Für die Grünen sind die ostdeutschen Bundesländer kein gutes Pflaster – die Partei dringt nicht durch, was sich in ihren Wahlergebnissen niederschlägt. Dazu gab es insbesondere in der Zeit der Wahlkämpfe im vergangenen Jahr wiederholt Berichte über Anfeindungen und sogar Angriffe, insbesondere auch gegen Mitglieder und Sympathisanten der Partei.
Nun haben sich einem Medienbericht zufolge zwei Kommunalpolitiker der Partei aus Thüringen Hilfe suchend an die Parteiführung in Berlin gewandt.
In einem eindringlichen, jetzt bekannt gewordenen Schreiben berichten die Kommunalpolitiker Matthias Kaiser und Felix Kalbe aus Gotha, dass der Einsatz für die Grünen Partei vor Ort inzwischen gefährlich geworden sei. Über den Brief, der auf den 16. Juli datiert sein soll, berichtet der „Spiegel“.
Wir befinden uns in einer akuten körperlichen und mentalen Gefahrenlage.
Matthias Kaiser und Felix Kalbe, Grünen-Politiker aus Gotha
„Dieser Brief an euch ist ein verzweifelter Hilfeschrei, denn: Wir wissen nicht mehr weiter“, schreiben Kaiser und Kalbe dem Grünen-Bundesvorstand und den beiden Co-Parteichefs Franziska Brantner und Felix Banaszak demnach auf drei Seiten.
„Immer mehr Mitglieder ziehen sich aus dem aktiven Parteileben zurück. Immer mehr Mitgliedern fällt auf, dass ,Grün-Sein’ in Thüringen bedeutet, Steine im beruflichen und alltäglichen Handeln in den Weg gelegt zu bekommen. Angst fängt an, sich breitzumachen“, heißt es in dem Brief.
Mitglied der Grünen im ländlichen Thüringen zu sein, „also fernab von Jena-Weimar-Erfurt, ist gefährlich geworden“, so die Verfasser. Bereits seit Jahren nähmen sie wahr, wie „eine ablehnende Haltung umschlägt in abgrundtiefen Hass – und unser Rechtsstaat systemisch immer weiter versagt“, heißt es dem Bericht zufolge in dem Brief weiter.
In den vergangenen Wahlkämpfen des Jahres 2024 sei es „normal“ gewesen, auf offener Straße als Grüner beleidigt oder angespuckt zu werden.
„Fast wöchentlich wurden Hassbotschaften an unsere Bürofenster geklebt. Sprüche wie ,Euch Grüne hängen wir auf’ waren alltäglich“, so die beiden Thüringer Grünen demnach weiter. Sämtliche polizeiliche Ermittlungen seien ins Leere gelaufen, „die Mitteilungen über die Einstellung der Ermittlungen stapeln sich“.
Auch Thüringens Innenminister erhielt alarmierenden Brief
In diesem Jahr sei die Lage „weiter eskaliert und lässt uns inzwischen ratlos dastehen“, zitiert das Magazin aus dem Schreiben. Am 20. Februar, kurz vor der Bundestagswahl, sei ein Anschlag auf ihr Büro verübt worden. In die Fensterfront sei in großen Buchstaben der Satz eingekratzt worden: „Volksverräter tötet euch!“. Der stehe noch immer da, man habe das Glas noch nicht austauschen können.
„Die Suche nach einem Glaser erweist sich als schwieriger als bislang vermutet, denn viele wollen schlichtweg für ein Büro von Bündnis 90/Die Grünen keine Scheibe austauschen“, schreiben die beiden Grünen demnach.
Einen offenen Brief mit ähnlichem Wortlaut hatten die beiden Grünen ebenfalls am 16. Juli an den Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) veröffentlicht. In den acht Jahren seines Wirkens habe sich die Situation in Thüringen nicht verbessert, schreiben die Grünen darin.„Im Gegenteil. Ihr Präventionssystem versagt auf ganzer Linie.“
Eine Handreichung, die kommunale Mandatsträger schützen solle, beinhaltet Empfehlungen und Maßnahmen, „die an der aktuellen Realität vollends vorbeigehen“.
Dringende Bitte um Hilfe an Brantner und Banaszak
In dem Brief an die Grünen-Spitze in Berlin zeichnen die beiden Kommunalpolitiker dem Bericht zufolge insgesamt ein düsteres Bild der Lage ihrer Partei vor Ort. Eine Landtagsfraktion gebe es nach der Wahlniederlage von 2024 in Thüringen nicht mehr, die hauptamtliche Infrastruktur sei „verschwindend gering geworden“.
Außer ihnen sei vor Ort niemand, der mit der Bevölkerung ins Gespräch komme und versuche, Ideen und Konzepte der Grünen zu vermitteln. Sie schreiben: „Währenddessen befinden wir uns in einer akuten körperlichen und mentalen Gefahrenlage.“
Nach einem Beschluss der Grünen im April, in dem auch neue Ansätze der Partei für den Osten angekündigt worden waren, mahnen die Kommunalpolitiker demnach an, es nicht bei symbolischen Aktionen zu belassen.
In der Vergangenheit sei von der Bundespartei im Osten „leider auch nicht viel Unterstützung spürbar“ gewesen. Nahezu alle Termine mit „Bundesprominenz“ in den vergangenen Jahren seien abgesagt worden, zum Teil sehr kurzfristig.
Man brauche jetzt „Austausch und Präsenz“, fordern die beiden Grünenpolitiker. „Andernfalls müssen wir uns ehrlich eingestehen“, so ihre Warnung, „dass wir als Partei die bewusste Entscheidung treffen, die östlichen Bundesländer aufzugeben“. (lem)