Ministerpräsidentenkonferenz: Mutige Staatsmodernisierung mit einigem Prüfbedarf

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Es ist ein zentrales Versprechen der schwarz-roten Bundesregierung: Zuständigkeiten und Prozesse im Staat modernisieren. Die Ministerpräsidenten haben sich nun auf ihre „Föderale Modernisierungsagenda“ geeinigt.

Zumindest an einem Ziel gibt es selbst aus Reihen der Opposition keine Kritik: Der Staat soll handlungsfähig sein. Nur wie das gelingen soll, daran scheiden sich seit Jahren die Geister. Nachdem das schwarz-rote Kabinett Merz Anfang Oktober festgelegt hatte, wie sich die Regierung dies auf der Ebene des Bundes vorstellt, liefen parallel die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern weiter. Die allermeisten Verwaltungszuständigkeiten liegen in Deutschland nämlich gar nicht auf Bundesebene – und wenn doch, sind sie oft den Ländern und von denen dann den Kommunen zum Vollzug übergeben.

Der jetzt formulierte gemeinsame Anspruch der Ministerpräsidenten ist groß: Über 200 Punkte haben sie in Zusammenarbeit mit dem Bund aufgelistet, mit denen sie den Staat handlungsfähiger machen und zugleich Wirtschaft und Bürger entlasten wollen. Das berichtet der stellvertretende Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) Michael Kretschmer am Abend in Berlin. Bei 58 Punkten, laut dem sächsischen Ministerpräsidenten vor allem im Bau- und Planungsrecht, wurde die Einigung vorerst vertagt. „Ein wirklich großer Wurf“ sei das, was nun beschlossen wurde, meint Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) dennoch. Und das könnte zumindest in Teilen stimmen – vieles soll Bürgern schnell spürbar das Leben erleichtern.

So sollen Bürger über 70 im Regelfall keine neuen Personalausweise mehr benötigen, sagte der Vorsitzende der MPK Alexander Schweitzer (SPD). Das würde zwar Kosten sparen und Verwaltung und Bürger entlasten, die bislang alle 10 Jahre zum Amt sollten. Nur ist das zum einen keine Länderzuständigkeit, sondern würde nur eine Änderung im Wortlaut des Personalausweisgesetzes des Bundes erfordern. Und zum anderen ist das im Europarecht als Möglichkeit schon vorgesehen – also keine gänzlich neue Idee. Was das wiederum für die elektronischen Ausweisfunktionen bedeutet, das haben die Verhandler in ihren Papieren nicht weiter thematisiert. Deutlich komplizierter sind in jedem Fall viele der anderen vorgesehenen Modernisierungsvorhaben.

Massiv sollen die Veränderungen in der IT-Landschaft des Bundes und der Länder sein, die der MPK-Beschluss vorsieht. Auch für einen überzeugten Föderalisten wie ihn, sagt MPK-Vorsitzende Schweitzer, gebe es bei IT-Systemen viele Gründe für Einheitlichkeit. Konkret soll das mit dem sogenannten "D-Stack", dem Magazin für Standardanwendungen und -dienste für Verwaltungen im Bund, in Ländern und Kommunen geleistet werden. Im MPK-Beschluss ist das mit einem Vorrang von Open Source Software und digital souveränen Lösungen verbunden. Doch die Regeln dafür, was in den "D-Stack" kommt, sollen erst Ende 2026 feststehen. Die Ministerpräsidenten sprechen sich zudem gemeinsam mit dem Bund dafür aus, zeitnah Artikel 91c des Grundgesetzes zu ändern. Damit soll der Bund die Möglichkeit erhalten, „digitale Verfahren und Standards“ zu regeln und IT-Systeme errichten und betreiben zu dürfen. Bislang ist das, je nach konkreter Aufgabe, meist Sache der einzelnen Bundesländer.

Sehr viel konkreter wäre eigentlich die Absicht, bis Ende 2026 "in den Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzen" die Schriftform, was rechtlich im Regelfall einen Brief meint, durch elektronische Formen zu ersetzen. Zumindest dann, wenn es nicht zwingend erforderlich ist. So sollen "im allgemeinen Geschäftsverkehr mit Behörden" zukünftig E-Mails oder andere Textform-Kommunikation wie etwa WhatsApp- und Signalnachrichten rechtsverbindlich sein.

Wenn dann auch noch, wie beabsichtigt, in Verwaltungsverfahren eine Genehmigungsfiktion eintreten soll, sobald ein vollständig eingereichter Antrag nicht binnen einer bestimmten Frist anders beschieden wird, dann könnte das eine Revolution für die Alltagsarbeit der Verwaltung von Ländern und Kommunen bedeuten. Eine weitere Verwaltungsrevolution wäre es auch, wenn Bund und Länder bis Ende März 2027 "digital souveräne Alternativen (Souveräner Arbeitsplatz)" als Alternative zu proprietären Umgebungen nicht nur zur Verfügung stellen, sondern auch als Arbeitsmittel verpflichtend einführen würden. Doch den offensiven Abschied von Microsoft-Produkten wagen die Ministerpräsidenten erst einmal nicht.

Abgezeichnet hat sich zudem bereits seit Monaten, dass die Datenschutzaufsicht stärker zentralisiert werden soll. Da das bislang eine Domäne der Länder ist, war deren Positionierung mit einiger Spannung erwartet worden. Doch von einem klaren Bekenntnis, dass die Zuständigkeit für die Aufsicht über "die Wirtschaft" zur Bundesdatenschutzbeauftragten wechseln solle, wie es etwa der Koalitionsvertrag auf Bundesebene formulierte, ist im MPK-Papier wenig zu sehen. Zwar sollen zentralisierte und einheitliche Rechtsauslegungen und One-Stop-Shops geschaffen werden, aber dass das bei der Bundesdatenschutzbeauftragten sein müsse, steht nun an keiner Stelle geschrieben. Es könnte also auch dazu kommen, dass etwa die Zuständigkeiten für bestimmte Branchen bei einzelnen Stellen angesiedelt werden, ein Vorschlag, der ebenfalls bereits seit einigen Jahren zirkuliert.

Ein Anfang für eine Modernisierung der föderalen Strukturen scheint dennoch gemacht. "Wo Bund, Länder und Kommunen gemeinsam handeln, entstehen echte Verbesserungen für Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen und für unsere Gesellschaft insgesamt", meint der Vorsitzende des Ausschusses für Digitales und Staatsmodernisierung des Bundestages, der CDU-Politiker Hansjörg Durz. Kurz vor Weihnachten will der Ausschuss daher am 17. Dezember mit Ländervertreterinnen und -vertretern im Bundestag über die nächsten Schritte beraten. Und das werden einige sein müssen, denn die föderale Modernisierungsagenda enthält an vielen Stellen noch Prüfaufträge, wo eigentlich konkrete Einigungen auf Lösungen stehen müssten. Allerdings stieg zuletzt der Druck auf die Akteure merklich: Insbesondere die Finanzlage bei vielen der gut 10.000 Kommunen sorgt dafür, dass hier nun die Kosten stärker in den Mittelpunkt rücken. Und gerade zur Frage der Neuordnung der Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag einiges offengeblieben. Der Redebedarf dürfte bei den Beteiligten in den kommenden Monaten also eher noch weiter ansteigen.

(olb)

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