Bundesweit soll in rund 90 Schulen gestreikt werden
Foto:Michael Nguyen / NurPhoto / IMAGO
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Berlin, Hamburg, aber auch Döbeln, Hagen und Hitzacker: In rund 90 Städten deutschlandweit streiken am Freitag Schülerinnen und Schüler gegen die Wehrdienstpläne der Bundesregierung. Die schwarz-rote Koalition hat sich auf einen zunächst freiwilligen Wehrdienst geeinigt. Dafür müssen alle 18-jährigen Männer Fragebögen ausfüllen und zu einer Musterung erscheinen. Sollten sich nicht genug Freiwillige finden, könnte der Bundestag für eine sogenannte Bedarfswehrpflicht stimmen. Am Freitag will der Bundestag über diese Pläne entscheiden.
Vielen jungen Menschen in Deutschland macht die Aussicht auf die Rückkehr der Wehrpflicht Angst. Sie lehnen die Wehrdienstpläne ab und gehen nun deshalb nicht zur Schule, sondern streiken. Der SPIEGEL hat gefragt, was sie bewegt. Andere Jugendliche halten eine Wehrpflicht für nötig und wollen nicht auf die Straße gehen. Auch einige von ihnen haben verraten, was sie beschäftigt.
Phil Werring, 17, Münster
Phil Werring: »Immer wieder hört man von Mobbing, Sexismus, Rassismus oder sogar rechten Netzwerken in der Bundeswehr – das finde ich fatal.«
Foto: Privat»Ich streike gegen die Wehrpflicht, weil ich keine Lust habe, im Krieg zu sterben oder auch nur sechs Monate meines Lebens in einer Kaserne zu verbringen. Immer wieder hört man von Mobbing, Sexismus, Rassismus oder sogar rechten Netzwerken in der Bundeswehr – das finde ich fatal. Dazu kommt, dass sie mein Leben aufs Spiel setzen wollen, um, wie es das Weißbuch der Bundeswehr schreibt: Handelswege freizuhalten. Dafür sollen Menschen sterben und ich an die Waffe – ganz sicher nicht!«
Viktoria Gramm, 17, Mainz
Viktoria Gramm: »Die Interessen junger Menschen – unsere Freizeit, Bildung und Zukunft sind vollkommen egal.«
Foto: Privat»Ich streike gegen die Wehrpflicht und gegen Aufrüstung, denn ich habe das Gefühl, dass die Regierung nichts dafür tut, um den Frieden zu sichern. Gleichzeitig sind die Interessen junger Menschen – unsere Freizeit, Bildung und Zukunft – vollkommen egal.«
Angelina Houx, 16, Hofheim am Taunus
Angelina Houx will in Wiesbaden am Streik teilnehmen
Foto: Privat»Ich nehme an dem Streik in Wiesbaden teil, denn ich finde, besonders in der aktuellen politischen Lage sollten junge Menschen nicht gezwungen werden: Jeder sollte frei entscheiden dürfen, zum Bund zu gehen und seine Jugend so zu verbringen oder nicht. Eine Pflicht halte ich für falsch.«
Vincent Lucassen, 15, Hamburg
Vincent Lucassen wird in Hamburg streiken
Foto: Privat»Ich gehe zum Schulstreik, da ich gegen die Wehrpflicht bin. Ich möchte kein Jahr meines Lebens einer Regierung widmen, der die eigene Jugend egal ist und auch im Falle eines Krieges nicht zur Waffe greifen.«
Mattia Freund, 18, Münster
Mattia Freund ist Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen in Münster
Foto: Privat»Ich nehme nicht am Schulstreik teil, obwohl ich grundsätzlich gegen die Wehrpläne der Bundesregierung bin. Ich finde es dennoch sehr gut, dass gerade so viele junge Menschen ihre Stimme erheben und sich damit auseinandersetzen, denn genau das fehlt oft. Grundsätzlich ist das aber nicht mein Weg, auch wenn ich total respektiere, dass andere mitmachen. Ich setze lieber auf eigene Lösungen und engagiere mich aktiv in Bereichen, die mir direkt Möglichkeiten eröffnen, etwas zu bewegen.
Für mich läuft das über die Schule und eigene Initiativen, die mir Chancen geben, mein Ding zu machen und gleichzeitig meine persönliche Freiheit zu sichern. Und ich finde, genau so sollte es auch sein: Jeder sollte seinen eigenen Weg finden, aber am Ende verfolgen wir alle dasselbe Ziel: Selbst entscheiden zu können, was wir mit unserem Leben anfangen wollen, und Verantwortung dafür zu übernehmen.«
Lina Straßer, 17, Marburg-Biedenkopf
Lina Straßer ist stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU-nahen Schüler Union
Foto: Privat»Ich bin gegen den Schulstreik. Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage (auch in Deutschland) können wir es uns nicht leisten, die Bedrohungen zu unterschätzen. Der russische Angriffskrieg führt uns vor Augen, dass Frieden und Freiheit in Europa nicht selbstverständlich sind. Uns ist bewusst, dass eine Dienstpflicht einen erheblichen Eingriff in die Zukunftsplanung junger Menschen darstellt. Dennoch sind wir überzeugt, dass eine allgemeine Dienstpflicht kein Rückschritt, sondern eine notwendige Anpassung an die sicherheitspolitische Realität ist.
Gegen den Wehrdienst zu demonstrieren, bekämpft jedoch nicht die Bedrohung, vielmehr bedeutet es, sich der sicherheitspolitischen Realität zu verweigern. Sicherheitspolitische Herausforderungen verschwinden nicht durch Streiks, sondern nur durch verantwortungsbewusstes Handeln. Deshalb fordern wir als Schüler Union, dass Schülerinnen und Schüler aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen und ihre Stimmen nicht übergangen werden. Besonders wichtig ist uns, dass Jugendoffiziere als Bindeglied zwischen Bundeswehr und junger Generation fungieren.«
Michel Königshof, 18, Friedberg (Hessen)
Michael Königshof will nicht, dass er oder seine Freunde gezwungen werden, ihr Leben für Politiker riskieren, von denen sie sich nicht gesehen fühlen
Foto: Privat»Ich gehe am Freitag nicht zur Schule, weil ich nicht will, dass ich oder meine Freunde dazu gezwungen werden, ihr Leben für Politiker zu riskieren, die sich kein bisschen um die Jugend kümmern. Statt Milliarden in die Bundeswehr zu stecken, und damit Profite von Rheinmetall und Co. in die Höhe zu treiben und der Jugend immer mehr abzuverlangen, sollten endlich unsere maroden Schulen saniert und der Klimawandel konsequent bekämpft werden!«
Lisa Antonia Alexander, 18, Steinburg (Schleswig-Holstein)
»Warum soll man für ein Land kämpfen, das einen stetig im Stich lässt?«, fragt Lisa Antonia Alexander.
Foto: Privat»Ich nehme am Schulstreik gegen die Wehrpflicht teil, da niemand zu etwas gezwungen werden darf. Erst recht nicht für ein Land zu kämpfen, welches einen stetig im Stich lässt. Stattdessen sollten finanzielle Mittel in Bildung und Soziales gesteckt werden, um Jugendlichen eine gute Zukunft zu ermöglichen.«
Fritz Rinninger, 17, Ravensburg
Fritz Rinninger ist Mitglied im Bundesvorstand der CDU-nahen Schüler Union
Foto: Privat»Ich persönlich werde nicht an einem Schulstreik gegen die Wehrpflicht teilnehmen und halte diese Form des Protests für äußerst fragwürdig. Auch wenn ich mir grundsätzlich eine stärkere Beteiligung meiner Generation an der aktuellen Wehrpflichtdebatte gewünscht hätte, steht für mich fest, dass wir die Freiheit und Demokratie, in der wir leben, im Ernstfall auch verteidigen können müssen. Wenngleich ich hoffe, dass wir nie in eine solche Situation geraten. Angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage ist für mich klar: Wir müssen in der Lage sein, uns zu verteidigen, gerade um hoffentlich nie kämpfen zu müssen. Und um dieses Ziel zu erreichen, führt aus meiner Sicht kein Weg an einer Wehrpflicht vorbei.
Wenn ich jedoch Aussagen aus den Reihen der Veranstalter des Schulstreiks höre, wie etwa, man wolle »nicht ein halbes Jahr zur Bundeswehr, um dort töten zu lernen«, macht mich das, ehrlich gesagt, fassungslos. Solche Aussagen zeigen ein höchst verzerrtes und fragwürdiges Bild, das Teile der Organisatoren und Initiatoren des Streiks offenbar von unserer Bundeswehr haben.«
Kriege, Klima, soziale Medien: Millionen junge Menschen in Deutschland sind psychisch angeschlagen. Fast jeder vierte Heranwachsende gilt als auffällig. Wie Eltern, Ärztinnen und Lehrer helfen können. Lesen Sie hier die SPIEGEL-Titelstory.

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