Um irgendwie die Brücke zu schlagen zwischen gewählter Kulisse und geladener Kultfigur muss Nordrhein-Westfalens CDU an diesem Samstagmittag gleich mehrere Metaphern bemühen. Per Lautsprecher. „Vielen Dank, dass Sie heute mit Union Air fliegen“, hallt die Ansage durch das gläserne Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Eine andere Location für ihre 1300 Gäste hat die NRW-CDU für ihren Neujahrsempfang nicht auftreiben können; Eventhallen sind ausgebucht in Wahlkampfzeiten.
„Boarding completed“, alle Plastikstühle im futuristisch anmutenden Glaspalast sind besetzt. Der Ausflug zurück in ein Kapitel wohliger Partei-Vergangenheit beginnt, die letzte Durchsage vorm Take-off ermuntert zum Applaus: Man möge bitte schön „eine herausragende Kapitänin“ begrüßen: „Unseren Ehrengast Dr. Angela Merkel!“
Der Termin in der Düsseldorfer Schalterhalle, so versichert stolz ein Parteigänger, sei Merkels einzige politische Verabredung vor dem 23. Februar. Warum ausgerechnet NRW? Die Ex-Kanzlerin, so deutet es ein Vertrauter von CDU-Landeschef und Ministerpräsident Hendrik Wüst, lande hier eben „bei einer CDU der Mitte.“ Doch „nein, nein“, das sei kein Signal gegen Friedrich Merz, Merkels Gegenspieler aus vergangenen Zeiten.
Der Kanzlerkandidat der Union ist verhindert, Merz trifft in Berlin die Köpfe der Europäischen Volkspartei, dem Verbund der Christdemokraten und Konservativen in der EU. Beiden, Merkel wie Merz, bleibt ein mediales Gedränge am Gate erspart.
Tatsächlich gelingt es den Veranstaltern, schnell eine heimelige Atmosphäre in Düsseldorfs „Station Airport“ zu schaffen. Ein Jugendchor stimmt „Du hast den Farbfilm vergessen“ an. Das ist Merkels Lieblingsschlager aus DDR-Zeiten, den 2021 schon die Bundeswehr beim Großen Zapfenstreich zu ihrem Auszug aus dem Kanzleramt spielte. Die Kapitänin am Rednerpult, erschienen im lila Sakko, dankt: „So eine schöne Begrüßung hatte ich lange nicht mehr.“
Ihre Schuld als Wahlhelferin jener Partei, deren Vorsitzende sie 18 Jahre lang war, arbeitet Merkel nach drei Minuten ab. Mit nur einem langen Schachtelsatz: „Auch wenn ich nicht mehr aktiv im Wahlkampf tätig bin, dann wünsche ich natürlich der CDU – allen Kandidatinnen und Kandidaten – das Allerbeste, damit die christlich-demokratische Union zusammen mit der CSU stärkste politische Kraft in Deutschland wird und dass Friedrich Merz dadurch das Mandat erhält, Bundeskanzler zu werden.“ Erledigt, die NRW-CDU zollt kurzem Beifall.
Der Rest ihrer gut halbstündigen Rede entzieht sich Merkel den Niederungen parteipolitischer Kampagne. Die Altkanzlerin, inzwischen 70, referiert aus Erfahrung. Etwa die Mahnung, dass Deutschland heute mehr als vor acht Jahren (als Merkel 2016 wegen der ersten Wahl von Donald Trump zum Präsidenten jeden Gedanken an ihren Rückzug aus der Politik verwarf) die Vereinigten Staaten benötige, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern.
Und, selbstverständlich, das Bekenntnis zu Europa: „Die Europäische Union ist unsere Lebensversicherung!“ Und, so Merkel weiter, zugleich das einzige Mittel, um Trump 2.0 einzuhegen. Donald Trump sei, so ihre Erfahrung, eben „ein besonderer Präsident.“ Einer, der nicht an multilaterale Kooperation oder an „Win-win-Situationen“ glaube. Sondern daran, dass es „immer einen Verlierer und einen Sieger“ gebe. Deshalb ihr Plädoyer für Europa, „denn auch wir sind ein starker Faktor.“
Welche Probleme Angela Merkel sieht
Dann hebt Merkel, während draußen dröhnend ein Flugzeug in den blauen Himmel aufsteigt, endgültig ab. Sie verweist auf das Diktum des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach der demokratische Staat abhängig sei von etwas, was er selbst letztlich nicht garantieren könne: nämlich „dass die Bürger ihm freiwillig vertrauen.“ Deshalb sei glaubwürdige Politik so wichtig, und deshalb („Dazu muss man nicht mal CDU-Mitglied sein“) blickt sie mit fast finsterer Miene ins Publikum, da sie hinzufügt: „Die Ampel-Regierung hat ihre Chancen nicht genutzt.“
Also doch Wahlkampf? Nein, Merkel wird grundsätzlich, flüchtet sich im Airport ins Fundamentale. Und beklagt „zwei Problemfälle“, die ihr Sorge machen.
Da sei, einerseits, die von Rechtspopulisten „und insbesondere der AfD“ verbreitete Deutung, es gebe einen Gegensatz zwischen „den Eliten“ und „dem Volk.“ Merkel erinnert diese Trennung an ihre Zeit in der DDR. Damals habe der SED-Staat zu oft vielen Bürgern „als fast perfekte Entschuldigung für eigenen Unzulänglichkeiten“ gedient: „In der DDR waren wir alle Nobelpreisträger oder Olympiasieger“, und wenn der eigene Erfolg nicht gelang, habe man die Verantwortung dafür eben den politischen Verhältnissen und denen da oben zugeschrieben. Das, so Merkel, sei aber in der Bundesrepublik anders. Der demokratische Staat brauche engagierte, eigenverantwortliche Bürger: „Die Mühe der Freiheit ist die Kehrseite der Mündigkeit. Sie ist der Kern der Demokratie, das gilt für uns alle.“ Alle Bürger hätten die Verantwortung, „Freiheit weiter lebbar zu machen.“
Aber diese Freiheit benötige Grenzen – auch die Meinungsfreiheit. Diesen zweiten Appell richtet Merkel an Regierung und Parlament. Wenn über soziale Medien zunehmend unwahre oder hasserfüllte Botschaften verbreitet würden, „dann bedarf es hier der Leitplanken des Staates.“ Es brauche mehr Regeln und Regulierung, sonst können diese Entwicklung „die demokratischen Grundlagen zersetzen.“ Was in der realen Welt gelte, könne in der virtuellen Welt nicht vollkommen falsch sein.
Das Stimmungsbarometer ist mittlerweile etwas gesunken; ein Hauch von Kulturpessimismus wabert durchs Terminal. Merkel, die zweifache Warnerin, kommt zum Fazit, müht sich um Aufhellung. Die politische Prominenz und das wohlsituierte Publikum ihrer Parteifreunde vor sich mahnt sie: „Achten Sie darauf, dass alle hier im Saal zum Volk gehören.“ Und: „Wahrheit muss auch in Zeiten der Digitalisierung Wahrheit sein, und Lüge Lüge.“
Der Schlusssatz gelingt ihr ironisch, beflügelnd gerät er nicht: „Sonst werden wir das, um ein Wort aus meinem Repertoire zu gebrauchen, nicht schaffen.“