Vielleicht kommt all das, was sich in Myanmar seit Jahren an Tragödie zusammenbraut, in diesen Tagen zusammen. Das schöne Land, bereits verwüstet von einem Bürgerkrieg, wurde vor zehn Tagen erschüttert von einem Erdbeben der Stärke 7,7 – und nun kommt auch noch die Regenzeit zu früh, was die Rettungs- und Aufräumarbeiten erschwert. Die Zahl der Toten ist bis Montag auf 3471 gestiegen, die der schwer Verletzten auf 4671, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.
Während Myanmar und seine Bevölkerung leiden, reiste General Minh Aung Hlaing, der sich seit einem verunglückten Coup d’Etat als Staatsoberhaupt darstellen möchte, nach Bangkok. Er will dort an einem BIMSTEC-Gipfeltreffen jener Staaten teilnehmen, die gemeinsame wirtschaftliche Interessen am Golf von Bengalen haben. Minh Aung Hlaing, 68, versuchte also im Ausland im schwarzen Anzug als Staatschef wahrgenommen zu werden, während die Vereinten Nationen warnten, dass schwere Regenfälle in Myanmar die Hilfsbemühungen zusätzlich erschweren.
Es werden mehr Zelte und Leichensäcke benötigt. Und die Cholera droht
Für etwa 28 Millionen Menschen in den Gebieten um Mandalay, Sagaing und der Hauptstadt Naypyidaw fehlt es an Trinkwasser, Nahrung und Unterkünften. Etwa die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen in dem Gebiet sind vom Erdbeben beschädigt oder zerstört worden. Laut den UN werden viel mehr Zelte für die Obdachlosen benötigt. Und Leichensäcke. Zum Regen kommt die enorme Hitze; die Menschen müssen bei 38 Grad campieren, das begünstigt die Ausbreitung von Cholera. Auch Malaria und Denguefieber treten bei lang anhaltenden Krisen wie in Myanmar auf. Die Lage wird sich weiter verschärfen.
„Familien schlafen vor den Trümmern ihrer Häuser, während die Leichen ihrer Angehörigen aus den Trümmern geborgen werden. Die Angst vor weiteren Beben ist groß“, schrieb Tom Fletcher, Leiter der UN-Hilfsgruppe, auf X. „Wir müssen den Überlebenden Zelte und Hoffnung geben, damit sie ihr zerstörtes Leben wieder aufbauen können.“ Die Nachbarländer China, Indien und Thailand schicken Hilfsgüter und Rettungskräfte in die Region. Obwohl die USA unter Elon Musk die Auslandshilfe USAID geschreddert und für massenhafte Entlassungen bei Nichtregierungsorganisationen in ganz Südostasien gesorgt haben, bot sogar Washington schnelle Unterstützung in Höhe von neun Millionen US-Dollar an.
Gleichzeitig aber erhielten drei Mitarbeiter der „U.S. Agency for International Development“, die wegen des Bebens nach Myanmar gereist waren, die Mitteilung, dass sie entlassen werden. So erzählt es Marcia Wong, eine ehemalige leitende Mitarbeiterin von USAID, der Nachrichtenagentur Reuters. „Dieses Team arbeitet unglaublich hart und konzentriert sich darauf, humanitäre Hilfe zu den Bedürftigen zu bringen. Die Nachricht von der bevorstehenden Kündigung zu erhalten – wie kann das nicht demoralisierend sein?“ fragt Wong.
Die Junta verstößt aus Misstrauen gegen die Waffenruhe
Der Putschversuch, den General Minh Aung Hlaing in der Nacht auf den 1. Februar 2021 anführte, hat das Land an den Rand des Kollapses geführt. Mehr als drei Millionen Menschen sind auf der Flucht, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist laut UN auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Wirtschaft ist am Boden, die Grundversorgung eingeschränkt. Das Gesundheitssystem war vor dem Erdbeben schon hoffnungslos überlastet. Gleichzeitig muss man sich das Militär in Myanmar wie einen Staat im Staat vorstellen: Er will sich vor allem selber erhalten, betreibt auch eigene Krankenhäuser. Wenn man also medizinische Hilfsgüter nach Myanmar schickt, besteht die berechtigte Sorge, dass das Militär diese für ihre eigenen Zwecke abzweigt.
Widerstandskämpfer konnten in den vergangenen eineinhalb Jahren viele strategisch wichtige Randgebiete im Land unter ihre Kontrolle bringen. Die Fronten sind festgefahren. Am vergangenen Mittwoch hatte der Fernsehsender MRTV, der unter Kontrolle des Militärs steht, mitgeteilt, dass für 20 Tage eine einseitige Waffenruhe in Kraft treten werde, um die Hilfe nach dem Beben zu unterstützen. Doch schon am Freitag meldete das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, dass die Junta dies in Gebieten verhindert, in denen sie Widerstand vermutet. Es werden außerdem Vorwürfe von Widerstandsgruppen untersucht, das Militär habe das Chaos nach dem Erdbeben gezielt für Bomben-Angriffe genutzt.
Es liefen am Wochenende also einerseits Bilder von Ruinen über die Nachrichtenticker, und auch von Geretteten, die Helfer mit bloßen Händen unter eingestürzten Häusern freigebuddelt hatten. „Wir hören die ganze Zeit Schreie“, zitiert der nicht vom Militär kontrollierte Nachrichtendienst Frontier Myanmar einen der freiwilligen Helfer, die mit wenigen Hilfsmitteln und kaum Unterstützung durch das myanmarische Militär nach Überlebenden suchen. Und es gab ganz neue Bilder vom Junta-Chef, der sich in Bangkok unter die Staatsoberhäupter von Indien, Sri Lanka und Thailand mischte. Minh Aung Hlaing als scheinbar ganz normaler Vertreter eines Landes, nicht als Paria, der versucht, ein Land mit Terror zu regieren und gegen den der Internationale Strafgerichtshof ermittelt. Bilder nach seinem Geschmack.