Weihnachten: Warum wir an den Feiertagen einen Nichtstun-Tag eingeführt haben

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Vergangenes Jahr stand ich am 25. Dezember morgens um 7 Uhr im Wohnzimmer und sah mich um: Ein Rentier-Haarreif auf dem Boden, schmutzige Teller, Weingläser, angebissene Schokoladenlebkuchen und zerrissene Geschenkverpackungen. Zwölf Menschen hatten hier am Vorabend Weihnachten gefeiert, darunter vier Kinder. Ich stand da, sah auf das Durcheinander – und fand es schön. Denn jetzt konnte der beste Tag im Dezember beginnen.

Die Adventszeit war vorbei. Das war nun von der ganzen Planung und Vorbereitung übrig: zerknülltes Papier und viele Erinnerungen. Der Dezember ist stressig, und weil die Stimmung schnell kippt, haben wir einen Tag eingeführt, der unsere Weihnachten rettet: den Nichtstun-Tag. Am 25. Dezember, dem ersten Feiertag, bleiben wir seit einigen Jahren mit unseren drei Kindern zu Hause, inmitten des Chaos. Der Tag ist nicht für Verwandtenbesuch und Festessen da, er gehört nur uns.

Wir sitzen mit den Kindern zwischen Geschenkpapier und Tannennadeln, trinken Kakao, schauen Filme und betrachten in Ruhe die Geschenke. Die einzige Regel: Man muss im Pyjama bleiben. Das ist der Tag, an dem wir Eltern Lego-Anleitungen umblättern, Experimentierkästen aufbauen oder einfach daneben sitzen. »Endlich«, sagte meine Tochter vor ein paar Jahren, »spielt ihr mal richtig mit.«

Denn dafür bleibt im Advent manchmal zu wenig Zeit. Weihnachtstheater, Lebkuchen backen, Basteln in der Kita (»Die Eierkartons bitte spätestens morgen früh abgeben!«), Chor-Aufführung, Baum fällen. Ach ja, auf den Weihnachtsmarkt wollen wir auch noch. Ich mag diese Termine, den Großteil habe ich mir selbst auferlegt. Trotzdem fühlt es sich manchmal mehr nach Organisieren als nach Erleben an. Das Weihnachtsessen muss geplant und Geschenke müssen gekauft werden, und ständig muss man woanders sein. Und irgendwann merkt man vor lauter Vorbereitung gar nicht mehr, dass Weihnachten ist.

Dabei geht es gar nicht um Perfektion oder das beste Geschenk. Ich habe meine Kinder gefragt, an welche Geschenke sie sich aus dem vergangenen Jahr erinnern. Sie mussten ziemlich lange überlegen, mehr als zwei waren es nicht. Aber was ihnen in Erinnerung geblieben ist: morgens im Schlafanzug neben dem Tannenbaum auf dem Wohnzimmerteppich zu sitzen und Welten zu erschaffen. An dem einen seltenen Tag im Jahr, an dem es keinen einzigen Termin gibt. Zeit ist wichtiger als Dinge – das versuche ich mir jetzt im Advent zu sagen – während ich Päckchen einpacke und Tesafilm suche.

Ich selbst konnte mich übrigens auf Anhieb an kein einziges Geschenk erinnern, das ich bekommen hatte. Was mir im Gedächtnis geblieben ist, sind die Momente, die man nicht organisieren konnte: meine Baby-Nichte, die ihr erstes Weihnachten bei uns erlebte und die Lichterketten anstarrte. Mein Sohn, der wollte, dass sein Kuscheltier auf dem Baum sitzt und es mit so viel Wucht darauf warf, dass die Tanne umfiel. Die Spinatknödel, bei deren Zubereitung übermüdet in der Nacht vorher etwas schiefgegangen sein musste. Sie wurden beim Kochen zu einer Art Spinatbrei, der genauso aussah, wie er klingt. Und mein persönliches Weihnachtswunder: Alle (Erwachsenen) haben ihn gegessen und niemand hat sich beschwert.

Was sind Ihre schönsten Weihnachtsmomente, bei denen etwas anders lief als geplant? Schreiben Sie an familiennewsletter@spiegel.de .

Das jüngste Gericht

Falls Sie dieses Jahr Knödel planen, möchte ich Ihnen unser Rezept aus dem vergangenen Jahr nicht empfehlen. Man sollte sich lieber an diese Anleitung von Verena Lugert halten, die vor einigen Jahren erklärt hat, wie die perfekten Spinatknödel gelingen.

Meine Lesetipps

  • Mein Kollege Markus Deggerich schreibt von seiner Tante Hedwig, einem Kriegskind.  »Mein Vater war knapp zehn Jahre alt und Hedwig nur fünf Jahre älter, als sie sich im eiskalten Januar 1945 mit den weiteren drei Geschwistern zu Fuß auf die Flucht begaben.« Er erzählt von ihr, einer dickköpfigen, zähen und liebevollen Frau, deren Namen heute seine Tochter trägt. Dieser Text hat mich sehr berührt.

  • Auch diesen schönen Text über eine Mutter-Tochter-Beziehung habe ich gern gelesen: »Nie wieder hat der Mensch so viel Tagesfreizeit wie als Teenager«, schreibt Barbara Vorsamer.  Ihre Tochter entdeckt mit elf Jahren ihre Leidenschaft für Nageldesign. Anfangs gibt es noch Streit über Klebenägel, später haben die beiden die besten Mutter-Tochter-Momente im Kinderzimmer – beim Nägelmachen. »Es ist schließlich nicht einfach, als Elternteil mit Teenagern ein gutes Gespräch zu führen. Im besten Fall haben sie keine Zeit und kein Interesse, öfter knallen sie Türen und fühlen sich unverstanden. Die Zeit, die meine Tochter benötigt, um mir die Nägel zu machen, ist daher sehr wertvoll für uns beide.«

  • Falls Sie mit Ihren Kindern noch Zeit bei einer gemeinsamen Aktivität verbringen wollen: Basteln geht immer. Hier hat das Kindermagazin DEIN SPIEGEL fünf Ideen zum Selbermachen getestet , perfekt zum Verschenken geeignet. Das Beste: Sie kosten wenig und bestehen größtenteils aus Dingen, die man ohnehin zu Hause hat.

  • Nächste Woche kommt die neue Ausgabe von DEIN SPIEGEL. Darin geht es um Familie – und was dieser Begriff eigentlich bedeuten soll. Zwillings- oder Pflegegeschwister, Einzelkind oder Riesenverwandtschaft: Sechs Kinder und Jugendliche erzählen in dem Heft, wie unterschiedlich ihre Familien aussehen. Das Heft liegt ab dem 11. Dezember am Kiosk.

Im Römischen Reich waren Familien oft riesig. Schließlich umfasste der Begriff damals auch Dienerinnen und Sklaven. Über die Jahrhunderte hat sich das Konzept »Familie« immer wieder verändert. Was heute dahintersteckt und warum Kinder in Teilen Kanadas bis zu 16 Großeltern haben, steht in der neuen Ausgabe von DEIN SPIEGEL, dem Nachrichten-Magazin für Kinder. Außerdem im Heft: Was ist 2025 passiert? Der Jahresrückblick im Quiz. Und: wie Spürhund Clyde bedrohte Tierarten sucht. DEIN SPIEGEL gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online.

  • Heute noch ein Hinweis in eigener Sache an Sie: Wir möchten Sie, liebe Elternabend-Leserinnen und -Leser einladen, den SPIEGEL aktiv mitzugestalten. Wie das geht? Werden Sie Mitglied unserer Online-Research-Community. Als Teil von SPIEGEL Perspektiven erhalten Sie Einblicke hinter die Kulissen unseres Verlagshauses, können an interessanten Studien teilnehmen und erfahren, wie Ihre Meinungen und Ideen unser Angebot prägen. Die Teilnahme ist selbstverständlich kostenfrei und unverbindlich. Registrieren Sie sich jetzt und prägen Sie die Zukunft der SPIEGEL-Gruppe mit: Hier geht es zu SPIEGEL Perspektiven.

Mein Moment

In meinem letzten Newsletter schrieb ich über das Laternenlaufen. Einige Leser und Leserinnen teilten daraufhin ihre Erinnerungen an die St.-Martin-Feiern ihrer Kindheit. Hans-Jürgen Sattler schrieb:

»Jedes Jahr am 10. November ist in Ostfriesland Martinisingen – auch »Sünnermartensabend« oder »Kipp-Kapp-Kögel« genannt. Mit acht Jahren, 1961, sind wir das erste Mal losgezogen. Wochen vorher haben wir unsere Martini-Gruppe zusammengestellt – bei uns waren es nur Jungen. Wir waren immer zu viert. Es wurden Lieder einstudiert, Laternen gebastelt und die Abfolge der Hausbesuche festgelegt. In der Siedlung waren rund 45 Häuser. Es gab die verschiedensten Süßigkeiten. Die mitgenommenen Taschen wurden immer voller. Zumeist waren es Bonbons, Moppen, Pepernöten (Pfeffernüsse), kleine Täfelchen Schokoladen. Am Ende unseres Weges gingen wir zu den Bauern. Dort gab es immer am meisten. Schon unterwegs wurden die ersten Süßigkeiten gegessen. Noch wochenlang konnten wir davon naschen.«

Und Leser Christoph Holzapfel teilte diese Kindheitserinnerung:

»Die Szene der Mantelteilung gehörte zum festen Programm des Martinszugs. Da Martin ein römischer Soldat war, war auch der Darsteller bei uns entsprechend gekleidet und sein ›Mantel‹ ein weiter Umhang, den er – ratsch – mit seinem Schwert teilte. Ich weiß noch, wie empört ich war, als ich herausfand, dass die zwei Hälften des Umhangs durch einen Klettverschluss zusammengehalten wurden.«

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Herzlich
Ihre Antonia Bauer

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