Ein provisorisches Gewächshaus in einem Wohnzimmer in Heidelberg. Hier züchtet Andreas Niemöller Cannabis-Testpflanzen. Längst würde er das Rauschmittel gern im größeren Stil anbauen, doch dafür hat der 44-Jährige immer noch keine Lizenz. Obwohl er den Antrag für einen Cannabis Social Club bereits vor 11 Monaten gestellt.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Also wir waren ziemliche Streber, denke ich. Wir haben ein Riesenteam mit allen Fachrichtungen, mit Medizinern, mit Anwälten, mit Industriemechanikern, mit praktisch Veranlagten, mit Biologen und haben uns zusammengetan, eben um diese Anbauvereinigung zu gründen, Rising Flowers, und haben dann den Antrag auch eingereicht zum 01.07., wo die Anträge erstmalig eingereichtet werden konnten mit zehn Anlagen, glaube ich, also schon so ein Stapel Papier, waren da optimistisch, dass wir innerhalb von drei Monaten dann auch mit dem Anbau starten können. Und dann kamen halt die massiven Hürden.«
Seit der Teillegalisierung von Cannabis im vergangenen Jahr dürfen in Deutschland Vereine für gemeinschaftlichen Anbau und Weitergabe gegründet werden. Doch die Genehmigungen dafür werden nur schleppend erteilt.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Hi Christoph, grüß dich.«
Niemöller will uns gemeinsam mit Vorstandsmitglied Christoph Lehner zeigen, woran das liegt und führt uns dazu in die Heidelberger Innenstadt. In dieser Einkaufspassage wollte der Verein das angebauerte Cannabis an seine Mitglieder abgeben.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»So, dann messen wir noch mal.«
Doch in der Nachbarschaft befindet sich eine Schülerhilfe. Ein Problem. Denn zu jeder Kinder- und Jugendeinrichtung muss mindestens 200 Meter Abstand gehalten werden. So legt es das Gesetz fest.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»So, da wären wir an der Ecke. Sind wir bei 18 Metern.«
Reicht der Abstand? Das herauszufinden ist gar nicht so leicht.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Die Schülernachhilfe ist exakt in dieser Luftlinie an der Ecke. Das schneidet die Ecke von dem Gebäude in dieser Flucht. Deswegen mussten wir auch noch mal die Ecken von der Passage abziehen per Satellitenbild, weil wir dürfen nicht um die Ecker messen. Dann kriegen wir ja natürlich ein falsches Ergebnis. Wir müssen Luftlinien messen und deswegen müssen wir mit beiden Methoden arbeiten, dass wir oben per Sattelitenbild den Messpunkt setzen können und dann exakt in der Flucht. in diese Richtung den Eingang der Schülernachhilfe als Messpunkt setzen.«
Klingt kompliziert, ist es auch. Denn trotz aller Bemühungen um Genauigkeit kommen die Vereinsgründer auf eine andere Zahl als die zuständige Behörde.
Christoph Lehner, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Es gab mindestens zwei Messungen, eine Messung der Behörde ohne genaues Ergebnis in Metern und eine Messung von mir anhand des Satellitenbilds. Und ich messe natürlich so, wie es im Gesetz steht, von Eingangstür zur Eingangstür. Und meine Messung kommt auf 203 Meter, sogar 204 aufgerundet, von der Sammeleingangstür bis zur Eingangstür Passage.«
Auf Anfrage erklärt uns das Regierungspräsidium Freiburg. Ihre Messung habe jedoch lediglich 190 Meter ergeben. Die Messunterschiede kämen zustande, weil das Präsidium von Haupteingang zu Haupteingang messe, Niemöller und Lehner jedoch von Innenraum zu Innenraum. Gestritten wird also um 14 Meter. Niemöller fühlt sich von der Behörde schikaniert. Doch sein Cannabis Social Club ist nicht der einzige, der mit den Regeln der Behörden kämpft. Seit das Cannabis-Gesetz vor rund einem Jahr in Kraft getreten ist, haben bundesweit mehr als 400 Vereine Lizenzanträge eingereicht. Genehmigt wurde davon bislang nur knapp ein Fünftel. In Baden-Württemberg sehen die Zahlen ähnlich aus. Hier wurde bislang nur knapp ein Viertel der Anbauvereinigungen genehmigt. Grund für die Ablehnung sind laut Regierungspräsidium Freiburg vor allem Unzuverlässigkeiten, Verstöße und Umgehungsversuche sowie Defizite in den Antragsunterlagen.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Hallo Mari, grüß dich!«
Niemöller ist mittlerweile verunsichert und frustriert. Bei regelmäßigen Teamsitzungen muss er den anderen Vorstandsmitgliedern von den neuesten Niederlagen berichten.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Der andere Standort fällt leider weg, weil der Eigentümer keinen Bock hat auf Umnutzung. Weil das eine Lagerfläche ist und da müssen wir eine Umnuzung beantragen. Und er hat jetzt gesagt, das ist ihm alles zu kompliziert.«
Die Truppe sucht immer noch nach neuen Standorten. Mittlerweile auch auf der anderen Seite des Rheins. Ihr wichtigstes Tool dabei: die sogenannte Bubatzkarte. Eine Webseite, in der die Verbotszonen rot eingezeichnet sind. Im Industriegebiet von Ludwigshafen hat Niemöller noch ein paar freie Flächen entdeckt.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Und dann fährt man dahin und redet mit den Leuten und fragt den Nachbarn, ob er weiß, wer der Eigentümer von der Halle ist, weil die sieht leer aus, gibt Visitenkarten ab und ist dann ein paar Stunden mit beschäftigt. Und das haben wir, ich weiß nicht, wie viele Stunden und wie viele hunderte Kilometer ich gefahren bin.«
Gemeinsam mit Lehner zeigt uns Niemöller einen der Anbaustandorte, die er zuletzt ins Auge gefasst hatte.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»Ja, das ist jetzt eine der vier Gärtnereien, die wir uns angesehen haben, die auch an uns verpachtet hätten. Und auf der Fläche hier hätten wir jetzt schon Cannabis stehen, wenn alles reibungslos gelaufen wäre. Und die Pflanzen wären auch schon ähnlich groß wie die Tomaten, die jetzt hier drin stehen.«
900 Pflanzen hätten in diese Halle gepasst. Daraus wären mit einer Ernte bis zu 400 Kilo Hanf entstanden. Der Eigentümer war mit der Vermietung einverstanden. Doch um das Gewächshaus gesetzeskonform gegen Einbruch zu sichern, hätte der Verein rund 100.000 Euro investieren müssen. Ohne vorher zu wissen, ob die Behörde ihnen die Lizenz am Ende überhaupt erteilt.
Andreas Niemöller, Anbauvereinigung »Rising Flowers«:
»In unseren Augen ist das komplett absurd und massiv überzogen, weil Sicherheitsvorkehrungen sind wichtig, aber es ist komplett absurd, dass man jetzt hier meint, dass hier quadratmeterweise die Gewächshäuser leer geklaut werden. Da bräuchte man einen halben Tag, um irgendwie einen Kofferraum voll Pflanzen zu klauen.«
Ein letzter Ausweg: Niemöllers Verein will nun Standorte im angrenzenden Rheinland-Pfalz suchen. In der Hoffnung, dass die Behörden dort kulanter sind. Aufgeben kommt für den gelernten Gärtner nicht in Frage.