Teenager als Terroristen?: Jung, brutal, rechtsextrem

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In der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober 2024 geht ein Rückzugsort in Flammen auf: Der „Kultberg“ brennt. Mehr als hundert Jahre lang war das Kulturhaus von Altdöbern, Südbrandenburg, ein Treffpunkt gewesen für die Menschen im Ort. Zuletzt hatten Musikliebhaber hier eine Bühne für Blues- und Rockkonzerte eingerichtet, dazu eine Kneipe, nebenan war der Jugendklub. In einem Nebengebäude wohnt die Betreiberfamilie. Wohl nur durch Glück wird niemand verletzt.

Vom „Kultberg“ bleibt nach dieser Nacht nur eine verkohlte Ruine. Nach ein paar Tagen erklärt die Polizei die Spurensicherung zur Brandursache für abgeschlossen. Keine Hinweise auf Brandstiftung, technischer Defekt wahrscheinlich, teilt sie mit.

Der Brand im Kulturhaus Altdöbern.
Der Brand im Kulturhaus Altdöbern. (Foto: Feuerwehr OSL/Altdöbern)

Erst fünf Monate später, Ende März dieses Jahres, wird öffentlich, dass alles wohl ganz anders war. Dass nicht irgendein Kabelbrand das Kulturhaus zerstört hat. Sondern offenbar eine Gruppe junger Neonazis. Sie nennen sich die „Letzte Verteidigungswelle“. Auf Instagram posieren sie mit Deutschlandflagge, Sturmhauben und Bengalos. Sie zeigen den SS-Totenkopf. Selbstbeschreibung: „Jung, frech, radikal“. Der Generalbundesanwalt hält sie für eine Terrorgruppe.

Bei der Gründung der Gruppe waren alle Mitglieder noch minderjährig

Am Mittwochmorgen haben Einsatzkräfte des Bundeskriminalamts in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen fünf mutmaßliche Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ (LVW) festgenommen. Sie sähen sich als „letzte Instanz zur Verteidigung der ‚Deutschen Nation‘“, teilt die Bundesanwaltschaft mit. Ihr Ziel: mit Gewalttaten gegen Migranten und Linke das demokratische System der Bundesrepublik zum Zusammenbruch zu bringen. Dabei würden sie auch Tote in Kauf nehmen. Es war nur Glück, so sehen es die Ermittler, dass es nicht so weit gekommen ist.

Es sind Teenager, zwischen 15 und 18 Jahre alt. Als sie die Gruppe gegründet haben sollen, waren alle noch minderjährig. Zwei der Festgenommenen sollen für den Brandanschlag auf das Kulturhaus verantwortlich sein.

Und da ist noch mehr, was die Ermittler den jungen Neonazis vorwerfen. 5. Januar 2025, zwei aus der Gruppe schleichen sich an eine Geflüchtetenunterkunft in Schmölln, Thüringen. Sie schlagen ein Fenster ein, zünden eine Feuerwerksbatterie und halten ins Gebäude. Drinnen wohnen Menschen, die meisten schlafen an diesem frühen Morgen wohl noch.

Wieder ist es offenbar nur Glück, dass niemand zu Schaden kommt. Es bricht kein Brand aus. Dafür hinterlassen die Täter ihre Insignien an der Unterkunft: Sie sprühen Hakenkreuze und Siegesrunen an die Wände, ein Symbol des „Deutschen Jungvolks“ in der Hitlerjugend. Sie spreyen „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“, und: „NS-Gebiet“.

Ebenfalls Anfang des Jahres soll die Truppe einen Brandanschlag auf die Geflüchtetenunterkunft in Senftenberg in Südbrandenburg geplant haben, vermutlich wollten sie sogenannte Kugelbomben hineinschießen. Dazu kommt es nicht. Eine Reporterin aus einem Rechercheteam von RTL und Stern, das in der Szene recherchiert, gibt den Ermittlern einen Tipp. Die Fahnder nehmen einen jungen Mann fest. Zwei weitere mutmaßliche Mitglieder der „Letzten Verteidigungswelle“ saßen zum Zeitpunkt der Razzia am Mittwoch schon in Untersuchungshaft, die drei sind zwischen 18 und 21 Jahre alt.

Die „Letzte Verteidigungswelle“ ist nur eine von mehreren Gruppen teils sehr junger Rechtsextremer

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte, die Razzia sei „ein wichtiger Schlag gegen den rechtsextremen Terrorismus“. Dass die Beschuldigten so jung sind, sei besonders erschüttern und zeige: „Rechtsextremistischer Terrorismus kennt kein Alter.“

Die „Letzte Verteidigungswelle“ ist nur eine von mehreren Gruppen teils sehr junger Rechtsextremer, die sich offenbar immer weiter radikalisieren. Sie nennen sich „Jung und stark“, „Deutsche Jugend voran“, „Störtrupp“ oder „Elblandrevolte“. Manche von ihnen verabreden sich offenbar gezielt, um politische Gegner einzuschüchtern oder anzugreifen.

Die Vernetzung funktioniert – vor allem über Messengerdienste – auch überregional und über einzelne Gruppen hinaus: Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind junge Rechtsextreme zum Beispiel im vergangenen Jahr organisiert zu Christopher-Street-Day-Paraden in mehr als zwei Dutzend Städten gefahren, um dagegen zu demonstrieren. Teilweise kamen Hunderte Teilnehmer.

Manche schrecken, wie die LVW, auch vor Gewalt nicht zurück. Im Januar hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden drei 18-jährige mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene angeklagt, die im Europawahlkampf 2024 den SPD-Politiker Matthias Ecke ins Krankenhaus geprügelt haben sollen.

Brandenburgs gerade entlassener Verfassungsschutzchef Jörg Müller hat noch im April gewarnt, dass die Szene der jungen Neonazis immer gefährlicher werde. „Sie erinnern sehr stark an die Szene Anfang der Neunzigerjahre, die Skinhead-Bewegung“, sagte Müller.

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