AML-Technologie: Fortschritte bei der Notrufortung über die 110

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In Notfällen lassen sich Anrufer, die per Smartphone bei der 112 anrufen und um Hilfe ersuchen, via AML orten. Diese Ortungsfunktion sollte nach Rücksprache mit Datenschützern auch bundesweit für den Polizei-Notruf 110 möglich werden. Inzwischen ist ein Pilotbetrieb in Baden-Württemberg gestartet. Dort hat die Polizei seit Juni Zugriff auf die AML-Daten, um Notrufe von Hilfesuchenden schneller und genauer zu orten.

"Der Anschluss weiterer Länderpolizeien an AML erfolgt Zug um Zug, daher sind zwischenzeitlich weitere Länder angeschlossen. Die Länder geben die Nutzung von Advanced Mobile Location (AML) in eigener Verantwortung öffentlich bekannt" teilte Katharina Lutz-Schädler, Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums, auf Anfrage mit. Wir haben nachgefragt, wie der aktuelle Stand bei der Ortung des Notrufs 110 in den Bundesländern ist.

Die Polizei konnte bisher den Standort eines Mobilfunkgeräts, über das die 110 kontaktiert wird, über eine Funkzellenabfrage bei dem jeweiligen Netzbetreiber versuchen, näher zu bestimmen. Funkzellen können jedoch auch mehrere Kilometer groß sein; eine schnelle und genaue Standortfeststellung des Geräts ist so nicht möglich. In bestimmten Gefahrenlagen kann die Polizei auch mit technischen Mitteln vor Ort versuchen, den Standort eines Hilfesuchenden zu ermitteln. Dafür setzt die Polizei einen IMSI-Catcher ein, der im Prinzip als mobile Basisstation eine Funkzelle simuliert, mit der sich das gesuchte Gerät verbinden kann. Der abzusuchende Bereich kann so weiter eingeschränkt werden, eine genaue Standortbestimmung des gesuchten Geräts ist mit einem IMSI-Catcher aber auch nicht möglich. Bis ein IMSI-Catcher zum jeweiligen Einsatzgebiet geschafft wird, vergeht Zeit, die man in einem Notfall, bei dem es um Leib und Leben geht, vielleicht nicht hat.

Kann die Leitstelle hingegen im Notfall auf AML-Daten zugreifen, lässt sich ein genauer Standort des Mobilgeräts schnell ermitteln. Bei dem Notruf 112 funktioniert das in vielen Ländern in Europa bereits, in Deutschland seit dem Jahr 2019.

Anfang 2024 hatte der Arbeitskreis II "Innere Sicherheit" der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder in seiner Frühjahrssitzung das Thema auf der Tagesordnung und kam zu dem Ergebnis, dass AML schnellstmöglich bundesweit für die Notrufnummer 110 nutzbar zu machen sei. Dafür sollte zunächst eine rechtliche Bewertung stattfinden, mit der geprüft werden soll, ob die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung, Speicherung sowie die Übermittlung beziehungsweise den Abruf der AML-Daten an die Polizei notwendig ist.

Die Realisierung von Notrufen und auch eine damit verbundene Ortung des Notrufs befindet sich in der Zuständigkeit der Länder, erklärt das Bundesinnenministerium. Gefahrenabwehrrecht und das Polizeirecht sind genauso wie das Rettungswesen Ländersache. Und die Länder entscheiden selbstständig über die Nutzung von AML. Abseits von der Schaffung der technischen Voraussetzungen bei den Leitstellen gehört dazu auch die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen. Konkret müssen die rechtlichen Grundlagen für die einzelnen Datenverarbeitungsvorgänge – von der Erhebung und Speicherung der Standortdaten des Notrufs bis zur Weitergabe dieser Daten an die zuständigen Notrufabfragestellen - geklärt werden.

Mit der Umsetzung der "bundesweiten Implementierung der automatisierten Mobilfunkortung für die nationale Notrufnummer 110 bei den Länderpolizeien" wurde das Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei Baden-Württemberg beauftragt. Baden-Württemberg ist bereits Standort eines bundesweiten AML-Endpoints für die Notrufnummer 112, der von der ILS Freiburg für den Rettungsdienst gemanaged wird.

Der AML-Endpoint für die 110 wird davon separat an einem anderen Standort von der Polizei Baden-Württemberg betrieben. Baden-Württemberg stellt für den AML-Endpunkt die IT-Infrastruktur, den zentralen Speicherort und eine Web-Anwendung für die bundesweiten Abfragen zur Verfügung. Bei einem Notruf werden die AML-Daten für genau 60 Minuten an dem zentralen Speicherort zum Abruf durch eine Notrufabfragestelle verschlüsselt vorgehalten. Nach 60 Minuten werden die Daten automatisch und unwiederbringlich gelöscht.

Das Polizeigesetz Baden-Württemberg erlaubt nach § 53 die Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Nutzungsdaten zur Gefahrenabwehr, "soweit bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine konkrete Gefahr vorliegt für Leib, Leben oder Freiheit einer Person", um damit etwa den Aufenthaltsort einer "hilflosen Person" zu ermitteln. Die konkrete Gefahr bezieht sich auf einen Einzelfall. Rechtlich fraglich war, ob die Polizei Baden-Württemberg zu allen bundesweit eingehenden Notrufen über die 110 die AML-Daten zentral speichern kann, um dann den anderen Ländern Zugriff auf diese Standortdaten zu ermöglichen.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg, Prof. Dr. Tobias Keber, "sieht die Anwendung der bestehenden Regelungen aus dem Polizeigesetz kritisch, hat in seiner Stellungnahme vom 18. März 2024 jedoch für den Zeitraum bis zu einer abschließenden Prüfung bzw. Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen einem Pilotbetrieb des AML-Dienstes zugestimmt". Dabei handelt es sich um einen "vorläufigen bundesweiten Pilotbetrieb", wie das dortige Innenministerium mitteilte. AML darf nur "unter Berücksichtigung der strengen Zweckbindung der Daten an die Leistung der erforderlichen Hilfe", also zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden.

Es gilt das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bekannte datenschutzrechtliche "Doppeltürprinzip". Danach bedarf es sowohl für die Datenübermittlung aus Sicht des Datenabsenders (Baden-Württemberg als Betreiber des zentralen AML-Endpunkts) als auch für die Abfrage aus Sicht des Datenempfängers (die anderen Bundesländer) einer gesonderten, bereichsspezifischen Befugnisnorm. Für die Nutzung von AML-Daten braucht die Polizei also jeweils (landes-)gesetzliche Bestimmungen. Wozu auch Absprachen mit den jeweiligen Datenschutzbeauftragten in den Ländern gehören dürften.

Im April 2024 hieß es laut dpa aus dem Innenministerium BW, es würde neben rechtlichen Problemen auch technische Schwierigkeiten geben, man arbeite mit Hochdruck an der Umsetzung des Pilotbetriebs. Lutz-Schädler erklärt auf Nachfrage, dass nach einer Testphase im Juni 2024 der landesweite Start des Pilotbetriebs in Baden-Württemberg erfolgt ist. Das heißt sämtliche Führungs- und Lagezentren der Polizei Baden-Württemberg sind seitdem technisch in der Lage AML-Daten abzurufen. Baden-Württemberg hat die Innenministerien der anderen Bundesländer zwischenzeitlich zur Teilnahme an der AML-Pilotierung für den Notruf 110 eingeladen und erste Länder sind der Einladung gefolgt und haben sich bereits anschließen lassen.

Schleswig-Holstein hatte am 18. September 2024 gegenüber Baden-Württemberg seine Teilnahme an der Pilotierung erklärt, das teilt das Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein mit. Der Anschluss ist zwischenzeitlich erfolgt. Seit Mitte Oktober haben alle polizeilichen Leitstellen des Landes "die Möglichkeit der Mobilfunkortung mittels AML unter dem Vorbehalt der gesetzlichen/datenschutzrechtlichen Voraussetzungen".

Auch Hessen hat sich der Pilotierung angeschlossen. Dort steht AML für die Notrufnummer 110 "seit Anfang Oktober 2024 flächendeckend in den Leitstellen zur Verfügung", teilt der Stellvertretende Pressesprecher vom Hessischen Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz auf Anfrage mit.

Das Land Niedersachsen befinde sich "in der Umsetzung zur Implementierung von AML für den polizeilichen Notruf; die Betriebsaufnahme wird in Kürze erfolgen", teilt die Pressesprecherin des Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport auf Anfrage mit.

In NRW sollen alle nordrhein-westfälischen Polizeileitstellen an der Pilotierung teilnehmen, sagt Jonas Tepe als Sprecher für Polizeiangelegenheiten für das Ministerium des Innern des Landes NRW. Ein Anschluss an den AML-Endpunkt in Baden-Württemberg besteht bereits und die Pilotierung wird in den Leitstellen derzeit vorbereitet.

Die Polizei Brandenburg hat ihre Teilnahme an der Pilotierung Anfang Oktober 2024 gegenüber Baden-Württemberg erklärt, die Pressesprecherin des Innenministeriums. Die erforderlichen technischen Voraussetzungen seien bereits geschaffen worden. Im Moment hänge der Pilotierungsstart in Brandenburg noch "von der abschließenden datenschutzrechtlichen Zustimmung und der Schaffung der fachlich-organisatorischen Voraussetzungen im Polizeipräsidium" ab.

In Rheinland-Pfalz soll eine "pilotweise Nutzung von AML" durch die Polizei noch im Dezember 2024 möglich werden, erkärt der Pressesprecher des dortigen Ministeriums des Innern und für Sport. Die technischen Vorbereitungen seien erfolgreich abgeschlossen worden, auch ein funktionaler Zugriff auf die Testumgebung bestehe bereits. "In enger, einvernehmlicher Abstimmung mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz konnten auch die rechtlichen Voraussetzungen für eine Teilnahme im Rahmen eines Pilotbetriebs vorbereitet werden. Hier befindet sich das Datenschutzkonzept in der Finalisierung."

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