Ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampelkoalition bekommt Deutschland wieder eine handlungsfähige Bundesregierung. Am Dienstagmorgen soll CDU-Chef Friedrich Merz vom Bundestag zum neuen Kanzler gewählt werden. Wenn alles läuft wie geplant – Union und SPD verfügen im Parlament lediglich über eine Mehrheit von zwölf Stimmen –, endet mit Merz’ Vereidigung und der seines schwarz-roten Kabinetts ein monatelanger politischer Schwebezustand, der sich angesichts der schwierigen Weltlage als zunehmend problematisch erwiesen hat.
Jeder in der künftigen Regierung wisse, vor welchen Herausforderungen man stehe, sagte Merz am Montag bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Er versprach eine verlässliche Regierung, die die Sorgen der Menschen ernst nehmen werde und deren Stimme „in Europa und der Welt gehört wird“. Die Regierungsmitglieder seien entschlossen, Deutschland mit Reformen und Investitionen nach vorne zu bringen. Er sei sehr zuversichtlich, dass es ihnen gelingen werde, das Land „kraftvoll, planvoll, vertrauensvoll zu regieren“.
Neben dem Ukrainekrieg belastet der Machtwechsel in den USA
Der künftige Vizekanzler, Co-SPD-Chef Lars Klingbeil, betonte genau wie Merz die schwierige Gesamtgemengelage, in der die neue Regierung nun ihre Arbeit aufnehmen muss. Der Automatismus früherer Zeiten, „mehr Frieden, mehr Handel, mehr Wohlstand“, gelte nicht mehr.
Zu den größten Herausforderungen dürften wohl der fortdauernde russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die sicherheits- und handelspolitische Neuausrichtung der USA unter Präsident Donald Trump gehören. Im Inland wiederum müssen Union und SPD möglichst rasch die schlechte Wirtschaftslage in den Griff bekommen. Auch die irreguläre Migration und der Umgang mit der AfD, die zuletzt vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde, dürfte die schwarz-rote Koalition schon in ihren ersten Monaten gut beschäftigen. „Wir leben in Zeiten der Umbrüche“, fasste Klingbeil die Lage am Montag zusammen. Und: Es liege an der neuen Regierung, ob Deutschland diese Umbrüche gestalten oder bloß zugucken werde.
Die SPD schickt vier Frauen und drei Männer ins Kabinett
Welches dieser beiden Szenarien eintreten wird, dürfte noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Geklärt dagegen ist seit Montag, wer in der künftigen Regierung gestalten und wer nur zuschauen darf. Nachdem CDU und CSU ihr Regierungspersonal bereits vergangene Woche vorgestellt hatten, haben nun auch die Sozialdemokraten ihre Regierungsposten besetzt. Insgesamt entsendet die SPD vier Frauen und drei Männer als Ministerinnen und Minister ins Kabinett, dazu kommen noch zwei Frauen als Beauftragte der Bundesregierung.
Als einziger der bisherigen SPD-Ressortchefs bleibt Verteidigungsminister Boris Pistorius im Amt. Bärbel Bas soll nach ihrem Amt als Bundestagspräsidentin nun das Arbeits- und Sozialministerium übernehmen. Klingbeil selbst wird wie erwartet Bundesfinanzminister. Am Montag schien er seine neue Rolle bereits verinnerlicht zu haben, zumindest betonte er bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags: „Nicht jeder Euro löst ein Problem.“ Mit dem Amt des Finanzministers, an dessen Machtfülle spätestens seit den Erfahrungen mit Christian Lindner (FDP) in der SPD niemand mehr zweifeln dürfte, etabliert Klingbeil sich endgültig als neuer starker Mann seiner Partei. Seine Co-Parteivorsitzende Saskia Esken dagegen, über deren Zukunft in der SPD zuletzt heftig diskutiert wurde, ging bei der Verteilung der Ministerposten leer aus.
Spannend wird auch die Zusammenarbeit der beiden Fraktionsvorsitzenden
Im Windschatten der Regierungsbildung haben sich derweil auch die Spitzen der Regierungsfraktionen neu aufgestellt. Die Unionsfraktion hat Jens Spahn am Montag mit 91,3 Prozent der Stimmen zum Nachfolger von Friedrich Merz gewählt. Die SPD-Fraktion teilte mit, dass der bisherige Generalsekretär Matthias Miersch künftig die Fraktion führen solle, seine Wahl ist für Mittwoch geplant.
Bislang gilt das Verhältnis von Spahn und Miersch nicht gerade als besonders eng oder gar vertraut. Miersch gehört in der SPD zu den Linken, Spahn in der CDU zu den Konservativen; auf vielen Politikfeldern sind sie ausgesprochen unterschiedlicher Meinung. Spahn hatte zudem eine Kontroverse und in der SPD Empörung hervorgerufen, als er sich dafür aussprach, mit der AfD so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch. Nachdem nun allerdings der Verfassungsschutz die gesamte Partei als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hat, korrigierte Spahn seine Position teilweise.
Am Sonntagnachmittag schrieb er auf der Plattform X, dass sich Union und SPD zum Umgang mit der AfD in den parlamentarischen Abläufen „selbstverständlich eng abstimmen“ und „in allen Fragen gemeinsam vorgehen“ würden. Und: „Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, wird es von unserer Seite nicht geben.“
Dass Spahn und Miersch es trotz ihrer Unterschiedlichkeit schaffen, eine gute Arbeitsbeziehung aufzubauen, dürfte für den Erfolg der Koalition entscheidend werden. Denn von nun an wird es ihre Aufgabe sein, den Gesetzesvorhaben der Regierung zu einer Mehrheit im Bundestag zu verhelfen – auch denjenigen, die in den jeweils eigenen Reihen umstritten sind.