„Stranger Things Season 5“: Das Grauen jenseits des Stimmbruchs

vor 2 Tage 3

In den ersten vier Folgen der fünften und letzten Staffel von „Stranger Things“ gibt es einen Schlüsselmoment, in dem eines der Kinder seiner Mutter endlich einmal deutlich widerspricht. Die Szene fühlt sich richtig an, aber aus dem falschen Grund. Das Kind ist einfach sehr deutlich ein junger Mann jenseits der 20. Warum redet seine Mutter auch so mit ihm? Der ist doch keine 15 mehr!

Die vermeintlichen Monster sehen in der fünften Staffel überzeugender aus als die vermeintlichen Teenager. An diesem grundlegenden Wahrnehmungsproblem kann man nichts machen. „Stranger Things“ erzählt eine Geschichte zwischen 1983 und 1987, die Dreharbeiten haben aber vor ziemlich genau zehn Jahren begonnen. Damals sah Finn Wolfhard als Mike Wheeler tatsächlich noch so aus, als sei er vielleicht noch nicht in der Pubertät. Heute sieht er dagegen aus, als müsste er langsam mit dem College fertig werden.

Auch Mikes komplette Dungeons-and-Dragons-Spielrunde ist erwachsen geworden. Nicht in der Geschichte, auf dem Bildschirm aber doch sehr deutlich. Wenn die Familie sich zu Beginn der fünften Staffel gemeinsam mit Freunden um den Frühstückstisch schart, sieht das eher nach dem Setup für einen Sketch aus als nach einer authentischen Familienszene aus den 1980ern. Wann endlich fällt den Eltern auf, dass ihre Kinder längst ausziehen und ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen könnten?

Das Problem ist unlösbar, aber auch nicht in jeder Szene präsent. Gaten Matarazzo kann sich noch am ehesten in einen Teenager verwandeln, auch weil Dustin sich pubertär verhält. Millie Bobby Brown (Eleven), Caleb McLaughlin (Lucas) und Noah Schnapp (Will) sind dagegen eigentlich zu alt für ihre Rollen. Wenn sie als Clique interagieren, fällt das nicht immer auf, doch Szenen in der Schulcafeteria oder mit den vermeintlichen Eltern sind unfreiwillig komisch.

Dieser Kritikpunkt wiegt schwer. Er ist aber auch der mit Abstand größte. Und er tritt häufig in den Hintergrund, weil es hier nur noch am Rand um Schule, oder überhaupt um das Städtchen Hawkins geht. Erdbeben, Quarantäne und Militär sind Stichworte, mit denen Alltagsbezüge beiseite gewischt werden können. Wie sehr der monatelang anhaltende Ausnahmezustand von den allermeisten Menschen offenbar achselzuckend zur Kenntnis genommen wird, bleibt zwar unglaubwürdig, fällt aber kaum auf.

Der Fokus liegt mit Staffel Fünf voll auf dem Ensemble. Und das ist eine gute Entscheidung. Die Fronten sind geklärt, die Grundzüge der Geschichte um irre Regierungsexperimente und düstere Parallelwelten sind bekannt. Nun kann mit dem Finale geerntet werden.

Fünfte Staffel "Stranger Things" (10 Bilder)

Wurzelmonster Vekna bleibt meist als wachsende Bedrohung im Untergrund. (Bild:

Netflix

)

Beim Schauen fühlt sich das doppelt nostalgisch an. Man kann sich nicht nur an mögliche Kindheitserlebnisse aus den 1980ern erinnern, sondern auch an 2016, als die erste Staffel erschien und detailverliebte 80er-Nostalgie mit smart platzierten Horror-Momenten aufmischte. Überraschend ist dieser Kontrast nicht mehr, sondern selbst wieder vertraut. Die überspitzten Actionszenen und pausenlos präsente Special Effects voller schmatzender Membranen und schleimiger Tentakel schaffen eher keine atemlose Spannung. Das Ganze ist vor allem eine Einladung in einen Irrgarten der Zitate. Welches Schicksal wohl auf die unsympathisch knurrenden Militärtypen wartet? Wer nicht von allein darauf kommt, ist wahrscheinlich zu jung, um mitzuschauen.

Darüber hinaus entwickelt die Serie mit der Ziellinie im Blick einen angenehmen Zug. Die vier Folgen wiegen auch aufgrund der Überlänge bedeutungsschwer, trödeln aber nicht. Es gibt einfach viel zu erzählen. Das komplette erweiterte Ensemble zerrt an verschiedenen Handlungssträngen, um alles auf einen Höhepunkt hin zuzuspitzen.

Streaming-Dienste sind berüchtigt dafür, einfache Geschichten aufzublasen und zu überfrachten, damit sie 6 bis 8 Stunden füllen können. Diese Behäbigkeit ist hier wie weggeblasen. Zwar gibt es immer mehrere Schauplätze, zwischen denen die Handlung hin- und herspringt, doch Dinge dürfen sich verändern oder auflösen. Freunde sprechen endlich aus, was ihnen seit mehreren Staffeln auf der Zunge liegt. Die Zahl der Twists und Enthüllungen nimmt zu. Und kein Nebencharakter ist mehr sicher.

Das zuvor langsam aufgebaute Grauen ist inzwischen dauerpräsent. Erhebliche Teile der Handlung spielen direkt im Upside Down. Nicht glaubwürdig, aber unterhaltsam funktioniert dann der Genrewechsel zu klassischer Action mit Monstern. Millie Bobby Brown spielt Eleven mit der Härte einer getriebenen Supersoldatin. Ihre besten Szenen hat sie gemeinsam mit David Harbour als Hopper. Er wirkt für sich genommen als Rambo etwas übertrieben, doch als Quasitochter und Ziehvater sind die beiden rührend.

Einerseits ergibt das einen noch wilderen Mix als zuvor. Im Finale laufen bei „Stranger Things“ Teenie-Komödie, Horror und Action nebeneinanderher. Dass alles zusammen funktioniert, liegt einerseits an der Linse: Alles ist ein ironischer Rückgriff auf etwas, das es so nie in Wirklichkeit gab. Ein Kameraschwenk über einen reich gedeckten Frühstückstisch, ein Zoom auf die plötzlich gestoppte Audiokassette, und schon ist die Serie wieder geerdet.

Der andere große Trick ist einfach gutes Handwerk: Das gesamte Charakterensemble funktioniert. Originell oder überraschend ist nichts, doch die Rollen werden durch die Spielfreude der Darsteller lebendig und fangen authentische Augenblicke ein. Auch Konflikte, die schon tausendmal anderswo erzählt wurden, funktionieren hier. Wie sieht es im Kopf eines gehänselten Jungen aus? Was macht es mit einem jungen Menschen, die eigene Homosexualität zu entdecken? Solche Szenen bleiben bei allen hereinbrechenden Demogorgons wichtig. Sie sind oft etwas plakativ, aber menschlich beobachtet. Und vor allem gut gespielt.

Die fünfte Staffel wurde in drei Pakete unterteilt, die im Abstand weniger Wochen erscheinen. Das ist auf den ersten Blick befremdlich, ergibt beim Schauen aber Sinn. Die vier Folgen bis hierhin schauen sich allein schon aufgrund des sichtbar hohen Budgets, pausenloser Effektgewitter und zahlreicher Höhepunkte eher wie ein Endlosfilm, den man je nach Ausdauer an möglichst wenigen Abenden absolvieren sollte.

Das Ende des ersten Teils des fünften Teils von „Stranger Things“ ist dann weniger ein Cliffhanger, eher ein logischer Schlusspunkt. Viel passiert, viele Andeutungen für die Zukunft werden gemacht, und nach dem Schauen kann man sich wunderbar ausmalen, was in den nächsten drei Episoden passiert. Und wie viele Stunden sie wohl dauern werden. Glücklicherweise ist das Finale schon im Kasten.

(dahe)

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