Salzburger Festspiele: Schauspielchefin Marina Davydova fristlos entlassen

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Salzburger Festspiele feuern Schauspielchefin Richtige Theaterfrau, falscher Ort

Das Festival hat seiner Schauspieldirektorin Marina Davydova mit sofortiger Wirkung gekündigt. Das Zerwürfnis mit der Exilrussin hatte sich angekündigt.

29.11.2024, 19.01 Uhr

 »Man kauft die Katze im Sack«

Künstlerin und Kuratorin Davydova: »Man kauft die Katze im Sack«

Foto: Neumayr / Leopold / picture alliance

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Es ist ein Rausschmiss, wenige Tage vor der Vorstellung der Programmpläne fürs nächste Jahr. Die Salzburger Festspiele haben am Donnerstag bekannt gegeben, dass sie den Vertrag mit der Schauspielchefin Marina Davydova »mit sofortiger Wirkung auflösen«. Die aus Russland emigrierte und in Berlin lebende Davydova hatte den Job erst seit vergangenem Jahr und war mit ihrem ersten Programm in diesem Sommer nicht allzu erfolgreich. In Salzburg verkündet man nun, ihr Vertrag sei »infolge von Verstößen gegen vertragliche Dienstpflichten« gekündigt worden. Als konkreter Anlass wird »die weder angezeigte noch genehmigte Tätigkeit Marina Davydovas bei einem Berliner Theaterfestival« genannt.

Festspielintendant Markus Hinterhäuser äußerte sich am Freitagvormittag laut öffentlich-rechtlichem Rundfunk ORF so : »Es gibt ganz klare Regeln für Nebenbeschäftigungen. Wir können es nicht einfach übergehen. Das geht nicht«.

Tatsächlich wird Davydova beim »Voices Performing Arts Festival« in Berlin, das seit dem 2. November an verschiedenen Veranstaltungsorten Arbeiten von Exilkünstlerinnen und Exilkünstlern aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion zeigt, als Teil des zweiköpfigen »Artistic comittee« präsentiert. Auf der Website des Festivals schreibt Davydova unter anderem, dass die beim Festival auftretenden Künstler »offener als je zuvor für den Dialog mit anderen Kulturen« seien und »neue Horizonte entdecken«.

»Das von Marina Davydova konzipierte Schauspielprogramm des kommenden Festspielsommers wird in keiner Weise verändert.«

Pressestelle der Salzburger Festspiele

Die 58-jährige Davydova war für eine Stellungnahme am Freitag nicht erreichbar. Sie ist die Tochter eines Armeniers und einer Russin, war in Moskau Chefredakteurin der Theaterzeitschrift »Teatr« und lange Zeit künstlerische Leiterin des Moskauer Festivals NET (»New European Theatre«). Sie hat selbst Theatertexte geschrieben und inszeniert, etwa »Checkpoint Woodstock«, das 2019 im Hamburger Thalia Theater herauskam .

Davydova hat in einer Petition kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu dessen sofortiger Einstellung aufgerufen und wurde deshalb bedroht; im März 2022 floh sie aus Russland. Am kommenden Dienstag wird in Salzburg verkündet, was sie fürs Festspieljahr 2025 geplant hat. »Das von Marina Davydova konzipierte Schauspielprogramm des kommenden Festspielsommers wird in keiner Weise verändert«, heißt es auf SPIEGEL-Nachfrage von der Pressestelle der Salzburger Festspiele. Die Festivalleitung sehe »keinen Anlass dazu«.

Davydovas spektakulärste und umstrittenste Entscheidung in Salzburg war die Absetzung einer nur im Festspielsommer 2023 präsentierten »Jedermann«-Inszenierung von Michael Sturminger mit Michael Maertens in der Titelrolle . Sie ließ den kanadischen Opernregisseur Robert Carsen, einen 70-jährigen Routinier, eine neue, besonders opulente Version des Salzburger Publikumsknüllers einstudieren, mit Philipp Hochmair als Jedermann . Carsens durch Scharen von Statisten aufgepeppter Monumental-»Jedermann« war 2025 stets ausverkauft; die Inszenierung werde auch im kommenden Jahr gezeigt, heißt es nun in Salzburg.

Der Job wird jetzt nicht öffentlich ausgeschrieben

Der künstlerische Ertrag von Davydovas Arbeit in Salzburg war ansonsten bislang gering. Als Flops des diesjährigen Programms wurden unter anderem eine schwache »Orestie« des Regisseurs Nicolas Stemann und die maue Stefan-Zweig-Revue »Sternstunden der Menschheit«  des Regisseurs Thom Luz gewertet. Davydova selbst lästerte in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«  über den vermeintlich konservativen Geschmack des Salzburger Publikums und deutete an, dass sie ihren Job am liebsten grundsätzlich neu angehen wollte.

Eigene Produktionen zu zeigen, wie es in Salzburg seit mehr als 100 Jahren Tradition ist, sei ihr wegen des »enormen Risikos« zuwider, sagte sie der »Süddeutschen«: »Man kauft gewissermaßen die Katze im Sack. Ich möchte dem Salzburger Publikum lieber fertige Aufführungen präsentieren, die mich als Kuratorin überzeugt haben.«

Nun gibt es in vielen Städten der Welt Festivals, in denen genau die Kuratorinnenarbeit, die sich Davydova offenbar wünschte, hochwillkommen ist. In Salzburg, das sich seit seinen Anfängen im Jahr 1920 als sommerliche Inszenierungswerkstatt für Oper und Theater begreift, aber gerade nicht. Der Verdacht, dass Davydova in Salzburg die Rolle der richtigen – nämlich hochgebildeten und urteilsstarken – Frau am falschen Ort ausfüllte, wurde nicht nur durch ihre Interviewäußerungen geweckt. Die Wiener Tageszeitung »Die Presse« zitiert  ein wenige Tage altes Facebook-Posting der Schauspielchefin, in denen sie sich über »langweilige Meetings im Salzburger Büro« beklagt.

Es sieht so aus, als hätte Marina Davydova mit ihrem wohl tatsächlich ungenehmigten Festivalengagement in Berlin dem Festspielintendanten Markus Hinterhäuser und seinen Mitstreitern im Präsidium einen willkommenen Anlass zur Trennung geliefert. Der Job wird jetzt nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern Hinterhäuser allein kümmert sich – mit der dafür »nötigen Zeit«, wie er heute laut ORF ankündigte –, um eine Neubesetzung.

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