Bürgergeld: Fast die Hälfte aller Bürgergeldempfänger schämt sich dafür

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Umfrage des Vereins »Sanktionsfrei« Fast die Hälfte aller Bürgergeldempfänger schämt sich dafür

Ist das Bürgergeld zu hoch oder zu niedrig? Eine neue Erhebung zeigt, dass das Geld für viele Betroffene nach eigener Auskunft nicht reicht. Und dass es ihnen peinlich ist, darauf angewiesen zu sein.

23.06.2025, 14.06 Uhr

 Gegen Kürzungen beim Bürgergeld

Sanktionsfrei-Vertreter Thomas Wasilewski, Steinhaus, und DIW-Präsident Fratzscher: Gegen Kürzungen beim Bürgergeld

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Nur etwas mehr als jede und jeder zweite Bürgergeldbezieher hat nach eigener Auskunft genug auf dem Konto, damit alle Mitglieder im Haushalt stets satt werden. 69 Prozent halten den Regelsatz für nicht hoch genug für eine gesunde Ernährung. Das geht aus einer Umfrage von Menschen im Bürgergeld hervor, die der Verein »Sanktionsfrei« in Auftrag gegeben hatte.

Mehr als jede und jeder dritte Bürgergeldempfänger verzichtet demnach auf Essen, um andere notwendige Dinge finanzieren zu können. 54 Prozent der Eltern verzichten nach eigenen Angaben zugunsten ihrer Kinder auf Essen.

Generell reicht der Umfrage zufolge aus Sicht von 72 Prozent der Befragten der Regelsatz von monatlich 563 Euro nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen. »Die überwältigende Mehrheit will arbeiten, hat aber kaum Hoffnungen darauf, eine existenzsichernde Arbeit zu finden«, so der Verein unter Berufung auf seine Ergebnisse. 42 Prozent schämen sich, Bürgergeld zu beziehen.

Bedrückende Diskussion

Die öffentliche Diskussion um mögliche Verschärfungen empfinden viele Bürgergeldbezieher als bedrückend. Dabei, so antworteten 80 Prozent der Befragten, sei vielen gar nicht klar, wie schnell sie selbst ins Bürgergeld abrutschen könnten. 72 Prozent fürchten weitere Verschärfungen.

Fast dreiviertel (74 Prozent) der Befragten möchten ihren Lebensunterhalt lieber selbst bestreiten (8 Prozent lehnen dies ab). Allerdings ist nur ein geringer Teil zuversichtlich, eine Stelle zu finden, die ausreichend bezahlt ist, um den Bürgergeldbezug beenden zu können. 59 Prozent stimmten der Aussage zu: »Selbst wenn ich eine Stelle finde, werde ich sehr wahrscheinlich weiterhin mit Bürgergeld aufstocken müssen«.

Vor dem Hintergrund dieser Befunde kritisierte »Sanktionsfrei« Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Bas hatte Schritte gegen Missbrauch von Bürgergeld angekündigt und in einem Interview von ausbeuterischen Strukturen gesprochen, bei denen Menschen aus anderen europäischen Ländern mit Mini-Arbeitsverträgen nach Deutschland gelockt werden. Tatsächlich sei Sozialleistungsbetrug »kein strukturelles Problem«, sagte die Gründerin des für mehr soziale Unterstützung eintretenden Vereins, Helena Steinhaus.

Der Präsident des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor dem Hintergrund der Ergebnisse vor einer Politik des Kürzens und Einsparens beim Bürgergeld. Es verlören nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Wirtschaft, denn selbst bei den wenig Qualifizierten fehlten Arbeitskräfte. Besser wäre mehr Förderung, sagte Fratzscher.

Von den 5,5 Millionen Bürgergeld-Beziehenden seien ein Drittel Kinder und Jugendliche und 800.000 Aufstocker, denen ihr Lohn nicht reiche. Die 16.000 Menschen, gegen die nach wiederholten Verfehlungen Sanktionen erhoben würden, fielen im Verhältnis nicht stark ins Gewicht. Von 1,7 Millionen beschäftigungsfähigen Bürgergeldbeziehern seien die meisten ohne ausreichende Qualifizierung, viele hätten gesundheitliche Probleme.

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