In den Straßen von Qamishlo
Nur zwei schmale Schwimmbrücken führen über den Tigris. Sie verbinden die Autonome Region Kurdistan im Irak mit der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien, auch „Rojava“, „der Westen“, genannt. Der Grenzübergang Semalka ist der einzige weit und breit, und über ihn muss alles: ganze Familien, die in den vergangenen Jahren aus Syrien geflohen sind und nun zu Besuch kommen, teils mit ihren nagelneuen deutschen und norwegischen Pässen in den Händen; Kolonnen von Lastwagen mit Waren, Krankenwagen, Leichenwagen mit Toten, die zur Bestattung in ihr Heimatland überführt werden. Und so dauert es lange. Nur wenn man Beziehungen hat, geht es schneller. Nach einigen Stunden sind wir auf der anderen Seite. Wir fahren eine holprige Straße entlang nach Dêrik, von Dêrik weiter über Tirbespî nach Qamishlo. Es ist dieselbe weite, kahle Landschaft, die mir so vertraut ist aus den Besuchen bei meinen Großeltern in meiner Kindheit und Jugend. Doch das letzte Mal, als ich hier war, war noch Assad an der Macht, meine Großmutter lebte noch, und der Großteil meiner Verwandten hatte noch nicht das Land verlassen.
Plakatwand mit PKK—Anführer Abdullah Öcalan, Hasake
Hirtenjunge in der Nähe von Hasake
Es hat sich auf den ersten Blick kaum verändert, außer dass keine Bilder mehr von Assad, aber überall welche von Abdullah Öcalan zu sehen sind. Noch immer ziehen Hirten mit ihren Schafen über die Felder, noch immer sind da die buckeligen Lehmhäuser. Vielleicht ist der Müll am Rand der Straße noch mehr geworden, ihr Zustand noch schlechter. Die Region war immer arm – trotz des fruchtbaren Ackerlands und der vielen Ölpumpen –, und sie ist es nach Jahren von Krieg, Inflation, Terror umso mehr. Die Spuren sind nicht zu übersehen. In jeder Ortschaft hängen Bilder von Gefallenen. Es sind viele. Über 11.000 Kämpferinnen und Kämpfer wurden im Krieg gegen den IS getötet. In den Hügeln nahe der türkischen Grenze sieht man frisch gegrabene Tunneleingänge – Vorbereitung auf einen neuen Krieg oder Spuren von einem, der längst in Gang ist? Seitdem die Kurden ab 2012 ihre Selbstverwaltung etablierten, steht diese unter Beschuss. Mehrmals marschierte die Türkei in die kurdischen Gebiete ein, hält einige besetzt, auch mithilfe ihrer islamistischen Milizen, der SNA. Seit Jahren führt sie auch einen Drohnenkrieg, dem immer wieder Zivilisten zum Opfer fallen. Während wir fahren, liegen die Städte und Dörfer allerdings friedlich im warmen Licht der Nachmittagssonne.
Gedenkveranstaltung der Armenier zu dem Genozid vor 110 Jahren