichen Klima und Soziales Politikwechsel durchzuführen. Dass die politische Mitte für das Misstrauensvotum stimmt, sei unwahrscheinlich. Denkbar sei jedoch, dass die Abgeordneten mit einer Enthaltung ein Zeichen setzen werden.
Die EKR-Fraktion will nach eigenen Angaben mehrheitlich gegen das Misstrauensvotum stimmen. Für von Ondarza zeigt das vor allem die Spaltung der rechten Parteien im Europaparlament. "Die rechten Fraktionen geben der EVP zwar in einzelnen Bereichen die Möglichkeit, Politikwechsel zu erzwingen, aber sie bieten eben noch keine verlässliche Mehrheit", sagt der Politikwissenschaftler.
Von Ondarza erwartet dennoch, dass Weber weiter rechte Mehrheiten suchen wird. "Wir schlittern gerade hinein in eine unberechenbarere Politik im Europarlament, wo wir nicht länger eine klare proeuropäische Mehrheit der Mitte haben." Ausschließlich negativ wertet das von Ondarza aber nicht: "Man sieht, dass das Europäische Parlament interessanter wird und europäische Politik eine höhere Legitimation bekommt, weil mehr darüber gestritten wird und eine härtere politische Auseinandersetzung geführt wird."
Was wären die Folgen eines erfolgreichen Misstrauensvotums gegen die EU-Kommission?
In der Geschichte des Parlaments gab es bisher elf Misstrauensvoten. Der einzig erfolgreiche Antrag war einer, über den nie abgestimmt wurde: Die Kommission von Jacques Santer trat 1999 wegen eines Korruptionsskandals geschlossen zurück, um dem Misstrauensvotum zuvorzukommen. Im Fall von der Leyen ist das nicht zu erwarten. Zudem liegt die Hürde recht hoch: Für ein erfolgreiches Votum ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und die Mehrheit der Parlamentsmitglieder erforderlich.
Er würde sich wundern, wenn die Liste der Zustimmenden mehr als 180 Abgeordnete umfasse, sagt Politikwissenschaftler von Ondarza. Wichtiger sei für die EU-Kommission, ob von der Leyen eine Mehrheit der Neinstimmen erhält – oder ob die Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier sich enthält. Die EVP mobilisiere deswegen auch intern, da es dort ebenfalls Wackelkandidaten gebe, die nicht unbedingt hinter der Kommissionschefin stünden.
Sollte das Misstrauensvotum wider Erwarten doch Erfolg haben, wäre das für die EU laut von Ondarza eine "große institutionelle Krise, die sich Europa in dieser Zeit – Krieg in der Ukraine, Zollstreit mit den USA – nicht leisten kann".
Mit Material der Nachrichtenagentur AFP