Tibet: China beginnt Bau von umstrittenem Riesenstaudamm

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China zementiert mit dem Bau eines gigantischen Staudamms in Tibet seine Machtansprüche in der Region. Ministerpräsident Li Qiang reiste für den zeremoniellen Spatenstich nach Nyingchi im Süden des autonomen Gebiets nahe der Grenze mit Indien.

Die Führung in Peking will mit dem Damm am Fluss Yarlung Tsangpo Strom in andere Gegenden übertragen, aber auch Energie für die Region gewinnen. Für den Bau des aus fünf Kraftwerken bestehenden Staudamms erwartet Peking laut offiziellen Angaben Kosten in Höhe von 1,2 Billionen Yuan (fast 143,8 Milliarden Euro).

Den Bau des Staudamms hatte sich die Kommunistische Partei in ihren laufenden Fünf-Jahres-Plan geschrieben. Im vergangenen Dezember gab Peking schließlich grünes Licht. Der Damm soll jährlich 300 Milliarden Kilowattstunden Strom gewinnen. Er hätte damit dreimal so viel Kapazität wie der berühmte Drei-Schluchten-Damm auf dem Yangtze-Fluss und wäre der weltweit größte Staudamm.

Der Fluss Yarlung Tsangpo, der in Indien Brahmaputra heißt, ist mit rund 3000 Kilometern einer der längsten Flüsse der Erde. Vom Himalaja in Tibet fließt er weiter durch Indien und Bangladesch, wo er in den Ganges und schließlich in den Golf von Bengalen mündet.

Experten warnen vor »Wasserkrieg«

Das Bauwerk stellt allerdings nicht nur einen gewaltigen Eingriff in die Natur dar, sondern sorgt in den Nachbarländern für Unmut. Indien und Bangladesch fürchten, dass das Aufstauen des Wassers am Oberlauf sich negativ auf die weiter flussabwärts gelegenen Gebiete auswirkt. Experten warnten in der Vergangenheit vor einem möglichen »Wasserkrieg« in der Region.

Das indische Außenministerium rief die Regierung in Peking im Januar dazu auf, sicherzustellen, dass die Interessen der flussabwärts gelegenen Gebiete um den Brahmaputra nicht beeinträchtigt werden. Falls nötig werde die Regierung in Neu-Delhi »Maßnahmen zum Schutz unserer Interessen ergreifen«. Bedenken gibt es darüber hinaus, weil die Bergregion immer wieder von Erdbeben erschüttert wird. Ein Kollaps des Staudamms könnte die talwärts gelegenen Gebiete katastrophal überfluten.

Bestehender chinesischer Staudamm am Fluss Yarlung Tsangpo in Tibet, der in Indien Brahmaputra heißt (Foto aus dem Jahr 2018)

Bestehender chinesischer Staudamm am Fluss Yarlung Tsangpo in Tibet, der in Indien Brahmaputra heißt (Foto aus dem Jahr 2018)

Foto: Dong Zhixiong / Xinhua News Agency / picture alliance

Peking beteuerte, der Staudamm werde keine nachteiligen Auswirkungen für die flussabwärts gelegenen Gebiete haben. Die Regierung bleibe im Gespräch mit den betroffenen Staaten. China sieht den Damm als Beitrag für sein Ziel, bis 2030 den Höhepunkt seiner Kohlenstoffdioxid-Emissionen erreicht zu haben und bis 2060 klimaneutral zu werden.

Zugleich festigt China mit dem Riesenbauwerk seine Dominanz in Tibet. Die Volksrepublik hatte die Region nach einer Invasion in den Fünfzigerjahren annektiert und kontrolliert sie seitdem mit zunehmend harter Hand. Tibetische Kinder lernen in der Schule Chinesisch, die tibetische Flagge ist genauso verboten wie Fotos des Dalai Lama. Das geistige Oberhaupt der Tibeter war zuletzt 90 Jahre alt geworden und lebt seit Jahrzehnten im Exil in Indien.

Angesichts des hohen Alters des Dalai Lama könnte China im Fall von dessen Tod versuchen, einen eigenen Dalai Lama zu bestimmen, der Peking gegenüber loyal ist. Die Volksrepublik würde Tibet dann nicht nur politisch kontrollieren, sondern auch spirituell. (Mehr über das hochpolitische Ringen um die Nachfolge des Dalai Lama lesen Sie hier. )

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