Vergessene Fußballpionierin Christa Kleinhans: »Gucken die uns auf Busen, Beine oder Po?«

vor 1 Tag 1

»Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.« Mit dieser Begründung verbot der Deutsche Fußballbund (DFB) am 30. Juli 1955 den Frauenfußball. Diese »Kampfsportart« sei »der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd«, tönten die Herren.

Was Christa Kleinhans nicht im Geringsten beeindruckte: Die Flügelstürmerin kickte einfach weiter. Rund 150 inoffizielle Länderspiele bestritt das Rechtsaußen-Talent mit der Rückennummer 7. Bis sich ihr Verein, der DSV Fortuna Dortmund 55, im Jahr 1965 auflösen musste.

2022 wurde Kleinhans in die Hall of Fame  des deutschen Fußballs aufgenommen, in der kommenden Woche wird sie 88 Jahre alt. Am Telefon erinnert sich die einst beste Fußballspielerin ihrer Zeit an eine Ohrfeige auf dem Platz, ein Paket voller Bocksbeutel – und einen bitteren Notartermin.

SPIEGEL: Hallo, Frau Kleinhans, passt es gerade?

Kleinhans: Aber ja. Ich freue mich immer, wenn jemand anruft und wissen will, wie es früher so war. Man hatte uns Vorkämpferinnen schon längst beerdigt. Und dann wurden wir plötzlich wieder ausgegraben.

SPIEGEL: Was sagen Sie zur aktuellen Leistung der deutschen Frauen-Nationalmannschaft?

Kleinhans: Manchmal frage ich mich: Mein Gott, warum werden die Außenstürmerinnen jetzt nicht so bedient, dass sie loslegen können? Mich haben sie immer bedient, ich habe alle Bälle gekriegt und war schnell wie der Wind. Wollen wir hoffen, dass das jetzt besser wird, ich drücke den Frauen die Daumen.

SPIEGEL: Wie intensiv verfolgen Sie derzeit die EM der Frauen?

Kleinhans: Ich gucke ab und zu mal rein. Vor allem aber denke ich mir: »Menschenskind, wärst du doch noch so knackig, wärst Du 17 oder 18 Jahre alt, dann könntest du da jetzt mitspielen.« Ich will jetzt nicht angeben, aber vom Talent her hätte ich sicherlich die Chance gehabt, in der Nationalmannschaft mitzumischen. Und dann auch noch vor so vielen Zuschauern, in einem großen Stadion, mit Live-Übertragungen in mehrere Länder. Das wäre schon was!

»Diese widerlichen Sittenwächter, was die alles zu meckern hatten mit uns!«

Christa Kleinhans

SPIEGEL: Diese Aufmerksamkeit war Ihnen damals nicht vergönnt.

Kleinhans: Nee, nee, uns haben sie anfangs noch verjagt, wenn wir mal einen Fußballplatz ergattert hatten. Diese widerlichen Sittenwächter, was die alles zu meckern hatten mit uns! Von wegen »Die Frau verliert beim Fußball ihre Anmut«. Oder die Ärzte, die behaupteten, dass die weiblichen Sexualorgane durch Springen und Spreizen der Beine aus ihrer biologischen Lage rutschen. Mit so einem Blödsinn haben die Männer versucht, uns niederzumachen. Die Frau wurde als schwaches, schutzbedürftiges und unselbstständiges Wesen dargestellt. Wir haben darüber geschmunzelt, das war uns zu bekloppt.

SPIEGEL: Wie sah Ihr erster Ball aus?

Kleinhans: Wir haben mit allem gepölt, mit Dosen, selbst gebauten Bällen aus Lumpen, aus Papier, egal. Hauptsache, es war halbwegs rund. Gegenüber lagen noch die Kriegstrümmer herum, wir haben gespielt, Straßenecke oben gegen Straßenecke unten.

1 für Deutschland

Erstes inoffizielles Frauenfußball-Länderspiel gegen die Niederlande im Mathias-Stinnes-Stadion in Essen 1956: 2:1 für Deutschland

Foto: Horstmüller / IMAGO
 »Wir haben darüber geschmunzelt, das war uns zu bekloppt«

Die Spielführerinnen begrüßen sich zu Beginn des inoffiziellen Länderspiels 1956 in Essen: »Wir haben darüber geschmunzelt, das war uns zu bekloppt«

Foto: Horstmüller / IMAGO

SPIEGEL: Und Ihre Eltern?

Kleinhans: Die fanden sich damit ab, dass ich mit den Jungs loszog statt mit dem Puppenwagen, was für ein Glück. Irgendwann schoss mir mein Papa auf der Kirmes einen Ball. Einen richtigen Ball! Was war ich glücklich!

SPIEGEL: Sie wurden oft mit Helmut Rahn verglichen, dem Helden der WM 1954. War er Ihr Idol?

Kleinhans: Ach nein, der war zwar auch Rechtsaußen, aber ich hatte kein Vorbild, es gab ja noch keine Frauenfußballerinnen. Trotzdem hat die Weltmeisterschaft uns schwer begeistert.

SPIEGEL: Wo schauten Sie damals das WM-Finale?

Kleinhans: Ich lief mit einem Freund durch Dortmund-Görde, auf der Suche nach einem Fernseher, die waren ja noch rar. Da entdeckten wir einen Friseursalon, der das Spiel übertrug. Also haben wir uns das Finale durchs Schaufenster angesehen. Ich habe im selben Jahr angefangen mit Fußball. Zuerst bei Grün-Weiß Dortmund. Und dann 1955, im Jahr, als der DFB den Frauenfußball verbot, bin ich zu Fortuna gegangen, die hatten auch eine reine Frauenfußballmannschaft.

Anders als in der Bundesrepublik war der Frauenfußball in der DDR nie offiziell verboten. Im Rahmen des Betriebssports entstanden weibliche Mannschaften, sie trugen Namen wie BSG Turbine Potsdam, Chemie Wolfen oder Fortschritt Erfurt. Da der DDR-Frauenfußball nicht olympisch war und keine Medaillen einbrachte, wurden die Fußballerinnen lange weder ernst genommen noch gefördert.

 Weder gefördert noch ernst genommen

Doreen Meier und die DDR-Nationalmannschaft um 1990: Weder gefördert noch ernst genommen

Foto: Privat

SPIEGEL: Wo haben Sie mit Fortuna trainiert?

Kleinhans: Das wechselte, man hat uns ja häufig vertrieben. Mal auf richtigen Plätzen, aber auch in Gärten, auf einer Kuhwiese, im Höschpark. Da wir alle berufstätig waren, war es meist schon dunkel, wenn wir loslegten. Die Freunde meiner Mitspielerinnen parkten Ihre Autos so, dass die Scheinwerfer den Platz beleuchteten. Später durften wir auf einem Handballplatz trainieren. Zu den Spielen kamen die Männer oft mit Ferngläsern.

SPIEGEL: Mit Ferngläsern?

Kleinhans: (kichert) Man wusste nie: Glotzen die Kerle mit den Feldstechern uns auf Busen, Beine oder Po? Das hat uns schon gestört. Aber man konnte nicht hingehen und sagen: »Hör mal, pack jetzt das Gerät da weg.« Das gehörte sich einfach nicht, so war die Zeit.

 »Die Leute waren begeistert, wir wurden nie ausgepfiffen«

Die Frauenmannschaft beim inoffiziellen Länderspiel 1956 in Essen: »Die Leute waren begeistert, wir wurden nie ausgepfiffen«

Foto: Horstmüller / IMAGO

SPIEGEL: Trotz Fußballverbots bestritten Sie rund 150 inoffizielle Länderspiele. Wie funktionierte das?

Kleinhans: Fortuna gehörte der Deutschen Damenfußball-Vereinigung an, Vorsitzender war Josef Floritz, Ex-Trainer von Borussia Neunkirchen. Er hat diese Länderspiele organisiert, meist im süddeutschen Raum, zwei pro Wochenende. Wir bekamen 10 D-Mark dafür.

SPIEGEL: Oft schauten Tausende zu, wie war die Stimmung?

Kleinhans: Die Leute waren begeistert, wir wurden nie ausgepfiffen in all den Jahren! Unser Ziel war es, den Frauenfußball nach vorne zu bringen, da durften wir uns nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Unsere Leidenschaft und der Glaube an unser Talent haben uns angespornt, den Kampf gegen das DFB-Verbot aufzunehmen. Ich hatte sogar einen richtigen Fan, einen Winzer aus Bayern. Er hat mir Pakete mit Bocksbeuteln und Schinken geschickt.

»Mein Mann wollte mir das Schönste nehmen, was ich hatte! Das konnte ich nicht hinnehmen.«

Christa Kleinhans

SPIEGEL: 1960 haben Sie geheiratet. Wie stand Ihr Mann zum Fußball?

Kleinhans: Anfangs war er recht tolerant und begleitete mich zu Spielen. Aber dann begann er eifersüchtig zu werden und wollte mir den Fußball verbieten. Wir haben uns so oft gezankt. Also ging ich zum Anwalt. Nach nur einem Jahr Ehe wurde ich »schuldig geschieden« , wie es damals hieß.

SPIEGEL: Das galt als gesellschaftlicher Makel und ging mit finanziellen Nachteilen einher.

Kleinhans: Es war mir völlig egal. Mein Mann wollte mir das Schönste nehmen, was ich hatte! Das konnte ich nicht mitmachen. Ich habe diesen Schritt nie bereut.

SPIEGEL: Sie waren bei der Post beschäftigt, wie stand Ihr Arbeitgeber zu Ihrer Fußball-Leidenschaft?

Kleinhans: Man hat mich ein Jahr zurückgestellt, als es um die Beförderung ging. Ich bekam nie eine Erklärung, aber es muss mit dem Fußball zu tun gehabt haben. Angeblich hatte ich mir zu viel Freizeit genommen.

SPIEGEL: Sie galten als torgefährlich, aber auch recht impulsiv. Ihr größtes Debakel?

Kleinhans: Wir spielten 1965 daheim in Dortmund, gegen eine holländische Mannschaft, mein Papa war dabei und schaute zu: Er war ganz stolz und hatte sogar seine Arbeitskollegen mitgebracht. Nie war ich so nervös. Wie immer haben die Gegnerinnen mich gestickt.

 »Die schönsten Jahre meines Lebens«

Die Frauenfußballmannschaft von Fortuna Dortmund in den Fünfzigerjahren (Kleinhans links unten): »Die schönsten Jahre meines Lebens«

Foto: Charlotte Morgenthal / epd

SPIEGEL: Gestickt?

Kleinhans: Ja, so heißt das im Ruhrpott, wenn man jemanden ärgert. Die von der anderen Mannschaft wollten mich ausbremsen und umtreten, da ist mir der Kragen geplatzt. Ich habe mich umgedreht und der eine geknallt. Sofort flog ich vom Platz. Du liebe Zeit, was hat mich der Papa fertiggemacht, als ich nach Hause kam. Es war das schlechteste Spiel, das ich je abgeliefert habe.

SPIEGEL: Ihr Verein löste sich 1965 auf, kurz bevor der DFB 1970 das Frauenfußballverbot aufhob. Warum?

Kleinhans: Ganz einfach: Uns fehlte der Nachwuchs. Die einen wurden schwanger, die anderen heirateten und bekamen das Fußballspielen von ihren Männern verboten. Schweren Herzens gingen wir zu dritt zum Notar und lösten Fortuna Dortmund offiziell auf. Wir taten dem Mann leid, er hat uns das nie in Rechnung gestellt. Als wir herauskamen, haben wir alle geheult.

SPIEGEL: Sie setzten Ihre Sportkarriere trotzdem fort.

Kleinhans: Ich ging 1965 zu den Handballerinnen und wurde Torhüterin, außerdem war ich beim Kegelsport aktiv, wo wir zweimal deutscher Meister wurden.

SPIEGEL: Warum sind Sie 1970 nicht zum Fußball zurückgekehrt?

Kleinhans: Man hat mich zwar gefragt, aber da fühlte ich mich schon zu alt und lehnte ab. Ich hatte meine Zeit, die kann mir niemand mehr nehmen. Die zehn Jahre zwischen 1955 und 1965, das waren die schönsten Jahre meines Lebens. Noch einmal so jung sein!

Christa Kleinhans gehört zu den Protagonistinnen von »Mädchen können kein Fußball spielen«: einem Dokumentarfilm zur Frühzeit des Frauenfußballs in Deutschland (2025, Regie: Thorsten Körner). Der Film ist abrufbar in der ARD-Mediathek.

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