Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Michael O’Flaherty, hat das Vorgehen deutscher Behörden gegen propalästinensische Proteste im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg scharf kritisiert. In einem Brief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) warnt er vor schwerwiegenden Eingriffen in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Berichten zufolge sei es zu „exzessiver Gewalt“ der Polizei gegen Demonstranten gekommen, darunter auch gegen Minderjährige, die teilweise verletzt worden seien, schrieb O’Flaherty. Der Einsatz von Gewalt müsse rechtsstaatlichen Prinzipien wie Verhältnismäßigkeit, Legalität und Nichtdiskriminierung entsprechen. Auch habe es Verletzte gegeben. Einzelne Teilnehmer seien angeblich einer übermäßigen Online- und Präsenzüberwachung sowie willkürlichen Polizeikontrollen ausgesetzt gewesen. O’Flaherty forderte die deutsche Regierung auf, von jeglichen Maßnahmen abzusehen, die Menschen aufgrund ihrer politischen Meinung, Religion, Nationalität oder ihres Migrationsstatus diskriminieren.
Konkret bezog sich der Ire mit seiner Kritik etwa auf Demonstrationen in Berlin. In einigen Fällen wie bei einer Versammlung am 15. Mai dieses Jahres hätten die Behörden Proteste auf stationäre Versammlungen eingeschränkt. Seines Wissens werde zudem seit Februar 2025 die Verwendung der arabischen Sprache und kultureller Symbole bei Demos eingeschränkt.
Bei verschiedenen Demonstrationen kam es in der Vergangenheit teils zu gewalttätigen Ausschreitungen, sowohl Teilnehmer als auch Polizisten wurden verletzt. Bei einer Kundgebung am palästinensischen Nakba-Gedenktag kam es in Berlin etwa zu Tumulten und heftigen Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizei. Teilnehmer bewarfen Polizisten mit Getränkedosen und anderen Gegenständen und bespritzten sie mit roter Farbe. Der Gedenktag am 15. Mai erinnert an Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zusammenhang mit der Staatsgründung Israels und dem ersten Nahostkrieg im Jahr 1948.
Im Februar hatte die Berliner Polizei eine Kundgebung nur an einem beschränkten Versammlungsort statt als Protestzug erlaubt. Als weitere Auflage galt, dass nur Deutsch und Englisch gesprochen werden durften. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erklärte dazu im Februar, es habe bei einer vorangegangenen Versammlung Hass und Hetze gegeben, die nicht zu dulden seien.
Auch außerhalb des öffentlichen Raums sieht O’Flaherty Einschränkungen der Meinungsfreiheit, etwa an Universitäten, in Schulen sowie im Kulturbereich. Zudem gebe es Berichte über Versuche, ausländische Staatsangehörige wegen ihrer Teilnahme an Protesten oder politischen Äußerungen zum Nahost-Konflikt abzuschieben.
O'Flaherty: Rechtlicher Spielraum für Einschränkungen äußerst klein
Beschränkungen seien mit dem Hinweis auf die öffentliche Ordnung und den öffentlichen Frieden verhängt worden, schreibt O’Flaherty in seinem Brief. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lege aber fest, dass die Meinungsfreiheit „nicht nur für ‚Informationen‘ und ‚Ideen ‘gilt, die positiv aufgenommen werden, als harmlos angesehen werden oder jemanden gleichgültig lassen“.
Mit Blick auf den Umgang mit Antisemitismus kritisiert O’Flaherty: Es gebe Hinweise, dass deutsche Behörden Kritik an der israelischen Regierung pauschal als antisemitisch einstuften. Dies dürfe nicht dazu führen, legitime Meinungsäußerungen zu unterdrücken, schreibt der Kommissar.
Der Europarat ist von der EU unabhängig und wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat in Europa gegründet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehört zum Europarat.