Namenswahl von Leo XIV.: In welche Tradition sich der neue Papst stellt

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Weißer Rauch. Eine Stunde später bezaubert auf den Bildschirmen der Welt das kluge, angenehme Gesicht von Robert Francis Prevost, des amerikanischer Papstes. Er ist beweg, scheint froh, nicht gleich sprechen zu müssen. Der Bildschirm erlaubt ungeniertes Betrachten: Güte und Entschlossenheit liegen in diesem Gesicht. Der Name überrascht – Leo XIV.

Wer den Roman „Konklave“ von Robert Harris gelesen hat, dem geht vielleicht der Satz durch den Kopf, jeder an der Wahl beteiligte Kardinal denke über den Namen nach, den er als Papst annehmen würde. Wann dachte Kardinal Prevost über Leo nach? Da er Francis heißt, ging Franziskus II. wohl nicht. Leo XIV. erschien in der Loggia in weißer Soutane, darüber ein weißes Rochett, darüber eine rote Mozzetta und die „Stola mit der vier Evangelisten“, Goldstickerei auf dunkelrotem Grund – der Farbe der Mozzetta und des Camauro in Raffaels Bild von Leo X. (Giovanni de Medici), dem kulturell bedeutendsten Papst der italienischen Renaissance. Er genehmigte zum Beispiel 1518 den Druck des päpstlich vielmals verdammten und verbrannten Talmuds.

Prevost, der Missionar

Die Sender kommentieren den Werdegang Leos XIV. Seine missionarische Tätigkeit in Peru wird lobend erwähnt. Im Hintergrund hingerissener Applaus von Zehntausenden. Das Stadtsiegel meines Wohnorts Newton zeigt den Missionar John Eliot als Gentleman des achtzehnten Jahrhunderts, zu einer Gruppe von Massachusetts („Indianern“) sprechend. Das Siegel wurde jahrelang von fortschrittlichen Bürgern erbittert als arrogant, patriarchalisch und die Ureinwohner erniedrigend bekämpft. Im März 2025 wurde es ersetzt. Die „Indianer“ sind weg. Eliot auch.

Der Puritaner Eliot meinte, die Massachusetts sollten nicht Englisch lernen müssen, sondern die Bibel in ihrer eigenen Sprache lesen können. Er lernte Natick (Wôpanâak), entwarf ein System der Verschriftlichung, übersetzte im Verlauf von fünfzehn Jahren die Genfer Bibel von 1560 und führte die Massachusetts mit Hilfe der gedruckten Ausgabe von 1663 zum Lesen. Vor dreißig Jahren wurde seine Übersetzung am Massachusetts Institute of Technology die Grundlage der Neubelebung von Wôpanâak. War Leo XIV. in Chiclayo ein John Eliot? Was bedeutet Missionieren heute?

 lateinische Schlagzeile des „Osservatore Romano“ zur PapstwahlNomen es omen: lateinische Schlagzeile des „Osservatore Romano“ zur Papstwahldpa

Von 2001 bis 2013 war Leo XIV. in Rom Generalprior des Augustinerordens. Dessen Adresse ist seit 2010 in der deutschen Literatur verankert. In Martin Walsers Novelle „Mein Jenseits“ ist der Held unterwegs zur Basilika des Ordens: „Jedesmal bog ich hinein in die Via della Scrofa (. . .), ein Wort mit einer Physiognomie (. . .) – ich schlug’s dann doch einmal nach. Heißt Sau. Na ja, die ganze Gegend heißt ja auch Campo Marzio.“

Prevosts Vorgänger unter Leo X. als Generalprior war Aegidius von Viterbo, Humanist, Dichter, Diplomat, Theologe mit intensivem Interesse an der Kabbalah. Er veröffentlichte 1517 ein Büchlein über die hebräischen Buchstaben und stellte den Grammatiker Elia Levita ein. Der Jude aus Ipsheim an der Aisch wohnte mit seiner Familie bis 1527 in der Via della Scrofa und kopierte seltene Handschriften. Aegidius erwirkte von Leo X., dass Levitas he­bräische Grammatik „Sefer Bachur“ 1518 in Rom gedruckt werden durfte. In den Basler Ausgaben von Sebastian Münster wurde „Sefer Bachur“ ein essenzielles Werk für die Reformatoren, die einen eigenen Weg zum Verständnis der hebräischen Bibel suchten. Das fällt einem ein, wenn Leo XIV. in seinen ersten Worten allen den Friedensgruß bietet („la pace sia con tutti voi“) und zum Zusammenhalt mahnt.

Am Beginn einer Medienrevolution

Von den anderen Leos wurden vier heiliggesprochen. Der erste erhielt das Prädikat „der Große“ wie sonst nur Gregor I. Es ist aber Leo XIII. (Papst von 1878 bis 1903), dem Leo XIV nachfolgen will. Wie Leo X. und jetzt Leo XIV. stand er am Beginn einer Medienrevolution. Er ist der älteste Mensch (geboren 1810), von dem es Filmaufnahmen gibt. Seine sozial progressive Enzyklika „Rerum novarum“ und seine Marienverehrung sind für Leo XIV. wegweisend. Er schließt seinen ersten Auftritt mit dem Ave Maria.

In der Basilika der Augustiner hängt ­Caravaggios „Madonna dei pellegrini“. Zwei Pilger knien bei Martin Walser vor ihr. „Sie strahlen eine Gebetskraft aus,“ heißt es in der Novelle, „die sie der Madonna ebenbürtig macht.“ Dorthin, so scheint es, möchte Leo XIV. seine Gläubigen führen.

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