Aufwachsen auf den Lofoten: »Ich lebe dort, wo die Sonne im Winter nicht aufgeht«

vor 6 Stunden 1

Meine Familie wohnt schon sehr lange in Reine, so lange, dass sogar eine Straße nach uns benannt wurde: der Sverdrups vei, also der Sverdrupsweg. Das war vor zehn Jahren. Vorher hatten die Straßen keine Namen. Man weiß ja, wo jeder wohnt. Ich kann mir nicht vorstellen, in eine Großstadt zu ziehen. Dort gibt es zu viel Verkehr, zu viele Menschen und zu hohe Häuser. In Reine leben um die 400 Menschen. Es ist ruhig und friedlich. Außerdem kennt jeder jeden, das gefällt mir. Ich will immer hier wohnen bleiben.

Caspian ist am liebsten draußen. Mit Hündin Stella geht er manchmal im Dorf spazieren.

Caspian ist am liebsten draußen. Mit Hündin Stella geht er manchmal im Dorf spazieren.

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Mareike Timm

Reine ist ein Fischerort auf den Lofoten, einer norwegischen Inselgruppe.

Reine ist ein Fischerort auf den Lofoten, einer norwegischen Inselgruppe.

Foto: Mareike Timm

Die Lofoten sind Inseln weit drau­ßen im Meer. Vieles dreht sich bei uns hier um Fisch. Besonders um den Kabeljau, der im Winter in Massen vor unsere Küste zieht. Dann sind täglich viele Fischerboote draußen, um ihn zu fangen. Das hat eine lange Tradition. Mein Urururopa hat 1874 eine Fischfabrik in Reine gegründet. Heute führt mein Vater sie in fünfter Generation. Vielleicht übernehme ich sie eines Tages. Lust dazu hätte ich auf jeden Fall.

Foto: DEIN SPIEGEL

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Wir stellen gesalzenen Fisch und Stockfisch her. Das ist Fisch, der einige Monate auf großen Gestellen in der Natur getrocknet ist. Den exportieren wir in viele Länder wie Italien und Nigeria. Mein Opa ist eigentlich schon in Rente, aber er hilft noch oft mit.

Die Arbeit in der Fischfabrik macht mir Spaß. Schon seitdem ich klein war, helfe ich mit. Seit vier Jahren habe ich auch einen Sommerjob. Ich sortiere die Fische nach ihrer Qualität und staple sie in Boxen. Beim Sortieren schaue ich, ob noch Reste von Innereien vorhanden sind. Die entfernen wir dann.

Die Fischfabrik ist einer von Caspians Lieblingsplätzen in Reine. Im Büro hängen Fotos seiner Vorfahren. Sein Urururopa (ganz links) hat die Fabrik vor mehr als 150 Jahren gegründet.

Die Fischfabrik ist einer von Caspians Lieblingsplätzen in Reine. Im Büro hängen Fotos seiner Vorfahren. Sein Urururopa (ganz links) hat die Fabrik vor mehr als 150 Jahren gegründet.

Foto: Mareike Timm

Wenn wir die Fische gestapelt haben, werden sie erneut sortiert. Diesmal aber noch genauer. Ein Mann in der Fabrik schaut sich dann jeden einzelnen getrockneten Fisch genau an. Er erkennt die Qualität am Geruch und teilt sie in 20 Kategorien ein. Ich habe das auch schon versucht. Aber ich kann nur sagen, ob er gut riecht oder nicht. Mir kommt es unmöglich vor, so viele Unterschiede zu riechen. Irgendwann kann ich das vielleicht aber auch.

Jetzt im Winter schneide ich Kabeljauzungen. Das ist eine Delikatesse, die ich auch gern esse. Gebraten natürlich. Hier auf den Lofoten ist es eine alte Tradition, dass wir Kinder diese Arbeit machen. Damit verdienen wir richtig gutes Geld. Ich mache das in den Winterferien, aber manchmal auch nach der Schule. Die Kabeljauzungen verkaufen wir dann an die Fischfabrik und bekommen dafür sieben Euro für ein Kilo. Wenn ich schnell bin, verdiene ich 50 Euro in der Stunde. Da kommt in einem Winter einiges zusammen. Das Geld spare ich für später.

Jeden Winter schneiden Caspian und andere Kinder Kabeljauzungen. Die Zungen werden gebraten und gelten in Norwegen als Delikatesse.

Jeden Winter schneiden Caspian und andere Kinder Kabeljauzungen. Die Zungen werden gebraten und gelten in Norwegen als Delikatesse.

Foto: Mareike Timm
Die Kinder verkaufen die Kabeljauzungen an die Fischfabrik. Sie erhalten umgerechnet sieben Euro für ein Kilogramm.

Die Kinder verkaufen die Kabeljauzungen an die Fischfabrik. Sie erhalten umgerechnet sieben Euro für ein Kilogramm.

Foto: Mareike Timm

Zur Schule fahre ich eine Viertelstunde mit dem Schulbus. Sie liegt ein paar Dörfer weiter weg. Ich besuche die achte Klasse und habe 13 Mitschüler. Das ist ziemlich viel. In anderen Klassen sind nicht so viele Schulkinder. Dann gehen Fünft-, Sechst- und Siebtklässler in dieselbe Klasse und werden im selben Raum unterrichtet. Bis voriges Jahr bin ich auch mit Jüngeren in eine Klasse gegangen. Für mich hat das keinen Unterschied gemacht.

Nach der Schule spiele ich oft mit Freunden Fußball. Im Sommer fahre ich fast jeden Tag mit einem Freund in meinem Boot raus. Manchmal fahren wir auf eine Insel gegenüber und gehen dort einen Fischburger essen. Oft angeln wir vom Boot aus Makrele oder Seelachs. Die Makrelen lassen wir aber gleich wieder ins Meer.

Die Seelachse nehmen wir mit nach Hause, wo es sie zum Abendessen gibt. In zwei, drei Stunden fangen wir bis zu fünf Seelachse. Beim Bootfahren habe ich auch schon öfter Orcas gesehen. Ich traue mich aber nicht, nah an sie heranzufahren. Angst habe ich nicht, aber Respekt. Und ich möchte sie bei ihrer Suche nach Heringen nicht stören. Meistens halten sie sich hier von Februar bis Juli auf. Dann gibt es besonders viele Heringe.

Mit seinem Quad saust Caspian am liebsten unter den Trockengestellen durch. Der Kabeljau hängt für drei Monate auf den Gestellen.

Mit seinem Quad saust Caspian am liebsten unter den Trockengestellen durch. Der Kabeljau hängt für drei Monate auf den Gestellen.

Foto: Mareike Timm
Der getrocknete Fisch heißt Stockfisch und wird gern als Snack gegessen.

Der getrocknete Fisch heißt Stockfisch und wird gern als Snack gegessen.

Foto: Mareike Timm

Ich mag die Sommer hier, weil es dann den ganzen Tag lang hell ist und ich viel draußen sein kann. Dafür ist es im Winter für einige Wochen ganz dunkel. Dann haben wir Polarnacht. Die Sonne verschwindet im Dezember und kommt erst im Januar zurück. Da wir nördlich des Polarkreises wohnen, kommt die Sonne dann nie über den Horizont. Tagsüber wird es nur für ein bis zwei Stunden ein bisschen hell. Es ist schon etwas anstrengend, wenn es die meiste Zeit dunkel ist. Dafür gibt es oft Polarlichter. Am besten sieht man sie, wenn der Himmel klar und nicht bewölkt ist. Die Farben am Himmel sind sehr schön. Auch viele Touristen kommen im Winter hierher, um die Polarlichter zu sehen.

Im Sommer ist aber noch mehr los. Dann sind täglich sehr viele Touristen im Dorf unterwegs. Vergangenen Sommer habe ich mehr als 200 aus unserem Garten verjagt, die dort ihr Zelt aufschlagen wollten.

Wir liegen im Sommer nie im Garten, weil ständig Drohnen über unser Haus fliegen. Die Landschaft ist eben sehr schön. Oft kommen auch mehrere Kreuzfahrtschiffe mit Hunderten Leuten an einem Tag zu uns ins Dorf. Das fühlt sich manchmal an wie ein großes Chaos. Weil so viele Autos auf den Straßen unterwegs sind, darf ich den Sommer über nicht mit dem Fahrrad fahren. Das wäre zu gefährlich. Ich fahre dann mit meinem Boot. Oder mit meinem Quad, mit dem düse ich unter den Trockengestellen durch. Das und die Fischfa­brik sind meine Lieblingsplätze in Reine.

Dieser Artikel erschien in DEIN SPIEGEL 6/2025.

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